2011-06-25 11:12:09

Die Predigt von Kardinal Walter Kasper zur Seligsprechung der Lübecker Märtyrer


Liebe Schwestern und Brüder!
„Die Stunde ist da!“, so beginnen die Abschiedsworte Jesu vor seinem Sterben. Wir haben sie soeben im Evangelium gehört. Ähnlich beginnen die Abschiedsbriefe der vier Männer, derer wir heute mit großem Respekt und Verehrung gedenken: der Kapläne Johannes Prassek, Eduard Müller, Hermann Lange sowie des evangelischen Pastors Karl Friedrich Stellbrink. Für sie war die Stunde am 10. November 1943 gekommen. Nach langen, unsicheren, quälenden Wochen und Monaten des Wartens wurden sie gegen Abend dieses Tages zur Guillotine geführt und innerhalb von nur 30 Minuten nacheinander enthauptet.

Doch in ihren Abschiedsbriefen steht nichts von Angst, nichts von Panik, nichts von Depression. Im Gegenteil! „Heute Abend ist es soweit, dass ich sterben darf… Seid nicht traurig! Was mich erwartet ist Freude und Glück.“ „Heute darf ich sterben.“ „Heute darf ich nach Hause.“ schreibt Johannes Prassek. Nicht anders Eduard Müller: „Jetzt ist es soweit! In wenigen Stunden habe ich meinen Lebensweg vollendet. Karl Friedrich Stellbrink schreibt an seine Frau Hildegard: „Nun hat alles Warten ein Ende, der Weg liegt endlich wieder klar vor mir, und das Ziel ist uns Christen ja bekannt. Wahrlich es ist nicht schwer zu sterben und sich in Gottes Hand zu geben.“ Am deutlichsten ist der Jüngste unter ihnen, Vikar Hermann Lange, erst 31 Jahren alt – in einem Alter, in dem man normalerweise nicht ans Sterben denkt und sich noch weniger aufs Sterben freut. Doch er zitiert aus dem Brief des Apostels Paulus, den wir soeben gehört haben: „Freut euch, nochmals sage ich euch, freut euch!... Heute kommt die größte Stunde meines Lebens.“
Wir fragen: Wie ist so etwas möglich, im Angesicht der Hinrichtung so zu schreiben? Es gibt nur eine Antwort. Für diese Männer war wirklich, was Jesus in seinem Abschiedsgebet sagte. Wie Jesus wussten sie sich eins mit Gott; sie wussten sich im Leben und im Sterben von Gott gehalten. Sie wussten: Nichts kann uns trennen von der Liebe Gottes, weder Leben noch Tod. Diese vier Männer sagen uns, was es heißt, ein Christ zu sein: Stehen, wo Jesus Christus steht, mit ihm leben und mit ihm sterben. So wie Jesus vor dem ungerechten zynischen Richter Pilatus stand, der ihn ans Kreuz schickte, so standen diese vier Männer von dem Volksgerichthof wo sie nach dem Willen Hitlers zum Tod verurteilt wurden.
So sind nicht wir es, die sie selig sprechen. Jesus selbst hat sie selig gesprochen. In der Bergpredigt preist Jesus alle selig, die um seines Namens willen beschimpft, verfolgt und verleumdet werden (Mt 5,11). Die Seligsprechung, die wir hier vollziehen, proklamiert nur öffentlich die Seligsprechung, die Jesus längst vollzogen hat. Mit dieser unserer Seligsprechung anerkennen wir, dass Jesu Wort wahr und verlässlich ist, das gilt, was er sagte, so dass er sie zu sich in seine himmlische Seligkeit aufgenommen hat.
Von diesen vier Zeugen gilt, was schon der Prediger des Alten Testaments sagt: „Du, Herr, hast sie vom Tod errettet,…du hast sie befreit von der Geißel böser Zungen, von den Lippen böser Lügner, gegen ihre Widersacher standest du ihnen zur Seite,… aus der Schlinge all derer, die auf ihren Fall lauerten, … aus vielen Nöten hast du sie befreit… (Sir 51,2-4).“

Diese vier Männer, die für ihre christliche Überzeugung eingestanden sind, die wortwörtlich den Kopf hingehalten haben, sind uns Zeugen des Glaubens an Jesus Christus und sein Evangelium. Zeugen, das heißt in der griechischen Ursprache des Neuen Testaments martyreis, Märtyrer. Solche Märtyrer gab es zu allen Zeiten, aber wohl nie so viele wie im letzten Jahrhundert. So stehen die vier Lübecker neben hunderttausenden anderen, neben Bischof Galen und Bischof Sproll, neben Rupert Mayer, Karl Leisner, Bernhard Lichtenberg, Georg Häfner und dem Dresdner Hofkirchenkaplan Alois Andritzki, neben Alfred Delp und Max Josef Metzger, neben den evangelischen Pastoren und Theologen Paul Schneider und Dietrich Bonhoeffer.
Sie zeigen uns: Es gab damals nicht nur verblendete Nachläufer und feige Mitläufer, es gab auch das andere Deutschland; es gab mutige Christen, die ihr Haupt nicht gebeugt haben und sich nicht verbiegen ließen. Solche Männer und Frauen brauchen wir auch heute. Denn heute sind die Christen die weltweit am meisten verfolgte Gruppe. Bei uns gibt es, Gott sei Dank, keine Christenverfolgung, es wird keiner für seinen Glauben hingerichtet, bestenfalls muss er es ertragen, dass über ihn mal die Nase gerümpft wird, dass er als Außenseiter gilt und gelegentlich etwas Spott Häme über Christen und Kirche ausgegossen wird.
Wir können solcher manchmal gerechtfertigter, sehr oft aber auch ungerechter Kritik nicht mit einem angepassten stromlinienförmigen Kulturchristentum begegnen. Es braucht auch heute aufrechte Männer und Frauen, die sich nicht anpassen, die in christlicher Freiheit für ihren Glauben einstehen, die anders denken, anders reden und anders leben, Männer und Frauen, die überzeugt sind: Man muss Gott mehr gehorchen als den Menschen (Apg 5,29). Die Themen, um die es damals ging, geht es in anderer Weise auch heute: um die Würde des Lebens und das Recht zum Leben, Krieg und Gewalt, Fremdenfeindlichkeit, damals vor allem gegenüber Juden, es geht heute um die neuen Idole: Konsum, Geld, Prestige, Macht, Einfluss, Sexappeal.
Man kann heute wie damals mit christlichen Positionen auf scheinbar aussichtslosem Posten stehen. Als Christ kann man nicht immer auf der Siegerseite stehen. Das Christentum ist keine Wellness-Religion, und als Christ kann man nicht everybody’s darling sein wollen. Bloßes Namenchristentum taugt nichts. Wir brauchen Zeugen, und gerade in der verbreiteten Glaubwürdigkeitskrise des Christentums in unseren Breiten, können nur Zeugen wirklich überzeugen. So können die vier Lübecker Märtyrer uns Vorbild sein, an dem wir aus ausrichten; sie können uns neu Mut und Hoffnung machen, an denen wir uns aufrichten. Schon die Märtyrerkirche der ersten Jahrhunderte wusste: „Das Blut der Märtyrer ist der Same neuer Christen.“ Ihr Zeugnis ist nicht umsonst und ihr Tod geht nicht ins Leere und ins Nichts. Aber es sind nicht die scheinklugen Kompromissler, es sind die mutigen Zeugen, welche für die Zukunft des Christentums und für den Aufbau einer christlich-humanen Kultur in unserem Land stehen.

Meine lieben Schwestern und Brüder! Diese Hoffnung dürfen wir auch auf die ökumenische Situation anwenden. Was in der Begegnung von Johannes Prassek und Carl Friedrich Stellbrink geschehen ist, war damals etwas völlig Neues. Diese beiden Männer haben es gewagt, als erste hier in Lübeck einen Schritt über die damals engen Konfessionsgrenzen und die hohen Konfessionsmauern zu tun. Damit haben sie den Grund für das gelegt, was wir heute Ökumene nennen. Sie haben den Auftrag Christi ernst genommen „dass alle eins seien“ (Joh 17,21). Am Ende floss ihr Blut ineinander. Dieses Blut der Märtyrer ist zum Samenkorn der Ökumene geworden, es ist in der Erde gefallen und hat reiche Frucht gebracht (vgl. Joh 12,24).
Unsere Ökumene ist aufgebaut auf der Ökumene der Märtyrer. Sie ist darum keine Wischi-Waschi-Ökumene. Wir brauchen ökumenische gesinnte Christen, die ihre jeweilige katholische, evangelische oder orthodoxe Identität haben und davon Zeugnis geben; nur als solche können sie ernsthafte Schritte aufeinander hin tun. Solche Ökumene ist kein Selbstzweck. Jesus betete, dass alle eins seien, damit die Welt glaube.“ Die Spaltung macht uns unglaubwürdig. Sie widerspricht dem Willen Jesu und sie ist angesichts der Welt und der großen Herausforderungen, vor denen wir Christen gemeinsam stehen, ein Skandal. Ökumene muss ist eine Baustelle sein für die gemeinsame Zukunft in der einen Kirche für das Leben, den Frieden und die Gerechtigkeit in der einen Welt.
Liebe Schwestern und Brüder! Von dieser Seligsprechung muss ein kräftiger Impuls ausgehen – ein Impuls zum aufrechten Gang als Christen in dieser Zeit. Wer kann uns Besseres und Größeres geben als Jesus Christus? Wer kann uns Größeres und Tieferes sagen und geben? Wer sonst kann wie diesen vier Märtyrern auch uns selbst in schwierigsten Situationen Hoffnung und Freude geben? Wahrlich, wir brauchen uns als Christen nicht verstecken, und wir sollen uns auch nicht verbiegen lassen. Wir sollen zuversichtlich auf die großen Zeugen des letzten Jahrhunderts schauen. Wie sie sollen wir nicht auf der bequemen breiten Heerstraße gehen sondern wenn nötig den steilen Weg wählen. Jesus Christus ist dieser Weg, er ist die Wahrheit und das Leben (Joh 14,6). Für ihn sollen auch wir Zeugen sein. Amen.

(rv 25.06.2011 mg)







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