Vladimir Stankovic: Leben und Leiden mit Kardinal Stepinac
Ein Mann „beispielhafter
Menschlichkeit“, ein „Kompass“ in schweren Zeiten – nicht nur die Päpste, hier wörtlich
Benedikt XVI. und Johannes Paul II., singen bis heute ein Loblied auf den kroatischen
Kardinal Aloisius Viktor Stepinac. Auch Kroatiens Katholiken, die den Seligen schon
mit dem letzten Papstbesuch in ihrem Land gern heilig gesehen hätten. Der ehemalige
Generalvikar der Erzdiözese Zagreb, Vladimir Stankovic‘, kannte den Kardinal persönlich.
Er hat Kardinal Stepinac‘ bewegtes Leben selbst als Seminarist bzw. junger Priester
ganz aus der Nähe mitverfolgen können und ist Stepinac‘ auch nach dessen Verurteilung
zu Gefängnis und Hausarrest durch die Kommunisten mehrmals begegnet. Anne Preckel
hat Stankovic in Zagreb getroffen; der heute über 80-jährige Geistliche wohnt direkt
gegenüber der Zagreber Kathedrale, also nur ein Paar Schritten vom Grab des Seligen
entfernt.
„Schon 1940, ich war damals 10 Jahre alt, in der dritten Volksschulklasse,
habe ich zusammen mit anderen Schülern das Sakrament der Firmung durch den Erzbischof
empfangen. Er selbst war damals als Bischof erst 42 Jahre alt. Ich habe den Erzbischof
dann auch später getroffen, denn ein Jahr später bin ich nach Zagreb in das Knabenseminar
ins Gymnasium gekommen. Ich kann mich daran erinnern, dass unser Erzbischof Stepinac‘
uns einmal im Jahr im Seminar für einige Tage besuchte. Er hat dann mit uns die Heilige
Messe gefeiert und mit unseren Professoren gesprochen. Für uns Schüler waren das immer
besondere Tage voller Spannung. Unsere Seminarleiter haben uns zu besonderen Festlichkeiten
mit in den Dom genommen, um zum Beispiel an der Osterfeier mit dem Erzbischof teilzunehmen“
Johannes
Paul II. hat Stepinac‘ im Jahr 1998 ja im kroatischen Wallfahrtsort Marija Bistrica
selig gesprochen. Benedikts Vorgänger bezeichnete den kroatischen Primas als „Kompass“
in schweren Zeiten – Stepinac soll ja nicht nur dem damaligen kommunistischen Regime
in der Sozialistischen Republik Kroatien die Stirn geboten haben, sondern schon zuvor,
zur Zeit des Faschismus, kein Blatt vor den Mund genommen haben – auch wenn es da
heute, ähnlich wie zu Papst Pius XII., unterschiedliche Meinungen gibt. Kritiker fragen,
ob er sich da nicht noch mehr hätte einsetzen können… Was ist Ihnen denn persönlich
zur Zeit des Zweiten Weltkrieges vom Kardinal in Erinnerung geblieben?
„In
Erinnerung ist mir ganz besonders das Christkönigsfest im Oktober 1943 geblieben.
An diesem Festtag hat unser Erzbischof seine berühmte Predigt gegen Rassismus gehalten.
Die damalige Ustascha-Regierung hat ihm das sehr übel genommen, ebenso die Deutschen
hier in Zagreb. Wir alle befürchteten, dass es für ihn deshalb zu einer Festnahme
kommen könnte.“
Ja, in dieser berühmten Predigt hat der Kardinal ja ganz
klar jede Form von Rassismus und religiöser Verfolgung verurteilt. Er hat sich auch
selbst in seiner Erzdiözese, er wurde ja 1937 zum Erzbischof der Stadt ernannt, für
ethnisch und religiös Verfolgte eingesetzt, für Juden und Zigeuner – wohlwissend,
dass er sich auf Messers Schneide bewegte. Zu kommunistischer Zeit unter Tito kam
Stepinac‘ dann von 1946 bis 1951 ins Gefängnis – nach einem regelrechten Schauprozess,
in dem er als Kollaborateur der Faschisten und politischer Umstürzler dargestellt
wurde. Haben Sie den Prozess gegen Stepinac damals verfolgen können?
„Ja
und nein. In den Gerichtssaal beim Prozess im Jahr 1946 konnten nur ausgewählte Leute
mit hineinkommen – nur wenige Kirchenamtsträger, alle anderen waren Kommunisten. In
unserem Seminar wurde damals keine Tageszeitung nicht ausgelegt, so konnten wir diesbezüglich
nichts erfahren. Aber das nahe liegende, staatliche Militärkrankenhaus hat den Prozess
mittels Lausprecher übertragen, so konnten wir das auch mithören. Unsere Vorgesetzten
haben uns sehr vorsichtig darüber informiert.“
Schon bevor Stepinac‘ ins
Gefängnis kam, wurde eine regelrechte Hatz auf Geistliche veranstaltet. Stepinac soll
jungen Priestern bei der Weihe gesagt haben: „Ich schicke euch in ein Blutbad“ – er
war sich durchaus schon vor dem Prozess um die Gefahren bewusst, die sein Handeln
für ihn selbst und die ihm anvertrauten Geistlichen mit sich brachte. Trotzdem blieben
viele ihm treu und versuchten wie Stepinac‘, sich der Unmenschlichkeit des Regimes
nicht zu beugen. Konnten Sie mit dem Kardinal noch irgendeinen Kontakt halten, als
er dann ins Gefängnis kam?
„Ich konnte ihn natürlich weder sehen, noch
mit ihm sprechen in dem Lepoglava-Gefängnis. Ich war aber im Jahr 1947 vielleicht
nur 200 Meter weit von ihm entfernt im Lepoglava-Gefängnis. Ich kam damals dorthin,
um meinen Vater dort zu besuchen, der für zwei Jahre eingesperrt wurde. Später habe
ich erfahren, dass der gleiche Staatsanwalt meinen Vater und den Kardinal zu Gefängnisstrafen
verurteilt hat.“
Was hat Ihnen Ihr Vater davon erzählt?
„Ja,
er hat mir erzählt, wie er und seine Mitgefangenen den Kardinal voller Ehrfurcht betrachtet
haben, bei seinen Spaziergängen im Hof. Seine Anwesenheit als Kardinal war für sie
ermutigend, weil sie alle politische Gefangene waren.“
Stepinac‘ kam 1951
unter Hausarrest. Er durfte in seinen Geburtsort nach Krašić zurückkehren, wurde aber
rund um die Uhr durch die lokale Polizei bewacht. Haben Sie dann wieder Kontakt zu
ihm aufnehmen können?
„Unsere Vorgesetze im Seminar durften uns nichts öffentlich
über ihn berichten. Aber wir, Theologen und Studenten, haben andere Wege gefunden.
Wir sind nämlich in kleinen Gruppen von zwei bis drei Personen mit Fahrrädern
von Zagreb aus nach Krašić aufgemacht, das war eine 45 km lange Strecke, und trotz
der ständigen Polizeiwache vor dem Pfarrhaus gelang es uns, durch den Keller ins Haus
zu kommen und mit dem kardinal zu sprechen! Ich persönlich war auf diese
Weise zwei Mal bei ihm in Krašić. Das erste Mal im Jahr 1955, um an seiner
Heiligen Messe in der Pfarrkirche teilzunehmen und anschließend mit ihm in der Sakristei
zu sprechen. Ich erinnere mich – das war am 9. April 1956 – bin ich als Diakon mit
unserem Vizedirektor und noch einem Kollegen zu ihm gefahren, und wir konnten mit
ihm auch zu Mittag essen und normal sprechen.“
Was ist Ihnen von dieser
Begegnung in Erinnerung geblieben, was hat er gesagt?
„Unser Kardinal hat
sich über die Umstände im Priesterseminar informieren lassen. Zuerst hat er uns gewarnt
vor einem Priesterverein, der das kommunistische Regime befürwortete. Mit dieser Vereinigung
wollten die Kommunisten die Kirche regieren, um sie besser manipulieren zu können.
In anderen kommunistischen Ländern hat sich diese Vereinigungen später „pacem in terris“,
also „Friedenspriester“ genannt.“
Ja, und dieser scheinbar kirchenkonforme
Name konnte nicht darüber hinwegtäuschen, dass es sich bei dieser Priestervereinigung
um Kollaborateure des kommunistischen Regimes handelte. Stepinac‘ hat junge Priester
also davor gewarnt, mit dem Regime in irgendeiner Form zusammenzuarbeiten. Dementsprechend
setzte er den Bestrebungen der Machthaber, einen Keil in die katholische Glaubensgemeinschaft
zu treiben, stets kompromisslose Treue gegenüber dem Heiligen Stuhl entgegen – auch
noch, als er von den Machthabern massiv unter Druck gesetzt wurde. 1953 wurde er von
Papst Pius XII. zum Kardinal ernannt – aus der Ferne, denn Stepinac saß ja in Ex-Jugoslawien
fest. Wie sah Ihre Beziehung dann zum Kardinal Stepinac‘ aus, Sie selbst waren zu
der Zeit Priester, hatten Sie Kontakt?
„Ja, aber nur schriftlich und heimlich.
Es ist bekannt, dass Stepinac vielen geheim geschrieben hat, vor allem den Priestern,
um sie in der Berufung zu stärken und zu festigen. Als junger Priester war ich Kaplan
im Sisak, das ist heute Sitz der neuen Diözese. Dort im Krankenhaus arbeitete
eine Ordensschwester, die aus Krašić stammte, und immer wieder zu ihren Angehörigen
heim fuhr. Sie erzählte dem Kardinal von meinen pastoralen Tätigkeiten im Sisak und
er schrieb mir einige Briefe. Leider musste ich diese Briefe alle vernichten, weil
damals die Behörden einen Prozess gegen mich in Sisak vorbereitet haben, bei dem ich
zu einem Jahr Gefängnis verurteilt wurde. Aber ich habe dann letztlich Straferlass
bekommen und bin nicht ins Gefängnis gekommen.“
Der Kardinal ist dann
im Jahr 1960 gestorben, aufgrund einer Krankheit, die er im Gefängnis bekam. Haben
Sie es geschafft, zu seiner Beerdigung zu kommen?
„Gott sei Dank, ja! Aber
nur unter Schwierigkeiten. An diesem Tag, das war am 13. Februar 1960, war die ganze
Stadt Zagreb voller Polizei, die die Menschen aus den Zügen rausgeholt haben, die
zur Beerdigung angereist sind. Ich bin aus Sisak mit dem Zug gegen 4.00 Uhr morgens
nach Zagreb gefahren und konnte bis zum Dom gelangen, der schon voller Menschen war,
auch der Vorplatz. In Kolonnen sind Menschen stundenlang an seinem offenen Sarg vorbeigezogen,
um seinen Leichnam mit einem Gegenstand zu berühren – mit Rosenkränzen, Bildchen und
Gebetsbüchern, um sie als Reliquien aufzubewahren. Es herrschte schon damals die allgemeine
Überzeugung, dass ein Heiliger gestorben ist.“
Hoffnung auf Heiligsprechung Die
Kirche in Kroatien hofft auf eine Heiligsprechung von Aloisius Stepinac. Von staatlicher
Seite wurde der Kardinal erst nach Ende des Kommunismus und mit der Unabhängigkeit
Kroatiens in den 90er Jahren rehabilitiert: Man erkannte den gegen ihn geführten Prozess
als haltlos an.