2011-07-26 13:33:46

Norwegen: Theologe, „Kein christlicher Fundamentalist“


RealAudioMP3 Der Attentäter Anders Behring Breivik hat seine Anschläge in Oslo und auf der Insel Utøya vor allem mit der Zuwanderung aus islamischen Ländern begründet. Die Polizei hatte ihn in einer ersten Stellungnahme als „christlich-fundamentalistisch“ beschrieben. Kirchenvertreter gehen auf Distanz und warnen vor diesem Begriff.


Ideologisches Beiwerk

Der Attentäter von Oslo ist nach Einschätzung des Theologen Reinhard Hempelmann kein christlicher Fundamentalist. Die Bezeichnung sei „irreführend“, weil damit suggeriert werde, es gebe einen Bezug zu derartigen Strömungen oder Gruppen, sagte der Fundamentalismus-Experte der Evangelischen Zentralstelle für Weltanschauungsfragen der Katholischen Nachrichten-Agentur. Er könne in dem veröffentlichten „Pamphlet“ des Attentäters keine Charakteristika erkennen, die auf religiösen Fundamentalismus hindeuteten. Ein Fundamentalist berufe sich pointiert auf bestimmte heilige Schriften und verstehe diese wortwörtlich. Ferner hänge er einem spezifischen Religionssystem an und wolle dies durchsetzen. All dies sei bei Breivik nicht der Fall. Auch spielte bei dem Attentäter die religiöse Überzeugung als Motivation „für die monströse und menschenverachtende Tat“ offenbar keine Rolle. Der Bezug des Attentäters auf die Religion sei ideologisches und eklektisches Beiwerk, so der Theologe.


Selektive Wahrnehmung der Bibel

Die Bluttaten des Attentäters von Norwegen lassen sich nicht mit einem fundamentalistischen Verständnis des christlichen Glaubens begründen. Das betonte der Münsteraner Theologieprofessors Hermut Löhr: „Für ein solches wahlloses Hinmorden von Menschen gibt es keine Texte in der Bibel, die das in irgendeiner Weise rechtfertigen“, sagte der Wissenschaftler vom Exzellenzcluster „Religion und Politik“ an der Universität Münster. „Wer immer will, kann versuchen, seine eigenen aggressiven Gewalttaten auf solche Texte zu beziehen.“ Dahinter stecke jedoch „eine sehr selektive Wahrnehmung der Bibel, die der christlichen Botschaft überhaupt nicht gerecht wird“.

Fundamentalist ohne Fundament

„Fundamentalismus ist eine Haltung, die deutlich macht, dass jemand kein Fundament hat, denn ein Fundament trägt jemanden.“ Das sagte Bruder Paulus Terwitte, Kapuzinermönch und Autor, in einer Bewertung der Anschläge von Norwegen. Den Attentäter mit dem Christentum in Verbindung zu bringen, sei Hohn, so Terwitte im Kölner Domradio:

Wenn man sich von Überzeugungen oder auch von Gott getragen weiß, dann wird man besonnen sein, dann wird man eben nicht auf Menschen schießen, man wird sehen, dass sie Gottes Geschöpfe sind. Und so ein Fundamentalist ist jemand, der dieses Fundament eben nicht hat, sondern sich selbst eine Welt zusammenzimmert mit rohen christlichen Motiven. Man scheut sich einfach, so jemanden christlichen Fundamentalist zu nennen, denn so jemand spricht der christlichen Lehre wirklich Hohn.“


Terwittte kritisierte die erste Deutung des Attentats als mutmaßlich islamistischen Anschlag und die entsprechenden Medienberichte. Er fordert Mäßigung: „Dass es fanatische Menschen in jeder Geisteshaltung gibt, nicht nur religiöser Geisteshaltung – das muss man leider zur Kenntnis nehmen.“

Freimaurer

„Ich werde als das größte Nazimonster beschrieben werden, das es seit dem Zweiten Weltkrieg gegeben hat.“ Das steht im Manifest des Attentäters. In einer Art Steckbrief bezeichnet er sich außerdem als „100-prozentigen Christen“, der zunächst mäßig religiös gewesen sei, später Agnostiker und nun wieder mäßig religiös. Die Freimaurer-Großloge von Norwegen hat inzwischen eine Mitgliedschaft Breiviks bestätigt.

Kultur, nicht Glaube

Der Soziologe Massimo Introvigne ist Vertreter der Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (OSZE) und setzt sich für die Bekämpfung von Rassismus und Diskriminierung gegenüber Christen ein. Er sagte in einer Einschätzung gegenüber Radio Vatikan:

„Breivik hat uns viel Material gegeben: Er hat uns ein Buch von 1.500 Seiten hinterlassen, Nachlässe im Internet, daraus können wir seine Ideen rekonstruieren. Darin dominiert der Hass gegen den Islam und die Verteidigung einer europäischen Tradition. Das Christentum ist Teil dieser Tradition, aber eher als kulturelles Erbe als denn als gelebter Glaube.“


(rv/dr/kna 26.07.2011 bp)









All the contents on this site are copyrighted ©.