Vatikan/Ägypten: „Lösungen liegen im Aufbau des Rechtsstaates“
Nach dem Umsturz in
Ägypten hat sich die Situation für Christen in dem Land zwar nicht verbessert, aber
erste Bedingungen für ihr Wirken sind geschaffen. Das hat Kardinal Antonios Naguib,
Patriarch der koptisch-katholischen Kirche in Ägypten, an diesem Dienstag im Interview
mit Radio Vatikan unterstrichen. Der Patriarch nimmt in dieser Woche an der 84. Sitzung
der Hilfswerke für die Ostkirchen (ROACO) im Vatikan teil. Das Treffen soll zum besseren
Verständnis der Situation der Christen im Nahen Osten beitragen und dementsprechend
zu einer effizienteren Ausrichtung der kirchlichen Projekte in der Region beitragen,
die im Zeichen des Aufbaus, Friedens und Dialoges stehen. Natürlich steht die ROACO-Sitzung
in diesem Jahr stark unter dem Eindruck des so genannten „Arabischen Frühlings“. Kardinal
Naguib berichtet von der aktuellen Lage der Christen in Ägypten:
„Die Situation
der Christen hat sich (nach dem Sturz der Regierung) nicht radikal verändert, sie
haben dieselben Probleme wie zuvor. Wenn wir uns aber die Gesamtsituation des Landes
ansehen und das System in sich, kann man von einem großen Sprung nach vorn sprechen.
Es ist ein großer Verdienst, ein diktatorisches und korruptes System zu beenden, auch
wenn die Schwierigkeiten im engeren Sinne bleiben. Das gilt aber nicht nur für die
Christen, sondern für alle Bürger. Die Probleme der Christen werden natürlich nicht
vom einen auf den nächsten Tag gelöst.“
Eine langfristige Verbesserung
der Situation der Christen in Ägypten liegt nach Ansicht des koptisch-katholischen
Patriarchen in der Errichtung eines funktionierenden Rechtsstaates, in dem Religionsfreiheit
und gleiche Rechte und Pflichten für alle Bürger gelten. Die christliche Minderheit
wurde ja in den letzten Jahrzehnten von weiten Teilen des öffentlichen Lebens in Ägypten
ausgeklammert; sie hatte zum Beispiel nur sehr beschränkt Zugang zu Ämtern in der
Verwaltung und zu politischen Rechten. Was die Angriffe radikaler Muslime auf christliche
Kirchen betrifft, da habe die amtierende Militärregierung zumindest erste Schritte
unternommen, berichtet Naguib:
„Die Militärkommission, die derzeit die
Macht im Land hat, hat auch positive Maßnahmen getroffen, um diesen Angriffen und
den (interreligiösen) Konflikten zu begegnen. Sie hat aber das Problem noch nicht
an der Wurzel gepackt, nämlich die Konflikte mit Mitteln des Rechtsstaates und der
Gesetze zu lösen. Wir denken und hoffen, dass sich diese Mittel Schritt für Schritt
durchsetzen werden.“
Sollten den Christen in Zukunft tatsächlich mehr Rechte
in Ägypten eingeräumt werden, ist Naguib zufolge ihr Weg auch in die Politik frei.
„Man muss sich klar machen: Die Christen sind im sozialen Leben präsent.
Wir hoffen, dass sie in diesem Prozess, in dieser Orientierung hin zum demokratischen
und zivilen Staat inklusive einer entsprechenden Verfassung ihren festen Platz finden.
Ebenso in den noch mehr in den Parteien, die auf dieses Ideal hin arbeiten.“
Die
Sitzung der Hilfswerke für die Ostenkirchen geht noch bis zum 24. Juni. Über 20 Vertreter
katholischer Vereinigungen aus zehn Ländern des Nahen Ostens sind anwesend, darunter
der neue maronitische Patriarch aus dem Libanon, Bechara Boutros Rai, sowie des Kustos
im Heiligen Land, Pater Pierbattista Pizzaballa. Aus Deutschland sind Vertreter des
Hilfwerks Renovabis aus Freising beteiligt.
Die Vereinigung der Hilfswerke
für die Ostkirchen wurde 1968 von der Ostkirchenkongregation gegründet. Die geleistete
Hilfe bezieht sich auf alle Lebensbereiche der Christen im Nahen Osten: Kultausübung
und Priesterausbildung, Schul- und Kulturprogramme sowie die medizinische Versorgung.
Aktuell ist Kardinal Leonardo Sandri Präfekt der Ostkirchenkongregation.