Der Attentäter Anders
Behring Breivik hat seine Anschläge in Oslo und auf der Insel Utøya vor allem mit
der Zuwanderung aus islamischen Ländern begründet. Die Polizei hatte ihn in einer
ersten Stellungnahme als „christlich-fundamentalistisch“ beschrieben. Kirchenvertreter
gehen auf Distanz und warnen vor diesem Begriff.
Ideologisches Beiwerk
Der
Attentäter von Oslo ist nach Einschätzung des Theologen Reinhard Hempelmann kein
christlicher Fundamentalist. Die Bezeichnung sei „irreführend“, weil damit suggeriert
werde, es gebe einen Bezug zu derartigen Strömungen oder Gruppen, sagte der Fundamentalismus-Experte
der Evangelischen Zentralstelle für Weltanschauungsfragen der Katholischen Nachrichten-Agentur.
Er könne in dem veröffentlichten „Pamphlet“ des Attentäters keine Charakteristika
erkennen, die auf religiösen Fundamentalismus hindeuteten. Ein Fundamentalist berufe
sich pointiert auf bestimmte heilige Schriften und verstehe diese wortwörtlich. Ferner
hänge er einem spezifischen Religionssystem an und wolle dies durchsetzen. All dies
sei bei Breivik nicht der Fall. Auch spielte bei dem Attentäter die religiöse Überzeugung
als Motivation „für die monströse und menschenverachtende Tat“ offenbar keine Rolle.
Der Bezug des Attentäters auf die Religion sei ideologisches und eklektisches Beiwerk,
so der Theologe.
Selektive Wahrnehmung der Bibel
Die
Bluttaten des Attentäters von Norwegen lassen sich nicht mit einem fundamentalistischen
Verständnis des christlichen Glaubens begründen. Das betonte der Münsteraner Theologieprofessors
Hermut Löhr: „Für ein solches wahlloses Hinmorden von Menschen gibt es keine Texte
in der Bibel, die das in irgendeiner Weise rechtfertigen“, sagte der Wissenschaftler
vom Exzellenzcluster „Religion und Politik“ an der Universität Münster. „Wer immer
will, kann versuchen, seine eigenen aggressiven Gewalttaten auf solche Texte zu beziehen.“
Dahinter stecke jedoch „eine sehr selektive Wahrnehmung der Bibel, die der christlichen
Botschaft überhaupt nicht gerecht wird“.
Fundamentalist ohne Fundament
„Fundamentalismus
ist eine Haltung, die deutlich macht, dass jemand kein Fundament hat, denn ein Fundament
trägt jemanden.“ Das sagte Bruder Paulus Terwitte, Kapuzinermönch und Autor,
in einer Bewertung der Anschläge von Norwegen. Den Attentäter mit dem Christentum
in Verbindung zu bringen, sei Hohn, so Terwitte im Kölner Domradio:
„Wenn
man sich von Überzeugungen oder auch von Gott getragen weiß, dann wird man besonnen
sein, dann wird man eben nicht auf Menschen schießen, man wird sehen, dass sie Gottes
Geschöpfe sind. Und so ein Fundamentalist ist jemand, der dieses Fundament eben nicht
hat, sondern sich selbst eine Welt zusammenzimmert mit rohen christlichen Motiven.
Man scheut sich einfach, so jemanden christlichen Fundamentalist zu nennen, denn so
jemand spricht der christlichen Lehre wirklich Hohn.“
Terwittte kritisierte
die erste Deutung des Attentats als mutmaßlich islamistischen Anschlag und die entsprechenden
Medienberichte. Er fordert Mäßigung: „Dass es fanatische Menschen in jeder Geisteshaltung
gibt, nicht nur religiöser Geisteshaltung – das muss man leider zur Kenntnis nehmen.“
Freimaurer
„Ich
werde als das größte Nazimonster beschrieben werden, das es seit dem Zweiten Weltkrieg
gegeben hat.“ Das steht im Manifest des Attentäters. In einer Art Steckbrief bezeichnet
er sich außerdem als „100-prozentigen Christen“, der zunächst mäßig religiös gewesen
sei, später Agnostiker und nun wieder mäßig religiös. Die Freimaurer-Großloge von
Norwegen hat inzwischen eine Mitgliedschaft Breiviks bestätigt.
Kultur,
nicht Glaube
Der Soziologe Massimo Introvigne ist Vertreter
der Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (OSZE) und setzt
sich für die Bekämpfung von Rassismus und Diskriminierung gegenüber Christen ein.
Er sagte in einer Einschätzung gegenüber Radio Vatikan:
„Breivik hat uns
viel Material gegeben: Er hat uns ein Buch von 1.500 Seiten hinterlassen, Nachlässe
im Internet, daraus können wir seine Ideen rekonstruieren. Darin dominiert der Hass
gegen den Islam und die Verteidigung einer europäischen Tradition. Das Christentum
ist Teil dieser Tradition, aber eher als kulturelles Erbe als denn als gelebter Glaube.“