Italien: Monolith statt Palmen - Gedenkdienst erinnert Holocaust in Rom
Erinnern kann jeder,
aber Gedenken will gelernt sein, braucht Gemeinschaft, Stätten und Formen. Beim so
genannten „Gedenkdienst“ arbeiten junge Leute aus Österreich in Holocaust-Gedenkstätten,
die gegen das Vergessen errichtet oder erhalten wurden. Der 1992 ursprünglich als
Ersatz für die Wehrpflicht entstandene Dienst, also als eine Form des Zivildienstes,
kann auf der ganzen Welt geleistet werden: ob Israel oder China, Deutschland oder
Polen – den jungen Wehrdienstverweigerern steht ein ganzes Netzwerk zur Auswahl, um
sich auf die Spuren der Geschichte zu begeben.
Monolith statt
Palmen
Wo der „Duce“ Benito Mussolini einst unter
Palmen residierte, gibt bald ein schwarzer Monolith einem der dunkelsten Kapitel der
italienischen Geschichte ein Gesicht. Die Anlage unweit des Villa Torlonia-Parks wird
der Schönheit Roms keinen Abbruch tun, ganz im Gegenteil, meint der italienische Architekt
des Schoah-Museums in der Ewigen Stadt; es soll bis 2013 fertig gestellt werden. „Wir
müssen uns darüber im Klaren sein, dass auch wir am Holocaust beteiligt waren“, sagt
der Italiener Luca Zevi mit besonderem Blick vor allem auf Rom: Von hier aus wurden
die meisten Juden deportiert. Der Österreicher Cornelius Schwärzler arbeitet seit
dem 1. Juli 2011 als „Gedenkdiener“ für die römische Stiftung „Fondazione Museo della
Shoah“, die den Bau des Schoah-Museums in Rom unterstützt. Die Kooperation mit der
Einrichtung kam erst vor Kurzem zustande, Cornelius ist der erste Gedenkdiener in
Rom. Statt Zivil- oder Wehrdienst in Österreich abzuleisten, geht er der Judenverfolgung
in der Ewigen Stadt auf den Grund.
„Wir stehen mit dem Gedenkdienst
in Rom noch am Anfang. Mein Gedenkdienst hier dient sozusagen als Start der Kooperation.
Es geht darum, die Rahmenbedingungen abzuklären, bestimmte Kontakte zu knüpfen zur
jüdischen Gemeinde und das Projekt Gedenkdienst hier überhaupt zu initiieren.“
Seine Heimat Österreich habe in Punkto Holocaust-Gedenken langsam aufgeholt,
in Italien gebe es noch Nachholbedarf, so der junge Mann:
„Das sagen
die Italiener auch selber, sie sagen: Wir haben da noch einen Weg zu gehen, weil bisher
haben sich die Italiener nur als Land der Widerstandskämpfer gesehen, und langsam
wird das immer mehr bewusst, dass da noch mehr ist. Und der Gedenkdienst kann da einen
kleinen Beitrag leisten: Er kommt aus einem Land, das auch eine Weile gebraucht hat,
bis es so richtig begonnen hat, aber wo es inzwischen auch funktioniert.“
Mitverantwortung übernehmen
Das
erste nationale Schoah-Museum in Rom kommt im Vergleich zu anderen europäischen Ländern
spät. Pikant ist auch, dass die Stätte von der Stadt Rom, doch nicht vom italienischen
Staat getragen werden soll. „Den Italienern fällt es schwer, sich mit der Vergangenheit
auseinanderzusetzen. Viele sagen immer noch: Im Grunde waren doch die Deutschen an
allem Schuld“, meint Architekt Zevi. Einer ähnlichen Haltung ist Andreas Maislinger
vor noch gar nicht langer Zeit in Österreich begegnet. Maislinger ist Innsbrucker
Politikwissenschaftler und wissenschaftlicher Leiter der Braunauer Zeitgeschichte-Tage.
Er hat die Idee des „Gedenkdienstes“ Anfang der 90er Jahre in Österreich etabliert
und ist heute Koordinator des weltweiten Gedenkdienst-Netzwerkes.
„Etwa
alle drei Kommandanten des Konzentrationslagers Theresienstadt waren österreichischer
Herkunft. Ich habe dann Aktion Sühnezeichen in Deutschland kennengelernt und war 1980/81
im Museum Ausschwitz Birkenau ein so genannter Freiwilliger. Ich wollte, dass das
als Zivildienst anerkannt wird. Das war damals nicht möglich. Der österreichische
Bundespräsident Rudolf Kirchschläger hat mit wortwörtlich gesagt: Ein Österreicher
hat in Ausschwitz nichts zu sühnen, weil er damals – und er vertrat den offiziellen
Standpunkt – davon ausgegangen ist, dass Österreich nur Opfer war und nicht Täter.“
Absicht
des Gedenkdienstes ist es, das Eingeständnis der Mitschuld Österreichs am Holocaust
zu betonen und Verantwortung für die Vergangenheit zu übernehmen. Die drei Gedenkdienst-
Trägerorganisationen bilden heute ein weltweites Netzwerk für Holocaust-Gedenkstätten
inklusive Museen, Bibliotheken und Archiven – nicht nur im europäischen Raum, erzählt
Maislinger:
„Man denkt bei Gedenkdienst natürlich sofort an Israel oder
die Anne Franck-Stiftung in Amsterdam oder das Jüdische Museum in Berlin. Aber wir
sind etwa auch in China, Shanghai, vertreten. Dort kamen viele Flüchtlinge aus Europa
während des Zweiten Weltkrieges an. Oder wir sind auch in Rio de Janeiro, im Stefan-Zweig-Zentrum
tätig. Uns fehlte eigentlich nur noch der Kontinent Afrika. Doch jetzt haben wir eine
Einladung bekommen, im neuen Schoah-Zentrum, das in Pretoria errichtet werden soll,
auch einen Gedenkdiener hinzuschicken. Das ist im Sinne der Universalisierung der
Erinnerung an die Schoah, dass eben auch in Ländern, bei denen das gar nicht bekannt
ist, solche Einrichtungen geschaffen werden.“
„Bei Pius XII.
gehen die Klappen runter“
In Rom ist ein Schwerpunkt
der Arbeit des Gedenkdienstes das Erinnern und Bekanntmachen des Salvatorianer-Paters
Pankratius Pfeiffer (1872-1945). Der auch „römischer Schindler“ genannte Geistliche
rettete während der deutschen Besatzung in Rom zahlreiche Juden und Widerstandskämpfer
vor dem Tod, indem er sie auf dem Dachboden versteckte. Im Auftrag von Papst Pius
XII. agierte er als Mittelsmann zwischen NS-Kommandeuren und dem Vatikan. Mit dem
deutschen Stadtkommandanten Kurt Mälzer, der ebenfalls aus Bayern stammte und katholisch
war, war Pfeiffer befreundet. Mälzer soll unter anderem für das Massaker von 335
italienischen Zivilisten in den Ardeatinischen Höhlen mit verantwortlich gewesen sein.
Ein Mann mit solchen Kontakten in einem jüdischen Museum in Rom – gibt es da kein
Unbehagen auf Seiten der jüdischen Kollegen? Dazu Maislinger:
„Vieles,
was mit Pius XII. zu tun hat, wird tabuisiert. Das merke ich jetzt am Fall Pater Pancratius
Pfeiffer. Wir versuchen, da einen kleinen Beitrag dazu zu leisten, dass es da mehr
Gespräch gibt zwischen jüdischen Einrichtungen und dem Salvatorianer-Orden und der
katholischen Kirche. Man merkt, wenn der Name Pius XII. fällt, gehen die Klappen ofter
runter bei jüdischen Organisationen. Ich würde mir wünschen, dass es da ein offeneres
Gespräch gäbe!“
Dass die Arbeit des Gedenkdienstes im Fall Pankratius
Pfeiffer in Zukunft auch zur Verständigung zwischen jüdischer und katholischer Seite
beitragen kann, das zeigt die Erinnerungsarbeit zum Salvatorianer-Pater Pankratius
Pfeiffer deutlich. Manchmal führen Nebenstraßen zum Ziel, weiß Gedenkstätten-Experte
Maislinger:
„Irgendwo interessiert man sich für diesen Pater. Und
ich habe gemerkt, wir gehen also nicht gleich Pius an – wo ich selbst auch noch viel
zu wenig weiß – , aber eben diesen Vermittler, denn Pfeiffer war damals tatsächlich
ein Vermittler. Und was ich auch so spannend finde an dem Fall ist der Vergleich mit
Oskar Schindler, der ist gegeben: Beide hatten ein gutes Verhältnis zum jeweiligen
SS-Funktionär, und ohne dieses gute Verhältnis hätte man ja auch den Menschen nicht
helfen können!“
Pfeiffer ist übrigens der einzige Deutsche, der nach dem
Zweiten Weltkrieg in Rom als Namensgeber einer Straße geehrt wurde: Die „Via Pfeiffer“,
ein kurzes schmales Gässchen, zweigt von der „Via della Conciliazione“ ab, die auf
den Petersdom zuführt.