„Menschen in der Zeit“: Angelika Pokropp-Hippen – Therapeutin der Seele
Ein jeder Mensch hat
das Recht auf Leben. So steht es im Grundgesetz Artikel 2,2., und so steht es auch
in den Zehn Geboten der christlichen Glaubenslehre. Ein jeder Mensch hat das Recht
auf Leben – auch das noch ungeborene Kind. Die katholische Kirche lehnt die Tötung
eines Menschen in jedem Fall ab und bezeichnet Abtreibung als ein verabscheuungswürdiges
Verbrechen. Für die katholische Kirche ist ein jedes Leben, auch das kranke oder behinderte,
auch das Leben im Alter, von Gott her gesehen, lebenswert, und der Mensch handelt
anmaßend, wenn er sich zum Herrn über das Leben überhebt. Nicht nur die Kirche,
auch die Wissenschaft stellt klar, dass das Leben eines Menschen mit der Zeugung beginnt.
Schon 21 Tage nach der Zeugung ist der Herzschlag festzustellen. Der werdende Mensch
ist zwar klein, aber im Wesentlichen schon durchgebildet. Das ungeborene Kind ist
demnach das eigentliche Opfer einer jeden Abtreibung. Das zweite Opfer ist jeweils
die Frau, die eine Abtreibung vornimmt. Viele Frauen kommen seelisch nicht darüber
hinweg. Es gibt zahlreiche Beispiele, wo Frauen sich in einer ganz schwierigen Lage
für das Kind entschieden und es nie bereut haben. Leider gibt es auch zahlreiche andere
Beispiele, wo sich Frauen gegen das Kind entschieden haben, es nachher bitter bereuten
und nie mehr rückgängig machen konnten. Abtreibung ist eine tiefe soziale Wunde.
Doch nicht nur Frauen sind betroffen. Auch Männer, deren Frauen eine Abtreibung vornehmen
ließen, können schwer an der Last tragen, dass sie eigentlich Vater wären, ihr Kind
aber nie geboren wurde. Weltweit werden nach jüngsten Schätzungen pro Jahr über 50
Millionen Kinder abgetrieben. Bei einem Schwangerschaftsabbruch handelt sich vorwiegend
um eine „geistliche“ Schuld. Das hinterlässt Spuren, sagt die in Münster wirkende
Ärztin und Psychotherapeutin Angelika Pokropp-Hippen, die sich auf die Betreuung und
Begleitung von Menschen nach einer Abtreibung spezialisiert hat. Nicht alle Frauen,
die abgetrieben haben, brauchen eine Therapie, so Pokropp-Hippen. Aber für 80 Prozent
von ihnen ist es eine schwere traumatische Erfahrung, mehr als 20 Prozent tragen -
ihren Erkenntnissen zufolge - dauerhafte psychische Schäden davon. Heute spricht Angelika
Prokopp-Hippen mit uns über ihre Gedanken und über therapeutische Forschungsergebnisse
zu diesem heiklen menschlichen, wissenschaftlichen und religiösem Thema, für das der
Begriff „Post Abortion Syndrom“ geprägt wurde.
„Ich kenne eine Hebamme,
die steht regelmäßig vor einer Abtreibungsklinik in München. Sie versucht im letzten
Moment, die Frauen, die Männer zu einem Gespräch zu bewegen, um vielleicht doch noch
einen Weg mit dem Kind zu finden. Sie macht das schon seit zehn Jahren. Es ist für
sie immer eine tiefe Freude, wenn es ihr gelingt. Sie erlebt aber auch sehr häufig,
dass es nicht gelingt. Und dann beobachtet sie auch die Menschen, die in diese Praxis
hineingehen, sie beobachtet die Männer, die draußen stehen oder im Auto warten. Und
beobachtet die Frauen, die wieder herauskommen; vor kurzem hat sie mir ein Bild geschildert,
wie ein junges Pärchen in diese Praxis hineinging, sich auch nicht davon abhalten
ließ. Sie gingen Arm in Arm hinein,und als sie wieder hinauskamen, die Frau sehr blass,
da standen sie und warteten auf einen Taxi, und jeder schaute in eine andere Richtung.“
Szenen
vor einem Krankenhaus in Deutschland, in dem Abtreibungen durchgeführt werden. Wer
da spricht ist Dr. Angelika Pokropp-Hippen, Ärztin und Psychotherapeutin in Münster.
„Also was wichtig ist – nach einer Abtreibung - ist Versöhnung. Versöhnung
auch auf verschiedensten Ebenen. Für dieses Klima der Versöhnung brauch ich auch ein
Klima der Öffnung zu einem Gespräch. Denn nur das was ich erkenne und ausspreche –
aussprechen heißt auch, dass ich jemanden habe, der mir zuhört – nur da kann wirklich
ein Klima wachsen, wo ich dann zur Versöhnung finden kann. Versöhnung ist ja nicht
etwas, was auf Knopfdruck geschieht, sondern es ist ein Weg, ein Prozess. Es gibt
verschiedene Ebenen, wo nach einer Abtreibung diese Versöhnungsarbeit stattfinden
muss. Sie muss in mir selbst stattfinden. Das ist auch das Allerschwierigste. Denn
ein Teil von mir hatte ja der Abtreibung zugestimmt und ein anderer Teil war vielleicht
ambivalent, war aber zu schwach. Dann muss die Versöhnung mit dem Partner stattfinden,
der nicht die Initiative gefunden hat, zu sagen: das ist unser Kind, wir schaffen
das. Oder: ich halte zu dir, auch wenn wir nicht zusammen leben, ich lasse dich nicht
im Stich. Es ist auch die Versöhnung mit anderen, die zur Abtreibung geraten haben,
oder die eben nicht geholfen haben, aus der Familie oder aus dem Freundeskreis. Es
ist die Versöhnung mit sich selbst in Beziehung zu Gott, denn Gott – egal in welcher
Konfession ich stehe – Gott wird immer als Quelle des Lebens erkannt und anerkannt.
Und diese Quelle hat das Leben geschenkt und ich habe diese Quelle sozusagen zum Versiegen
gebracht. Und dann ist auch eine Versöhnungsarbeit notwendig, die je nach Ausformung,
je nach konfessioneller Ausrichtung oder je nach Religion ihre eigene Färbung und
ihre eigenen Rituale hat. Aber die auch ganz wichtig ist. Ich muss mich auch mit meinem
eigenen Leben wieder versöhnen. Das heißt: den Lebensfaden wieder aufnehmen.“
Versöhnungsarbeit „Aber
ich möchte auch betonen, dass nicht jeder, der daran leidet eine Abtreibung zu bedauern,
eine Therapie braucht. Es braucht jeder einen Menschen, der spricht, der zuhört. Es
wird sich dann zeigen, wenn ich mich öffne, wenn dann das Gespräch beginnt, inwieweit
ich dann in das natürliche Trauern hineinfinden kann, und darüber auch Wege finden
kann, die Trauer in mein Leben zu integrieren – denn das gehört zu einer natürlichen
Trauerarbeit dazu. Dass der Verlust eines Tages integriert wird in mein Leben, ich
dann mein Leben wieder fortsetze und dieses Verlorene ein Teil meines Lebens geworden
ist. Aber ein versöhnter Teil. Wenn das aber nicht gelingt, wenn ich da stecken bleibe,
wenn meine Gedanken und Gefühle kreisen, wenn ich dann körperlich und seelisch daran
leide, dann ist der Punkt gekommen, dass ich Hilfe brauche. Und dann sollte auch Hilfe
da sein. Also die Versöhnungsarbeit, die Heilung zur Versöhnungsarbeit setzt immer
voraus, dass ich wirklich in der Tiefe eine Versöhnung erfahre. In der Tiefe meiner
eigenen Seele, in der Tiefe meiner eigenen Lebensbeziehungen. Und die allertiefste
Lebensbeziehung, die wir haben, ist ja die Beziehung zu Gott: Ob sie uns bewusst
ist oder nicht. Häufig ist es so, dass wenn ich anfange eine Abtreibung zu bereuen,
ich auch nach meiner Gottesbeziehung suche. Weil – so wie es Johannes Paul II. im
„Evangelium vitae“ ausgedrückt hat: es ist nichts verloren, die Kinder leben bei Gott,
die Kinder bitten für euch bei Gott, sucht einen Weg, dass ihr zum Vater allen Erbarmens
im Sakrament der Versöhnung Vergebung und Frieden findet. So sagt er es im katholischen
Kontext. Das gilt für andere konfessionelle Ausrichtungen auf ihrer Seite, aber ich
glaube, dass die Heilung der Gottesbeziehung etwas sehr, sehr Wesentliches ist, wenn
es eine tiefe Versöhnung sein soll. Eine Versöhnung, die wirklich mein Leben lang,
bis in meine Sterbestunde hineinträgt. Dann kann ich nämlich erleben, dass das geschieht,
was wir in der Osternacht in der katholischen Kirche sagen: wir sagen, wenn wir die
Osterkerze entzünden „glückliche Schuld, welch großen Erlöser hast du“. Ich kann also
erleben, dass – so groß meine Schuld ist – die Erlösung durch Gott immer noch viel
größer ist. Und das ist dann eine Tiefenerfahrung, die mich in vielen Konflikten meines
Lebens, in vielen Wunden meines Lebens heilen wird. Aber nicht jede Therapie kann
diesen Weg gehen, weil nicht jeder, der in eine Therapie kommt, religiös bewusst ist.
Ich glaube, dass jeder Mensch im Grunde religiös ist. Ich glaube, wir haben
alle einen religiösen Kern. Aber es gibt viele Menschen in unserer Zeit, die keinen
religiösen Zugang haben. Ihre religiöse Gottesbeziehung ist verschüttet. Und da muss
man dann sehr sensibel die Menschen dort abholen, wo sie sind. Man darf sie nicht
„zwangsevangelisieren“ und seine Meinung sozusagen zum Allheilmittel anbieten. Das
werden sie nicht annehmen. Sie müssen in sich selbst diesen Weg in diese tiefe, innere,
religiöse Ebene freilegen. Dabei kann man helfen.“
Das Sakrament der
Versöhnung „Ich kenne aber auch Patientinnen, die schon öfter gebeichtet
haben, oder die Versöhnung mit Gott gesucht haben und die sagen: Gott hat mir vergeben,
aber ich kann mir nicht vergeben. Da möchte ich vielleicht noch einen Impuls sagen
dürfen: Schauen wir uns das Kreuz an. Das Kreuz besteht aus einer Horizontalen und
einer Vertikalen. Die Horizontale ist die Versöhnung mit mir selbst, und die fällt
Frauen oft schwer. Die Vertikale ist die Versöhnung, die ich von Gott erhalte. Die
wird mir geschenkt, wenn ich Gott darum bitte. Wir katholischen Christen sagen auch,
wenn wir im Sakrament der Versöhnung diese Freisprechung bekommen: aber was steht
im Zentrum dieses Kreuzes, da wo sich die beiden Balken kreuzen, wenn ich jetzt mir
selbst nicht vergeben kann? Dort wartet Christus. Er ist an dieses Kreuz gegangen,
und er ist für mich zur Sünde geworden, um meine Sünde zu tragen. Auch die Sünde der
Abtreibung findet Erlösung in seiner Liebe.“
Trauer um ein
verlorenes Kind „Ich schließe dann mit einem Gedicht: dieses Gedicht habe
ich geschrieben, nicht nach einer Abtreibung, sondern nach einer Fehlgeburt, wo ich
selbst ein Kind verloren habe. Aber ich denke, was ich ja schon zum Ausdruck brachte,
die Trauer um ein vorgeburtlich gestorbenes Kind kann alle vereinen, die daran leiden
und so widme ich es auch allen, die einen Verlust eines Kindes leiden, sei es nach
einer Abtreibung, oder sei es nach einer Fehlgeburt.
An mein totgeborenes
Kind und seine Engel:
Du großer Engel, wenn Du zurückfliegst in das
Licht sag meinem Kind, dass ich es liebe. Du großer Engel, wenn
Du sein Lachen hörst still meine Tränen mit seinem Glück. Du großer
Engel, deck seinen kleinen Leib mit Deinen Flügeln zu. Nie sah
ich seine Augen, nie hege ich seine Hand. nie spürte ich seinen Atem. Du
großer Engel, ich danke Dir, dass Du seine Seele zu meiner Seele begleitest. Ich
danke Dir, dass Du die Brücke bist, dass Du der Helfer bist. Dass in Deiner
Gottesnähe mein Kind geborgen ist. Amen“