2011-07-03 14:48:38

„Menschen in der Zeit“: Angelika Pokropp-Hippen – Therapeutin der Seele


RealAudioMP3 Ein jeder Mensch hat das Recht auf Leben. So steht es im Grundgesetz Artikel 2,2., und so steht es auch in den Zehn Geboten der christlichen Glaubenslehre. Ein jeder Mensch hat das Recht auf Leben – auch das noch ungeborene Kind.
Die katholische Kirche lehnt die Tötung eines Menschen in jedem Fall ab und bezeichnet Abtreibung als ein verabscheuungswürdiges Verbrechen. Für die katholische Kirche ist ein jedes Leben, auch das kranke oder behinderte, auch das Leben im Alter, von Gott her gesehen, lebenswert, und der Mensch handelt anmaßend, wenn er sich zum Herrn über das Leben überhebt.
Nicht nur die Kirche, auch die Wissenschaft stellt klar, dass das Leben eines Menschen mit der Zeugung beginnt. Schon 21 Tage nach der Zeugung ist der Herzschlag festzustellen. Der werdende Mensch ist zwar klein, aber im Wesentlichen schon durchgebildet.
Das ungeborene Kind ist demnach das eigentliche Opfer einer jeden Abtreibung. Das zweite Opfer ist jeweils die Frau, die eine Abtreibung vornimmt. Viele Frauen kommen seelisch nicht darüber hinweg. Es gibt zahlreiche Beispiele, wo Frauen sich in einer ganz schwierigen Lage für das Kind entschieden und es nie bereut haben. Leider gibt es auch zahlreiche andere Beispiele, wo sich Frauen gegen das Kind entschieden haben, es nachher bitter bereuten und nie mehr rückgängig machen konnten.
Abtreibung ist eine tiefe soziale Wunde. Doch nicht nur Frauen sind betroffen. Auch Männer, deren Frauen eine Abtreibung vornehmen ließen, können schwer an der Last tragen, dass sie eigentlich Vater wären, ihr Kind aber nie geboren wurde. Weltweit werden nach jüngsten Schätzungen pro Jahr über 50 Millionen Kinder abgetrieben. Bei einem Schwangerschaftsabbruch handelt sich vorwiegend um eine „geistliche“ Schuld. Das hinterlässt Spuren, sagt die in Münster wirkende Ärztin und Psychotherapeutin Angelika Pokropp-Hippen, die sich auf die Betreuung und Begleitung von Menschen nach einer Abtreibung spezialisiert hat. Nicht alle Frauen, die abgetrieben haben, brauchen eine Therapie, so Pokropp-Hippen. Aber für 80 Prozent von ihnen ist es eine schwere traumatische Erfahrung, mehr als 20 Prozent tragen - ihren Erkenntnissen zufolge - dauerhafte psychische Schäden davon. Heute spricht Angelika Prokopp-Hippen mit uns über ihre Gedanken und über therapeutische Forschungsergebnisse zu diesem heiklen menschlichen, wissenschaftlichen und religiösem Thema, für das der Begriff „Post Abortion Syndrom“ geprägt wurde.

„Ich kenne eine Hebamme, die steht regelmäßig vor einer Abtreibungsklinik in München. Sie versucht im letzten Moment, die Frauen, die Männer zu einem Gespräch zu bewegen, um vielleicht doch noch einen Weg mit dem Kind zu finden. Sie macht das schon seit zehn Jahren. Es ist für sie immer eine tiefe Freude, wenn es ihr gelingt. Sie erlebt aber auch sehr häufig, dass es nicht gelingt. Und dann beobachtet sie auch die Menschen, die in diese Praxis hineingehen, sie beobachtet die Männer, die draußen stehen oder im Auto warten. Und beobachtet die Frauen, die wieder herauskommen; vor kurzem hat sie mir ein Bild geschildert, wie ein junges Pärchen in diese Praxis hineinging, sich auch nicht davon abhalten ließ. Sie gingen Arm in Arm hinein,und als sie wieder hinauskamen, die Frau sehr blass, da standen sie und warteten auf einen Taxi, und jeder schaute in eine andere Richtung.“

Szenen vor einem Krankenhaus in Deutschland, in dem Abtreibungen durchgeführt werden. Wer da spricht ist Dr. Angelika Pokropp-Hippen, Ärztin und Psychotherapeutin in Münster.

„Also was wichtig ist – nach einer Abtreibung - ist Versöhnung. Versöhnung auch auf verschiedensten Ebenen. Für dieses Klima der Versöhnung brauch ich auch ein Klima der Öffnung zu einem Gespräch. Denn nur das was ich erkenne und ausspreche – aussprechen heißt auch, dass ich jemanden habe, der mir zuhört – nur da kann wirklich ein Klima wachsen, wo ich dann zur Versöhnung finden kann. Versöhnung ist ja nicht etwas, was auf Knopfdruck geschieht, sondern es ist ein Weg, ein Prozess. Es gibt verschiedene Ebenen, wo nach einer Abtreibung diese Versöhnungsarbeit stattfinden muss. Sie muss in mir selbst stattfinden. Das ist auch das Allerschwierigste. Denn ein Teil von mir hatte ja der Abtreibung zugestimmt und ein anderer Teil war vielleicht ambivalent, war aber zu schwach. Dann muss die Versöhnung mit dem Partner stattfinden, der nicht die Initiative gefunden hat, zu sagen: das ist unser Kind, wir schaffen das. Oder: ich halte zu dir, auch wenn wir nicht zusammen leben, ich lasse dich nicht im Stich. Es ist auch die Versöhnung mit anderen, die zur Abtreibung geraten haben, oder die eben nicht geholfen haben, aus der Familie oder aus dem Freundeskreis. Es ist die Versöhnung mit sich selbst in Beziehung zu Gott, denn Gott – egal in welcher Konfession ich stehe – Gott wird immer als Quelle des Lebens erkannt und anerkannt. Und diese Quelle hat das Leben geschenkt und ich habe diese Quelle sozusagen zum Versiegen gebracht. Und dann ist auch eine Versöhnungsarbeit notwendig, die je nach Ausformung, je nach konfessioneller Ausrichtung oder je nach Religion ihre eigene Färbung und ihre eigenen Rituale hat. Aber die auch ganz wichtig ist. Ich muss mich auch mit meinem eigenen Leben wieder versöhnen. Das heißt: den Lebensfaden wieder aufnehmen.“

Versöhnungsarbeit
„Aber ich möchte auch betonen, dass nicht jeder, der daran leidet eine Abtreibung zu bedauern, eine Therapie braucht. Es braucht jeder einen Menschen, der spricht, der zuhört. Es wird sich dann zeigen, wenn ich mich öffne, wenn dann das Gespräch beginnt, inwieweit ich dann in das natürliche Trauern hineinfinden kann, und darüber auch Wege finden kann, die Trauer in mein Leben zu integrieren – denn das gehört zu einer natürlichen Trauerarbeit dazu. Dass der Verlust eines Tages integriert wird in mein Leben, ich dann mein Leben wieder fortsetze und dieses Verlorene ein Teil meines Lebens geworden ist. Aber ein versöhnter Teil. Wenn das aber nicht gelingt, wenn ich da stecken bleibe, wenn meine Gedanken und Gefühle kreisen, wenn ich dann körperlich und seelisch daran leide, dann ist der Punkt gekommen, dass ich Hilfe brauche. Und dann sollte auch Hilfe da sein. Also die Versöhnungsarbeit, die Heilung zur Versöhnungsarbeit setzt immer voraus, dass ich wirklich in der Tiefe eine Versöhnung erfahre. In der Tiefe meiner eigenen Seele, in der Tiefe meiner eigenen Lebensbeziehungen.
Und die allertiefste Lebensbeziehung, die wir haben, ist ja die Beziehung zu Gott: Ob sie uns bewusst ist oder nicht. Häufig ist es so, dass wenn ich anfange eine Abtreibung zu bereuen, ich auch nach meiner Gottesbeziehung suche. Weil – so wie es Johannes Paul II. im „Evangelium vitae“ ausgedrückt hat: es ist nichts verloren, die Kinder leben bei Gott, die Kinder bitten für euch bei Gott, sucht einen Weg, dass ihr zum Vater allen Erbarmens im Sakrament der Versöhnung Vergebung und Frieden findet. So sagt er es im katholischen Kontext. Das gilt für andere konfessionelle Ausrichtungen auf ihrer Seite, aber ich glaube, dass die Heilung der Gottesbeziehung etwas sehr, sehr Wesentliches ist, wenn es eine tiefe Versöhnung sein soll. Eine Versöhnung, die wirklich mein Leben lang, bis in meine Sterbestunde hineinträgt. Dann kann ich nämlich erleben, dass das geschieht, was wir in der Osternacht in der katholischen Kirche sagen: wir sagen, wenn wir die Osterkerze entzünden „glückliche Schuld, welch großen Erlöser hast du“. Ich kann also erleben, dass – so groß meine Schuld ist – die Erlösung durch Gott immer noch viel größer ist. Und das ist dann eine Tiefenerfahrung, die mich in vielen Konflikten meines Lebens, in vielen Wunden meines Lebens heilen wird. Aber nicht jede Therapie kann diesen Weg gehen, weil nicht jeder, der in eine Therapie kommt, religiös bewusst ist.
Ich glaube, dass jeder Mensch im Grunde religiös ist. Ich glaube, wir haben alle einen religiösen Kern. Aber es gibt viele Menschen in unserer Zeit, die keinen religiösen Zugang haben. Ihre religiöse Gottesbeziehung ist verschüttet. Und da muss man dann sehr sensibel die Menschen dort abholen, wo sie sind. Man darf sie nicht „zwangsevangelisieren“ und seine Meinung sozusagen zum Allheilmittel anbieten. Das werden sie nicht annehmen. Sie müssen in sich selbst diesen Weg in diese tiefe, innere, religiöse Ebene freilegen. Dabei kann man helfen.“

Das Sakrament der Versöhnung
„Ich kenne aber auch Patientinnen, die schon öfter gebeichtet haben, oder die Versöhnung mit Gott gesucht haben und die sagen: Gott hat mir vergeben, aber ich kann mir nicht vergeben. Da möchte ich vielleicht noch einen Impuls sagen dürfen: Schauen wir uns das Kreuz an. Das Kreuz besteht aus einer Horizontalen und einer Vertikalen. Die Horizontale ist die Versöhnung mit mir selbst, und die fällt Frauen oft schwer. Die Vertikale ist die Versöhnung, die ich von Gott erhalte. Die wird mir geschenkt, wenn ich Gott darum bitte. Wir katholischen Christen sagen auch, wenn wir im Sakrament der Versöhnung diese Freisprechung bekommen: aber was steht im Zentrum dieses Kreuzes, da wo sich die beiden Balken kreuzen, wenn ich jetzt mir selbst nicht vergeben kann? Dort wartet Christus. Er ist an dieses Kreuz gegangen, und er ist für mich zur Sünde geworden, um meine Sünde zu tragen. Auch die Sünde der Abtreibung findet Erlösung in seiner Liebe.“


Trauer um ein verlorenes Kind
„Ich schließe dann mit einem Gedicht: dieses Gedicht habe ich geschrieben, nicht nach einer Abtreibung, sondern nach einer Fehlgeburt, wo ich selbst ein Kind verloren habe. Aber ich denke, was ich ja schon zum Ausdruck brachte, die Trauer um ein vorgeburtlich gestorbenes Kind kann alle vereinen, die daran leiden und so widme ich es auch allen, die einen Verlust eines Kindes leiden, sei es nach einer Abtreibung, oder sei es nach einer Fehlgeburt.

An mein totgeborenes Kind und seine Engel:

Du großer Engel, wenn Du zurückfliegst in das Licht
sag meinem Kind, dass ich es liebe.
Du großer Engel, wenn Du sein Lachen hörst
still meine Tränen mit seinem Glück.
Du großer Engel, deck seinen kleinen Leib
mit Deinen Flügeln zu.
Nie sah ich seine Augen, nie hege ich seine Hand.
nie spürte ich seinen Atem.
Du großer Engel, ich danke Dir,
dass Du seine Seele zu meiner Seele begleitest.
Ich danke Dir, dass Du die Brücke bist,
dass Du der Helfer bist. Dass in Deiner Gottesnähe
mein Kind geborgen ist. Amen“

(rv 03.07.2011 ord)








All the contents on this site are copyrighted ©.