12 Uhr. Skandinavien
steht still. Norwegen und auch Schweden, Dänemark, Island und Finnland gedenken in
einer Schweigeminute der Opfer des Verbrechens vom vergangenen Freitag. Bei dem Anschlag
im Osloer Regierungsviertel und dem nachfolgenden Blutbad in einem Jugendlager auf
der nahen Insel Utoya kamen nach offiziellen Angaben bislang mindestens 93 Menschen
ums Leben. Mehr als 30 Menschen gelten als vermisst. Der 32-jährige Attentäter wurde
am Nachmittag dem Haftrichter vorgeführt. Im Internet kursiert ein mehr als 1500 Seiten
Manifest – das weißt den Attentäter als bekennenden Fundamentalchristen und Islamhasser
aus. Kirchenvertreter gingen auf Distanz.
Am Sonntag hat die Bevölkerung mit
Trauergottesdiensten in vielen Kirchen des Landes der Opfer gedacht. An einer Feier
in der Domkirche von Oslo nahmen das sichtlich bewegte Königspaar und Ministerpräsident
Jens Stoltenberg teil. „Es wird ein Norwegen vor und nach den Anschlägen geben“, sagte
der sozialdemokratische Politiker. Die Leitende Bischöfin der Norwegischen Kirche,
Helga Haugland Byfuglien, rief in ihrer Predigt die Menschen auf, sich in ihrem großen
Schmerz die Hände zu reichen und gemeinsam für Liebe und Gerechtigkeit einzutreten.
„Wir dürfen nicht zulassen, dass die Angst uns lähmt.“
Papst Benedikt XVI.
hatte von Castelgandolfo aus dazu aufgerufen, „den Hass fallenzulassen und den Ausweg
zu suchen aus der Logik des Bösen“. Im Beileidstelegramm an König Harald V. rief er
die Norweger auf, ohne Angst für eine Zukunft von Respekt, Solidarität und Freiheit
einzutreten. – Etwa 85 Prozent der knapp 5 Millionen Norweger gehören der evangelisch-lutherischen
Staatskirche an. Die katholischen Gemeinden sind traditionell Anlaufstation für Zuwanderer.
Sie hätten deshalb jetzt eine besondere Verantwortung, sagt der Päpstliche Nuntius
für die nordischen Länder, Erzbischof Emil Paul Tscherrig: „Wir sind eine Kommunität,
die aus vielen Nationalitäten und vielen Sprachen und Kulturen besteht. In vielen
unserer Pfarreien haben wir bis zu 80 Nationalitäten, die zusammenleben. Wenn wir
diesen Aufruf des Heiligen Vaters ernst nehmen, dann drückt sich darin die Mission
der katholischen Kirche in den nordischen Ländern aus: ein Ferment zu werden der Einheit
und der Kommunion, um Menschen aus verschiedenen Nationen, Sprachen und Kulturen zusammenzubringen,
und daraus ein einziges Volk zu machen. Dies ist die große Aufgabe der katholischen
Kirche in unseren Ländern in dieser sehr kritischen Zeit und in dieser sehr kritischen
Situation für Norwegen.“
Ministerpräsident Stoltenberg setzt
auch nach dem Attentat von Rechts auf eine offene Gesellschaft. Sie sei Teil der Tradition,
berichtet der katholische Bischof von Oslo, Bernt Ivar Eidsvig. Der gebürtige Norweger
betont: „Die Klassenunterschiede sind historisch viel kleiner und geringer
als sonst in Europa. Auch die politische Solidarität – obwohl man natürlich viele
Parteien hat – ist traditionell stark. Während der Kriegsjahre wurde das noch deutlicher
entwickelt. Ausländer die zu uns kommen, bemerken das.“
Die Stadt des Friedensnobelpreises
wird sich verändern, meint der Bischof: „Bei uns sind die Sicherheitsmaßnahmen
fast zu idyllisch. Mit dem Privatauto – wie der Täter am Freitag – kann man fast zur
Kanzlei des Premierministers fahren. Zur Audienz beim König kann man mit dem Auto
zum Schloss fahren. Das wird wahrscheinlich zu einem Ende kommen. Wir müssen uns daran
gewöhnen, dass wir in diesem negativen Sinn zu einem Teil Europas geworden sind. Da
geht deutlich etwas verloren.“