2011-07-13 17:53:21

Italien: Monolith statt Palmen - Gedenkdienst erinnert Holocaust in Rom


RealAudioMP3 Erinnern kann jeder, aber Gedenken will gelernt sein, braucht Gemeinschaft, Stätten und Formen. Beim so genannten „Gedenkdienst“ arbeiten junge Leute aus Österreich in Holocaust-Gedenkstätten, die gegen das Vergessen errichtet oder erhalten wurden. Der 1992 ursprünglich als Ersatz für die Wehrpflicht entstandene Dienst, also als eine Form des Zivildienstes, kann auf der ganzen Welt geleistet werden: ob Israel oder China, Deutschland oder Polen – den jungen Wehrdienstverweigerern steht ein ganzes Netzwerk zur Auswahl, um sich auf die Spuren der Geschichte zu begeben.



Monolith statt Palmen


Wo der „Duce“ Benito Mussolini einst unter Palmen residierte, gibt bald ein schwarzer Monolith einem der dunkelsten Kapitel der italienischen Geschichte ein Gesicht. Die Anlage unweit des Villa Torlonia-Parks wird der Schönheit Roms keinen Abbruch tun, ganz im Gegenteil, meint der italienische Architekt des Schoah-Museums in der Ewigen Stadt; es soll bis 2013 fertig gestellt werden. „Wir müssen uns darüber im Klaren sein, dass auch wir am Holocaust beteiligt waren“, sagt der Italiener Luca Zevi mit besonderem Blick vor allem auf Rom: Von hier aus wurden die meisten Juden deportiert. Der Österreicher Cornelius Schwärzler arbeitet seit dem 1. Juli 2011 als „Gedenkdiener“ für die römische Stiftung „Fondazione Museo della Shoah“, die den Bau des Schoah-Museums in Rom unterstützt. Die Kooperation mit der Einrichtung kam erst vor Kurzem zustande, Cornelius ist der erste Gedenkdiener in Rom. Statt Zivil- oder Wehrdienst in Österreich abzuleisten, geht er der Judenverfolgung in der Ewigen Stadt auf den Grund.


„Wir stehen mit dem Gedenkdienst in Rom noch am Anfang. Mein Gedenkdienst hier dient sozusagen als Start der Kooperation. Es geht darum, die Rahmenbedingungen abzuklären, bestimmte Kontakte zu knüpfen zur jüdischen Gemeinde und das Projekt Gedenkdienst hier überhaupt zu initiieren.“


Seine Heimat Österreich habe in Punkto Holocaust-Gedenken langsam aufgeholt, in Italien gebe es noch Nachholbedarf, so der junge Mann:


„Das sagen die Italiener auch selber, sie sagen: Wir haben da noch einen Weg zu gehen, weil bisher haben sich die Italiener nur als Land der Widerstandskämpfer gesehen, und langsam wird das immer mehr bewusst, dass da noch mehr ist. Und der Gedenkdienst kann da einen kleinen Beitrag leisten: Er kommt aus einem Land, das auch eine Weile gebraucht hat, bis es so richtig begonnen hat, aber wo es inzwischen auch funktioniert.“


Mitverantwortung übernehmen


Das erste nationale Schoah-Museum in Rom kommt im Vergleich zu anderen europäischen Ländern spät. Pikant ist auch, dass die Stätte von der Stadt Rom, doch nicht vom italienischen Staat getragen werden soll. „Den Italienern fällt es schwer, sich mit der Vergangenheit auseinanderzusetzen. Viele sagen immer noch: Im Grunde waren doch die Deutschen an allem Schuld“, meint Architekt Zevi. Einer ähnlichen Haltung ist Andreas Maislinger vor noch gar nicht langer Zeit in Österreich begegnet. Maislinger ist Innsbrucker Politikwissenschaftler und wissenschaftlicher Leiter der Braunauer Zeitgeschichte-Tage. Er hat die Idee des „Gedenkdienstes“ Anfang der 90er Jahre in Österreich etabliert und ist heute Koordinator des weltweiten Gedenkdienst-Netzwerkes.


„Etwa alle drei Kommandanten des Konzentrationslagers Theresienstadt waren österreichischer Herkunft. Ich habe dann Aktion Sühnezeichen in Deutschland kennengelernt und war 1980/81 im Museum Ausschwitz Birkenau ein so genannter Freiwilliger. Ich wollte, dass das als Zivildienst anerkannt wird. Das war damals nicht möglich. Der österreichische Bundespräsident Rudolf Kirchschläger hat mit wortwörtlich gesagt: Ein Österreicher hat in Ausschwitz nichts zu sühnen, weil er damals – und er vertrat den offiziellen Standpunkt – davon ausgegangen ist, dass Österreich nur Opfer war und nicht Täter.“

Absicht des Gedenkdienstes ist es, das Eingeständnis der Mitschuld Österreichs am Holocaust zu betonen und Verantwortung für die Vergangenheit zu übernehmen. Die drei Gedenkdienst- Trägerorganisationen bilden heute ein weltweites Netzwerk für Holocaust-Gedenkstätten inklusive Museen, Bibliotheken und Archiven – nicht nur im europäischen Raum, erzählt Maislinger:

„Man denkt bei Gedenkdienst natürlich sofort an Israel oder die Anne Franck-Stiftung in Amsterdam oder das Jüdische Museum in Berlin. Aber wir sind etwa auch in China, Shanghai, vertreten. Dort kamen viele Flüchtlinge aus Europa während des Zweiten Weltkrieges an. Oder wir sind auch in Rio de Janeiro, im Stefan-Zweig-Zentrum tätig. Uns fehlte eigentlich nur noch der Kontinent Afrika. Doch jetzt haben wir eine Einladung bekommen, im neuen Schoah-Zentrum, das in Pretoria errichtet werden soll, auch einen Gedenkdiener hinzuschicken. Das ist im Sinne der Universalisierung der Erinnerung an die Schoah, dass eben auch in Ländern, bei denen das gar nicht bekannt ist, solche Einrichtungen geschaffen werden.“


„Bei Pius XII. gehen die Klappen runter“


In Rom ist ein Schwerpunkt der Arbeit des Gedenkdienstes das Erinnern und Bekanntmachen des Salvatorianer-Paters Pankratius Pfeiffer (1872-1945). Der auch „römischer Schindler“ genannte Geistliche rettete während der deutschen Besatzung in Rom zahlreiche Juden und Widerstandskämpfer vor dem Tod, indem er sie auf dem Dachboden versteckte. Im Auftrag von Papst Pius XII. agierte er als Mittelsmann zwischen NS-Kommandeuren und dem Vatikan. Mit dem deutschen Stadtkommandanten Kurt Mälzer, der ebenfalls aus Bayern stammte und katholisch war, war Pfeiffer befreundet. Mälzer soll unter anderem für das Massaker von 335 italienischen Zivilisten in den Ardeatinischen Höhlen mit verantwortlich gewesen sein. Ein Mann mit solchen Kontakten in einem jüdischen Museum in Rom – gibt es da kein Unbehagen auf Seiten der jüdischen Kollegen? Dazu Maislinger:


„Vieles, was mit Pius XII. zu tun hat, wird tabuisiert. Das merke ich jetzt am Fall Pater Pancratius Pfeiffer. Wir versuchen, da einen kleinen Beitrag dazu zu leisten, dass es da mehr Gespräch gibt zwischen jüdischen Einrichtungen und dem Salvatorianer-Orden und der katholischen Kirche. Man merkt, wenn der Name Pius XII. fällt, gehen die Klappen ofter runter bei jüdischen Organisationen. Ich würde mir wünschen, dass es da ein offeneres Gespräch gäbe!“


Dass die Arbeit des Gedenkdienstes im Fall Pankratius Pfeiffer in Zukunft auch zur Verständigung zwischen jüdischer und katholischer Seite beitragen kann, das zeigt die Erinnerungsarbeit zum Salvatorianer-Pater Pankratius Pfeiffer deutlich. Manchmal führen Nebenstraßen zum Ziel, weiß Gedenkstätten-Experte Maislinger:


„Irgendwo interessiert man sich für diesen Pater. Und ich habe gemerkt, wir gehen also nicht gleich Pius an – wo ich selbst auch noch viel zu wenig weiß – , aber eben diesen Vermittler, denn Pfeiffer war damals tatsächlich ein Vermittler. Und was ich auch so spannend finde an dem Fall ist der Vergleich mit Oskar Schindler, der ist gegeben: Beide hatten ein gutes Verhältnis zum jeweiligen SS-Funktionär, und ohne dieses gute Verhältnis hätte man ja auch den Menschen nicht helfen können!“

Pfeiffer ist übrigens der einzige Deutsche, der nach dem Zweiten Weltkrieg in Rom als Namensgeber einer Straße geehrt wurde: Die „Via Pfeiffer“, ein kurzes schmales Gässchen, zweigt von der „Via della Conciliazione“ ab, die auf den Petersdom zuführt.


(rv/diverse 13.07.2011 pr)









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