2011-07-26 13:08:15

Irland/Vatikan: Was steckt hinter der Krise?


RealAudioMP3 Krise zwischen dem Vatikan und Irland: Der Vatikan hat, wie wir berichteten, seinen Botschafter in Dublin zu Konsultationen einberufen. Warum ist die irische Regierung so aufgebracht über den Heiligen Stuhl, und wie wird es jetzt weitergehen? Darüber sprach unser Redakteur Stefan v. Kempis mit unserer irischen Kollegin von Radio Vatikan, Emer McCarthy.


Emer, wie wird die irische Regierung wohl auf den neuesten Schritt des Vatikans reagieren?


„Schon in den ersten acht Stunden nach dem Bekanntwerden der Nachricht, dass der Nuntius aus Irland für Konsultationen in den Vatikan zurückkehrt, hat der Dubliner Ministerpräsident Enda Kelly darauf reagiert: Er meinte, der Vatikan solle doch möglichst auch mit Leuten vor Ort in Irland sprechen, um zu begreifen, wie ernst die Lage sei. Wir müssen im Auge behalten, dass wir es mit einer anderen Regierung zu tun haben als mit der, die während der Veröffentlichung früherer Missbrauchs-Berichte an der Macht war: Die jetzige Führung ist links-gemäßigt und nicht mehr die konservative Führung, die zwölf Jahre am Ruder gewesen war.

Aus Sicht der Regierung ist es wohl das Wichtigste, dass der Vatikan innerhalb eines normalen Zeitraums zu einer Antwort findet: Sie wollen bald eine Antwort. Die Apostolische Visitation in Irland ist ja seit Februar offiziell beendet, alle Berichte sind geschrieben und überreicht, und wir warten immer noch auf die Ergebnisse. Der Brief des Papstes ist von März 2010: Darin steht, Benedikt werde etwas tun mit Blick auf die Lage in Irland, auch von der Visitation abgesehen. Jetzt sind anderthalb Jahre vorüber – jetzt will die irische Regierung Taten sehen. Drei Bistümer sind derzeit ohne Bischöfe, und viele Katholiken sind enttäuscht von der Kirche, weil sie finden: Rom ist zu langsam mit seiner Reaktion auf das, was in Irland vorgeht. Menschen im Vatikan oder in seinem Umfeld wissen natürlich, dass die vatikanischen Mühlen ihre Zeit brauchen, um zu mahlen.

Wegen dieser Ungeduld war wohl auch, aus meiner Sicht, der Ton in der Rede des Ministerpräsidenten so populistisch, wenn man das so sagen will. Er war sehr harsch – ungewöhnlich für einen Regierungschef. Fast eine Brandrede gegen den Vatikan…“


Es stehen doch Wahlen vor der Tür im Herbst – ist das der Grund, warum Ministerpräsident Kelly so scharf formulierte?


„Vergessen wir nicht: Diese Regierung ist seit März 2011 an der Macht, und natürlich sind die Regionalwahlen (es sind keine nationalen Wahlen) ein Test, wie hoch das Ansehen für die Regierung in diesem Moment ist. Ich persönlich als irische Journalistin finde es bemerkenswert, zu welchem Medienecho der Cloyne-Bericht geführt hat. Um es klar zu sagen: Das ist ein wichtiger Bericht, und was er zum Thema Umgang der Kirche mit Missbrauchsskandalen zutage gefördert hat, ist sehr, sehr schwerwiegend. Aber das Medienecho war gewaltig, und die Regierung musste darauf eigentlich nur einsteigen. Dadurch wurde von anderen, für Irland ebenso wichtigen Themen abgelenkt, allem voran dem EU-Sondergipfel letzte Woche, bei dem es eben nicht nur um Griechenland und Spanien ging, sondern eben auch um Irland. Unsere Banken sind am Ende, das Land hat kein Geld mehr; die Regierung hat versprochen, die Banker für den Untergang des irischen Bankensystems zur Verantwortung zu ziehen, und dennoch hat die Regierung bis heute noch nicht einen Banker auch nur vor Gericht gebracht. Da bietet es sich an, die öffentliche Aufmerksamkeit von einem wichtigen Thema auf ein anderes umzulenken – ein anderes, das zwar ebenfalls wichtig ist, aber das tägliche Leben der Iren doch weniger betrifft. Also: Die Regierung gibt keine Antwort auf die wirklich wichtigen Fragen. Sie hat ein neues Schulsystem versprochen, ein neues Rentensystem – und beides ist bisher Fehlanzeige.

Der Ministerpräsident ist absichtlich mit einer solchen Brandrede vor das Parlament gegangen, unmittelbar bevor die Abgeordneten in die Sommerpause aufbrachen: Es gibt jetzt bis zum Herbst keine Sitzungen mehr. Das war Absicht. Die Kirche in Irland ist ein dankbares Opfer im Moment – er zielte aber gar nicht auf die Kirche in Irland, sondern auf den Vatikan. Kein Wort über die Bischöfe, die verantwortlich waren für das Vertuschen von Missbrauchsfällen; kein Wort zur Verteidigung der vielen, vielen Männer und Frauen in der irischen Kirche, die sich weiterhin mit all ihrer Zeit und Kraft engagieren. Stattdessen ein Angriff auf den Vatikan, weil der ja nicht sofort antwortet.“


Besteht jetzt die Gefahr, dass die diplomatischen Beziehungen zwischen Irland und dem Vatikan abgebrochen werden?


„Das glaube ich nicht. Man kann natürlich über den Stil der Rede des Regierungschefs diskutieren, aber sein Ruf nach einer Antwort aus dem Vatikan spricht doch vielen aus der Seele. Ich glaube nicht, dass die Gefahr eines Abbruchs der Beziehungen bestünde; die Beziehungen sind zwar offiziell erst achtzig Jahre alt, aber in Wirklichkeit doch viel älter: Die Bande reichen in die Zeit zurück, als Irland noch unter britischer Herrschaft und der Katholizismus verboten war. Damals fungierte das Päpstliche Irische Kolleg hier in Rom fast als eine Art Botschaft – dreihundert Jahre lang. Ich glaube allerdings, dass sich die Art der Beziehungen zwischen Irland und dem Vatikan jetzt doch verändert hat: Früher waren sie sehr herzlich, jetzt könnte sich das ändern.

Wenn wir daran denken, dass Irland in einer schweren wirtschaftlichen Krise ist, dann steht auch immer noch die Ankündigung im Raum, mit der diese Regierung an die Macht kam: die Ankündigung von Einsparungen und Reformen nämlich. Diese Einsparungen und Reformen sollten, wie es von Anfang an hieß, auch das Außenministerium betreffen – also die irischen Botschaften und Konsulate rund um den Globus. Das Außenministerium hatte schon lange angekündigt, dass es die Zahl dieser diplomatischen Vertretungen zurückfahren werde. Da könnte es passieren, dass auch die Position des irischen Botschafters beim Heiligen Stuhl in diese Kürzungsliste gerät: Schon vor dieser jetzigen Krise rund um den Cloyne-Rapport wurde das schon in Erwägung gezogen, weil zwei Botschafter eines kleinen, wirtschaftlich gebeutelten Landes in Italien und am Vatikan einen ziemlichen Ausgabe-Posten darstellen. Also, das könnte auf uns zukommen. Derzeit ist der Stuhl des irischen Botschafters beim Heiligen Stuhl vakant; der letzte Botschafter ging im Juni in Rente und wurde noch nicht durch einen neuen ersetzt. Wird er im Herbst durch einen neuen Botschafter ersetzt werden? Das werden wir sehen. Wenn nicht, ist das dann auf die derzeitige Krise zwischen Irland und dem Vatikan zurückzuführen? Ich glaube, da steckt dann eher die Wirtschaftskrise dahinter, auch wenn die Medien und der Ministerpräsident an diese Wirtschaftskrise manchmal nicht so gerne denken.

Die irische Regierung war bisher nicht sehr schnell, wenn es um Gesetze für Kinder- und Minderjährigenschutz geht. Sie hat noch kein neues Gesetz als Antwort auf die Missbrauchs-Fälle durchgesetzt, kritisiert aber die irische Kirche, die seit 2001 – im Fall des Vatikans – und seit 1997 – im Fall der irischen Bischöfe – längst ein solches Regelwerk hat! Sie geht auch nur sehr schleppend Fälle von Kindesmissbrauch in der irischen Gesellschaft an, wenn die nicht mit der Kirche zusammenhängen: In derselben Woche, in der der Cloyne-Bericht vorgestellt wurde, wurde auch der Fall eines Hausmeisters bekannt, der trotz einer Missbrauchs-Vorgeschichte an einer Grundschule in Nordirland angestellt wurde. Da hat also offenbar auch die Schulbehörde nicht ihre Aufgaben gemacht!

Das Thema Missbrauch ist aus meiner Sicht zu wichtig, um alle Schuld einfach immer nur auf die irische Kirche abzuwälzen oder auch auf den Vatikan. Das ist ein Thema, das die Gesellschaft im Ganzen betrifft. Wie Erzbischof Martin von Dublin formuliert hat: Das Entscheidende ist, dass wir in Irland klare Strukturen haben, um Kinder in Irland zu beschützen.“


(rv 26.07.2011 sk)








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