2011-06-13 16:00:48

Brennt Syrien? Ein Gespräch mit Patriarch Gregorios III.


RealAudioMP3 Die Medienberichte aus Syrien sind düster: Panzer rollen durch Innenstädte, Demonstrationen werden niedergeschlagen, Familien flüchten über die Grenze zur Türkei. Aber der melkitisch-katholische Patriarch von Antiochien, der in Damaskus residiert, ärgert sich maßlos über diese Berichte: Keiner habe das Recht, sich in Syriens Angelegenheiten zu mischen. Das sagte Gregorios III. Laham an diesem Montag im Gespräch mit unserem Kollegen Mario Galgano.

Hier finden Sie die schriftliche Fassung des Interviews. Man darf beim Lesen berücksichtigen, dass sich der Patriarch vielleicht angesichts eines möglichen Abhörens seines Telefons nicht zu jedem Punkt mit der gebotenen Freiheit äußern kann.

„Es brennt nicht überall, sondern einmal hier, einmal da. Also, in Damaskus leben wir ein ganz normales Leben: Bis zur Grenze nach Jordanien ist alles in Ordnung. Vor kurzem war der Bischof von Aleppo bei mir, und auch er hat mir bestätigt, dass in Aleppo alles in bester Ordnung ist. Also, meine erste Bemerkung ist: Es brennt nur in einigen bestimmten Gebieten.

Zweitens: Was man immer wieder in der europäischen Presse sagt, ist einseitig und stimmt überhaupt nicht oder höchstens teilweise. Es gibt zum Beispiel mehr Angriffe auf Polizisten als Angriffe der Armee auf Zivilisten! Da bin ich ganz sicher.“

Und warum gibt es diese Angriffe?

„Das sind Fremde, die mit Waffen demonstrieren. Kann man in einem zivilisierten, demokratischen Land in Europa etwa eine Kundgebung mit Waffen abhalten, oder ohne Erlaubnis? Das wollen die Medien in Europa – sogar der „Osservatore Romano“ nicht verstehen. Das ist ungerecht! Ich kenne mein Dorf und spreche mit vielen Priestern, die sagen: Es ist zu achtzig Prozent falsch, was man in der europäischen Presse schreibt. Die Armee reagiert auf bewaffneten Widerstand gegen die Polizisten – die Armee muss ja auch die einfachen Menschen, die Zivilisten verteidigen. Also, Sie können verstehen: Als Patriarch und Hirte sage ich, das ist eine übertriebene Sache, die von Europa ausgeht.

Man darf ruhig (die syrische Regierung) ermahnen und mehr Freiheit fordern, mehr Gerechtigkeit und Entwicklung der Wirtschaft, auch Reformen. Aber man darf nicht (Konflikte) schüren und behaupten, es gebe Hunderte von Toten usw. Der Heilige Vater hat mit Recht gesagt, man müsse die Würde der Menschen achten. Europa hat ein Recht, Syrien zu ermahnen, aber es sollte auch versuchen, das Land zu verstehen! Es geht nicht um Reformen, die haben wir in Fülle. Ich bin seit zehn Jahren Patriarch, in dieser Zeit habe ich eine ungeheure Entwicklung erlebt. Es gibt nur eine Partei, das stimmt allerdings; aber wir haben Wasser, Licht, Wirtschaft, neue Universitäten und Schulen – und wir Christen haben Freiheit! Wenn jemand eine Kundgebung mit Waffen veranstaltet, dann muss man ihm sagen: Du bist im Unrecht, du bist ein falscher Revolutionär!“

Hat das auch mit der Lage im ganzen arabischen Raum zu tun?

„Genau, das ist eine Ermutigung durch Libyen, Ägypten und Jemen, dass man auch hier dasselbe tut und einen Aufstand versucht. Aber es ist keine echte Revolution. Ich kann Ihnen versichern, dass ich viel Erfahrung habe im Alltag dieses Landes: Erbarmen Sie sich unser! Wohin gehen wir? Es ist wie im Irak – der ist doch jetzt ein geeinter Irak. Warum gibt es dort trotzdem jeden Tag Tote? Bitte sagen Sie mir das! Können die USA mit all ihren Kräften nicht verhindern, dass es dort Attentate gibt? Warum sagt die USA auch kein Wort gegen Israel, wenn es bei Kundgebungen in den letzten Wochen Menschen tötet? Wie lange haben die Palästinenser in Gaza gelitten wie in einem großen Gefängnis? Warum sagt man da kein Wort, aber mit Blick auf Syrien ruft man: Der Präsident muss weg! Wer hat ein Recht dazu? Niemand, weder Nato noch UNO! Wir sind ein freies Land, keine Sklaven, wir können unsere Probleme selbst lösen!

Europa muss verstehen, dass das Zusammenleben von Christen und Muslimen in Gefahr ist, wenn es so weitergeht! Syrien kann den neuen Weg einschlagen, da bin ich sicher; es hat ja auch schon damit angefangen. Aber man muss dem Zeit geben...

Die Türkei war so herzlich willkommen hier in Syrien, gute Bedingungen usw. – und jetzt auf einmal sprechen sie gegen Syrien und wollen unter Umständen sogar dort einmarschieren. Das ist einfach nicht erlaubt! Kann denn Deutschland etwa einfach in Frankreich einmarschieren? Wieso kann der türkische Präsident einfach sagen: Ich bin bereit, in Syrien einzumarschieren? Das ist gegen alle Regeln der Gesellschaft heute!“

Vielleicht gibt es da noch andere Interessen...

„Ja, das ist es! Und dasselbe gilt für Frankreich, unseren Freund. Wie kommt der französische Außenminister dazu zu sagen, der syrische Präsident sei nicht mehr legitim? Da kommt dann die Gegenreaktion Moslems gegen Christen... Wir sind in Gefahr! Wir sind die ersten Opfer, wenn es zu einem Chaos kommt – und wenn es so weitergeht, dann kommt es zu einem Chaos!“

(rv 13.06.2011 sk)








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