Vatikan/Dresden: Gipfeltreffen der Raffael-Madonnen
Zwei Zwillingsmadonnen
von Raffael, eine aus Dresden, die andere aus dem Vatikan, werden sich in Kürze für
die Zeit einer Ausstellung wieder vereinen. Es handelt sich um zwei weltberühmte Gemälde:
die so genannte Sixtinische Madonna in Dresden und die Madonna von Foligno, die normalerweise
in den Vatikanischen Museen zu sehen ist und Ende August nach Dresden reist. Möglich
gemacht hat dieses Gipfeltreffen der Kunst niemand anderer als Papst Benedikt XVI.
selbst. Zu seinen Ehren und anlässlich seines Deutschlandbesuches finden die beiden
Raffael-Madonnen in der sächsischen Hauptstadt zusammen.
„Das ist ein Weltereignis“,
sagt Arnold Nesselrath, der als Raffael-Forscher an den Vatikanischen Museen die Abteilung
für die Kunst der Neuzeit leitet. „Das hat es zuletzt vor 500 Jahren gegeben, in Raffaels
Werkstatt, und Raffaels beide ersten großen römischen Altarbilder, zwei Marienvisionen,
die im selben Jahr entstanden sind, zusammenhängen zu können, ist einfach ein ganz
großer Traum. Mehr kann man sich als Raffael-Forscher nicht wünschen.“
„Himmlischer
Glanz. Raffael, Dürer und Grünewald malen die Madonna“ heißt die Ausstellung, die
am 6. September in Dresden beginnt. Die spektakuläre Widerzusammenführung der beiden
Raffael-Madonnen hat dabei die deutsche Botschaft beim Heiligen Stuhl eingefädelt.
Ideengeberin war eine Ausstellung in London letztes Jahr, die – ebenfalls zum Papstbesuch
– die vatikanischen Wandteppiche Raffaels mit den Original-Kartons dazu zusammenführte.
Etwas ähnlich Großes wollte man nun für den Deutschlandbesuch in die Wege leiten.
Gerade für Dresden ist das „Gipfeltreffen der Raffael-Madonnen“ eine echte
Staatsaffäre, sagt Martin Roth, Generaldirektor der Staatlichen Kunstsammlungen Dresden,
zu deren Besitz Raffaels Sixtinische Madonna gehört.
„Es ist für eine Stadt
wie Dresden, die gebeutelt und betroffen war in der Geschichte, in denen die Kunstsammlungen
immer so etwas waren wie das Rückgrat für die Menschen, um wieder aufrecht zu stehen
mit einem gewissen Stolz, etwas ganz Besonderes. Es geht auch darum, wieder eine Identität
zu erreichen. Und da spielt die Sixtinische Madonna eine ganz zentrale Rolle, nicht
nur in Dresden. Schauen Sie sich die russische Literatur an mit Dostojewski und Tolstoj,
gehen Sie auf das Landgut von Tolstoj und sie werden sehen, dass das ganze Landgut
der Sixtinischen Madonna von Raffael gewidmet ist. Also dieses Verbindende über politische
Systeme und Religionen hinweg ist etwas ganze Besonderes. Und wenn wir die Möglichkeit
haben, anlässlich des Besuches des Heiligen Vaters darauf hinzuweisen, ist das ein
Zeichen, das weit über die Kunstgeschichte hinausgeht.“
Die Sixtinische
Madonna ist für Dresden das, was für den Louvre di Mona Lisa ist. Viele Gäste, sagt
Museumsdirektor Roth, kommen in die sächsische Metropole, nur um dieses Gemälde zu
sehen. Der berühmteste Ausschnitt des Bildes ist am unteren Rand zu finden: Die beiden
kleinen Engel, die mit den drallen Ärmchen auf einer Brüstung lehnen und ein wenig
gelangweilt in den Himmel blicken. Die beiden Himmelsboten, millionenfach reproduziert
auf Postkarten, T-Shirts und Schlüsselanhängern, sind längst Teil der internationalen
Pop-Kultur. Wie hat Raffael es zuwege gebracht, Werke zu schaffen, die bis heute eine
derartige Wirkung entfalten? Was ist so archetypisch an seinem künstlerischen Stil?
Arnold Nesselrath:
„Goethe hat von Raffael gesagt, er ist wie Immanuel
– er hat immer recht. Das wird man nie verstehen. Aber seine Werke sind mit einer
solchen Spontaneität gemacht, gleichzeitig mit einer solchen Sicherheit! Wenn wir
uns das Fresko der Befreiung Petri (in den Raffael-Stanzen des Vatikans) ansehen,
da stimmt jedes Licht, da stimmt jeder Schatten, nicht weil der Maler darüber nachgedacht
hat, sondern weil er einfach sicher war, wie Licht funktioniert. Und weil er das hat
umsetzen können, ohne darüber nachzudenken.“
Derselbe Maler, dasselbe
Sujet, gemalt im selben Jahr – die sprichwörtlich engelsgleichen Züge der Madonna
kennzeichnen beide Bilder. Dennoch fand Raffael zwei unterschiedliche Zugänge. Die
Madonna von Foligno in den Vatikanischen Museen ist, wie Arnold Nesselrath sagt, ein
durch und durch römisches Bild.
„Es ist die Vision des Kaisers Augustus
auf dem Kapitol am Weihnachtstag. Ihm wird gleich nach den Hirten in Betlehem die
Geburt Christi verkündet – als die Geburt von jemand Größerem als ihm, damit er da
ja gleich keinen Fehler macht, sozusagen. Das ist etwas, was diesem Bild innewohnt
und was alle Leute vermitteln, die in diesem Bild unten am Bildrand stehen. Hieronymus,
der in Rom begraben ist, im römischen Bethlehem Santa Maria Maggiore, wo die Krippenreliquien
liegen: es ist im Grund ein Weihnachtsbild. Und es wird sich ja auch zu Weihnachten
in Dresden befinden.“
Anders die Sixtinische Madonna in Dresden:
„Das
ist der große Unterschied dieser Bilder, die Madonna Sistina nimmt Gedanken aus der
Planung der Madonna di Foligno auf, gestaltet aber das Thema bereits allgemeiner hinter
diesem Vorhang, wo lokale Konnotationen nicht mehr vorhanden sind. Insofern ist es
wunderbar, diese Sachen nebeneinander zu sehen, Bilder von dieser Qualität, von dieser
Dimension, das ist ein großes Geschenk, für das wir ungeheuer dankbar sind.“
Zwischen
Dresden und dem Vatikan beginnt mit der Madonnen-Schau eine aus beidseitiger Sicht
erfreuliche Zusammenarbeit. So wird es in der sächsischen Metropole zu einer Sonderausstellung
mit Skulpturen aus dem Vatikan kommen: Skulpturen aus der ethnologisch-missionarischen
Sammlung, die höchst eigenwillig und selten zu sehen sind. Es handelt sich um Werke
des Dresdner Künstlers Ferdinand Pettrich aus dem 19. Jahrhunderts, erläutert Martin
Roth von den Staatlichen Kunstsammlungen Dresden:
„Es sind Skulpturen von
Indianern aus Nordamerika. Ein in Dresden gebürtiger Bildhauer, der zuerst nach Rom
ging, dann in die USA, und dort wohl ein relativ wildes Leben gelebt und sozusagen
den lebenden Menschen nachgestellt hat. Wir kennen viele Zeichnungen und Gemälde aus
dem 19. Jahrhundert, die Indianer darstellen. Aber nicht Skulpturen mit dieser unbeschreiblichen
Lebendigkeit und mit diesem griechischen Vorbild, der edle Wilde, der die Vernunft
auf andere Weise wieder zurückbringt in unser Denken. Diese Geschichte zu zeigen,
die nordamerikanische politische Geschichte zu zeigen in Bezug auf die First Nation,
die Indianer, und dann die Tatsache, dass das Ganze via Brasilien hier an den Vatikan
kam – das ist so irrwitzig! Deshalb will ich gar nicht mehr erzählen: Man muss nach
Dresden kommen, wenn das stattfindet!“