Brennt Syrien? Ein Gespräch mit Patriarch Gregorios III.
Die Medienberichte
aus Syrien sind düster: Panzer rollen durch Innenstädte, Demonstrationen werden niedergeschlagen,
Familien flüchten über die Grenze zur Türkei. Aber der melkitisch-katholische Patriarch
von Antiochien, der in Damaskus residiert, ärgert sich maßlos über diese Berichte:
Keiner habe das Recht, sich in Syriens Angelegenheiten zu mischen. Das sagte Gregorios
III. Laham an diesem Montag im Gespräch mit unserem Kollegen Mario Galgano.
Hier
finden Sie die schriftliche Fassung des Interviews. Man darf beim Lesen berücksichtigen,
dass sich der Patriarch vielleicht angesichts eines möglichen Abhörens seines Telefons
nicht zu jedem Punkt mit der gebotenen Freiheit äußern kann.
„Es brennt nicht
überall, sondern einmal hier, einmal da. Also, in Damaskus leben wir ein ganz normales
Leben: Bis zur Grenze nach Jordanien ist alles in Ordnung. Vor kurzem war der Bischof
von Aleppo bei mir, und auch er hat mir bestätigt, dass in Aleppo alles in bester
Ordnung ist. Also, meine erste Bemerkung ist: Es brennt nur in einigen bestimmten
Gebieten.
Zweitens: Was man immer wieder in der europäischen Presse sagt, ist
einseitig und stimmt überhaupt nicht oder höchstens teilweise. Es gibt zum Beispiel
mehr Angriffe auf Polizisten als Angriffe der Armee auf Zivilisten! Da bin ich ganz
sicher.“
Und warum gibt es diese Angriffe?
„Das sind Fremde, die mit
Waffen demonstrieren. Kann man in einem zivilisierten, demokratischen Land in Europa
etwa eine Kundgebung mit Waffen abhalten, oder ohne Erlaubnis? Das wollen die Medien
in Europa – sogar der „Osservatore Romano“ nicht verstehen. Das ist ungerecht! Ich
kenne mein Dorf und spreche mit vielen Priestern, die sagen: Es ist zu achtzig Prozent
falsch, was man in der europäischen Presse schreibt. Die Armee reagiert auf bewaffneten
Widerstand gegen die Polizisten – die Armee muss ja auch die einfachen Menschen, die
Zivilisten verteidigen. Also, Sie können verstehen: Als Patriarch und Hirte sage ich,
das ist eine übertriebene Sache, die von Europa ausgeht.
Man darf ruhig (die
syrische Regierung) ermahnen und mehr Freiheit fordern, mehr Gerechtigkeit und Entwicklung
der Wirtschaft, auch Reformen. Aber man darf nicht (Konflikte) schüren und behaupten,
es gebe Hunderte von Toten usw. Der Heilige Vater hat mit Recht gesagt, man müsse
die Würde der Menschen achten. Europa hat ein Recht, Syrien zu ermahnen, aber es sollte
auch versuchen, das Land zu verstehen! Es geht nicht um Reformen, die haben wir in
Fülle. Ich bin seit zehn Jahren Patriarch, in dieser Zeit habe ich eine ungeheure
Entwicklung erlebt. Es gibt nur eine Partei, das stimmt allerdings; aber wir haben
Wasser, Licht, Wirtschaft, neue Universitäten und Schulen – und wir Christen haben
Freiheit! Wenn jemand eine Kundgebung mit Waffen veranstaltet, dann muss man ihm sagen:
Du bist im Unrecht, du bist ein falscher Revolutionär!“
Hat das auch mit der
Lage im ganzen arabischen Raum zu tun?
„Genau, das ist eine Ermutigung durch
Libyen, Ägypten und Jemen, dass man auch hier dasselbe tut und einen Aufstand versucht.
Aber es ist keine echte Revolution. Ich kann Ihnen versichern, dass ich viel Erfahrung
habe im Alltag dieses Landes: Erbarmen Sie sich unser! Wohin gehen wir? Es ist wie
im Irak – der ist doch jetzt ein geeinter Irak. Warum gibt es dort trotzdem jeden
Tag Tote? Bitte sagen Sie mir das! Können die USA mit all ihren Kräften nicht verhindern,
dass es dort Attentate gibt? Warum sagt die USA auch kein Wort gegen Israel, wenn
es bei Kundgebungen in den letzten Wochen Menschen tötet? Wie lange haben die Palästinenser
in Gaza gelitten wie in einem großen Gefängnis? Warum sagt man da kein Wort, aber
mit Blick auf Syrien ruft man: Der Präsident muss weg! Wer hat ein Recht dazu? Niemand,
weder Nato noch UNO! Wir sind ein freies Land, keine Sklaven, wir können unsere Probleme
selbst lösen!
Europa muss verstehen, dass das Zusammenleben von Christen und
Muslimen in Gefahr ist, wenn es so weitergeht! Syrien kann den neuen Weg einschlagen,
da bin ich sicher; es hat ja auch schon damit angefangen. Aber man muss dem Zeit geben...
Die
Türkei war so herzlich willkommen hier in Syrien, gute Bedingungen usw. – und jetzt
auf einmal sprechen sie gegen Syrien und wollen unter Umständen sogar dort einmarschieren.
Das ist einfach nicht erlaubt! Kann denn Deutschland etwa einfach in Frankreich einmarschieren?
Wieso kann der türkische Präsident einfach sagen: Ich bin bereit, in Syrien einzumarschieren?
Das ist gegen alle Regeln der Gesellschaft heute!“
Vielleicht gibt es da noch
andere Interessen...
„Ja, das ist es! Und dasselbe gilt für Frankreich, unseren
Freund. Wie kommt der französische Außenminister dazu zu sagen, der syrische Präsident
sei nicht mehr legitim? Da kommt dann die Gegenreaktion Moslems gegen Christen...
Wir sind in Gefahr! Wir sind die ersten Opfer, wenn es zu einem Chaos kommt – und
wenn es so weitergeht, dann kommt es zu einem Chaos!“