Sudan: „Vielleicht die letzte Seite in der Geschichte des Kolonialismus“
Ein Tod und eine Geburt:
Der Päpstliche Nuntius im Sudan sieht mit der Unabhängigkeit von Südsudan die letzte
Seite in der Geschichte des Kolonialismus in Afrika zugeschlagen. Jetzt müssten die
zwei sudanesischen Staaten „Mittel und Wege finden, um weiter als gute Nachbarn zusammenzuleben“.
In wirtschaftlicher und sozialer Hinsicht seien beide aufeinander angewiesen, sagte
Leo Boccardi im Interview mit Radio Vatikan.
„Jetzt, wo die Euphorie und
die Feiern im Süden vorbei sind, ist es Zeit, den Staat, der bisher lediglich grundgelegt
wurde, tatsächlich aufzubauen: Wirtschaft und Handel, demokratische Teilhabe der Bürger,
Infrastruktur, das Auskommen zwischen den verschiedenen ethnischen Gruppen. Die enormen
Reichtümer des Landes müssen für das Gemeinwohl eingesetzt werden, und darum ist das
Eindämmen von Korruption und Individualismus die absolute Priorität.“
Im
Nordsudan (der als Staat weiterhin einfach „Sudan“ heißen wird) sei noch „das Nachdenken
im Gang, was die Abspaltung des Südens für Folgen haben wird“, so der Nuntius in Khartum.
„In
wirtschaftlicher Hinsicht sind die Verluste wirklich groß. Außerdem schickt die Regierung
alle Südsudanesen wieder in den Süden zurück: Ein Regierungsdekret hat vor kurzem
dem ganzen öffentlichen und privaten Sektor befohlen, alle Südsudanesen zu entlassen.
Innerhalb der nächsten neun Monate müssen die Südsudanesen im Norden ihren Status
legalisieren. Wir warten noch auf das neue Staatsbürgerschaftsgesetz – es wird den
im Norden residierenden Südsudanesen das Leben sicher sehr erschweren. Um im Norden
bleiben zu können, werden sie wie alle Ausländer eine Aufenthaltsgenehmigung und eine
Arbeitserlaubnis brauchen.“
Es gebe zwar Signale, die einen „vorsichtigen
Optimismus“ zuließen, so der Nuntius Boccardi: Da meint er zum Beispiel das Friedensabkommen,
das die Regierung von Khartum vor kurzem mit einer der Rebellengruppen aus Darfur
unterzeichnet hat. Doch gleichzeitig sei die „militärische Eskalation“ in anderen
Teilen des Sudan – Abyei, Süd-Kordofan, Blauer Nil – „sehr beunruhigend“.
„Im
Südsudan ist die Kirche jetzt ganz auf Neuevangelisierung ausgerichtet. Das bedeutet:
Die Christen und die Bürger überhaupt müssen nach zwanzig Jahren Krieg lernen, mit
Vergebung und Versöhnung die tiefen Wunden zu schließen. Das ist genauso wichtig wie
soziale, Gesundheits- und Wirtschaftsprojekte. Die sieben Bistümer im Südsudan müssen
jetzt bald einen Aktionsplan, eine Strategie ausarbeiten, damit die Katholiken beim
Aufbau des neuen Staates auch wirklich präsent sind.“
Anders sei die Lage
im Norden, wo der Nuntius residiert: Die dortige Kirche sei zahlenmäßig geschrumpft,
damit müsse sie jetzt zurechtkommen.
„In den letzten Tagen haben sich die
Bischöfe des Nordens in Khartum getroffen. Dabei wurde klar, dass sie jetzt auf direkteren
Kontakt zu den kleinen Basisgemeinden setzen. Es geht darum, den Glauben lebendig
zu halten, damit er weiter Zeugniskraft behält... in einem Umfeld, das vielleicht
oder sicherlich arabischer und islamischer sein wird als zuvor.“