Kardinal Tauran: „Einheit in Vielfalt, ganz praktisch“
Praktische Tipps fürs Christsein in einer multireligiösen Welt soll ein neues Dokument
geben, das in diesen Tagen in Genf vorgestellt wurde. Das etwa fünfseitige Schreiben
entstand in Zusammenarbeit des Päpstlichen Rates für den Interreligiösen Dialog, des
Ökumenischen Rates der Kirchen (ÖRK) und – auf Einladung des ÖRK – der Weltweiten
Evangelischen Allianz (WEA). Es fasst Empfehlungen für christliches Verhalten zusammen
und will – so steht es in der Präambel des Schreibens – „Kirchen, Kirchenräte und
Missionsgesellschaften dazu ermutigen, ihre gegenwärtige Praxis zu reflektieren“ und,
„wo es angemessen ist, eigene Richtlinien für Zeugnis und Mission unter Menschen erarbeiten,
die einer anderen Religion oder keiner bestimmten Religion angehören“. Warum ein solcher
„Verhaltenskodex“ notwendig ist, erklärt Kardinal Jean-Louis Tauran, Präsident des
Päpstlichen Rates für Interreligiösen Dialog, im Gespräch mit Radio Vatikan:
„Er
ist wichtig, denn er hebt die Notwendigkeit hervor, der Gesellschaft unser gesamtes
gemeinsames Erbe zur Verfügung zu stellen, wenn es darum geht, Gott in einer multireligiösen
Welt zu bezeugen. In diesem Bereich haben wir eine gewisse Anzahl an Prinzipien, die
im Dialog der Christen auf Gemeindeebene, in der Schule und allgemein in der Gesellschaft
sehr nützlich sein können. Die christlichen Werte, die wir proklamieren, müssen trotz
unserer Trennungen Elemente der Gemeinschaft auch für die Gesellschaft sein, denn
interreligiöser Dialog ist nicht Dialog der Religionen, sondern Dialog zwischen Gläubigen
- und in diesem Sinne Dialog in den Familien, der Schule und im kulturellen Leben.
Diese christlichen Werte können inspirieren und zeigen, wie es möglich ist, Einheit
in Vielfalt zu leben.“
Der Kontakt der Religionen ist in vielen Ländern
der Welt durch Konflikte gezeichnet – ein Beispiel dafür ist Pakistan, wo religiöse
Minderheiten immer wieder unterdrückt und verfolgt werden. Im ÖRK-Dokument mit dem
Titel „Das christliche Zeugnis in einer multireligiösebn Welt“ wird unter dem Punkt
sieben, „Religions- und Glaubensfreiheit“, die Religionsfreiheit unmittelbar mit der
Menschenwürde verknüpft: Religionsfreiheit bedeute das Recht, „seine Religion öffentlich
zu bekennen, auszuüben, zu verbreiten und zu wechseln“ heißt es dort. Tauran führt
aus:
„Es gibt da eine große Zweideutigkeit: Religionsfreiheit ist viel
mehr als freie Kultausübung. Letztere ist ja die Freiheit, eine Gebetsstätte zu haben,
um die eigene Religion auszuüben, das ist das Mindeste. Doch die Religionsfreiheit
bedeutet eine soziale Dimension: Die Gläubigen müssen zum gesellschaftlichen Wohl
beitragen und am öffentlichen Dialog teilnehmen dürfen – durch politisches und kulturelles
Engagement sowie Einsatz in allen sozialen Bereichen, nicht nur im individuellen Bereich.
Und da gibt es ganz offensichtlich Schwierigkeiten.“
Um christliches Zeugnis
geht es dem Ökumenischen Rat der Kirchen mit dem Dokument, doch nicht um Bekehrung,
präzisiert Tauran. Interreligiöser Dialog – das ist in erster Linie gegenseitiges
Zuhören und Verstehen, erinnert der Kardinal. In die freiheitliche Entscheidung des
Menschen für oder gegen den Gott, den die Christen bekennen, spiele er nicht hinein.