Kardinal Walter Kasper: „Eine Kirche für heute und morgen“
Kardinal Walter Kasper
will eine erneuerte Lehre von der Kirche für heute darstellen. So schreibt es der
ehemalige Präsident des Päpstlichen Einheitsrates in seinem an diesem Mittwoch erscheinenden
Buch. Der Blick auf die Kirche heute, aber auch der Blick auf die Grundlagen sollen
zu einer tragfähigen Bestimmung beitragen.
Das Buch beginnt sehr persönlich,
mit Kaspers eigener Geschichte in dieser Kirche. Das, was er ein zeitgemäßes Kirchenverständnis
nennt, beginnt für ihn und damit für jeden von seinen Lesern bei der Person, ihrer
Erfahrung von Gemeinschaft und der Entwicklung, die die Kirche nimmt. Für Kasper waren
das seine theologischen Prägungen und vor allem das Zweite Vatikanische Konzil, dann
aber auch seine weltkirchlichen Erfahrungen als Präsident des Päpstlichen Einheitsrates
im Vatikan.
Anlässlich des Erscheinens des Buches hat Pater Bernd Hagenkord
mit Kardinal Kasper gesprochen und ihn gefragt, ob jedes Denken über Kirche mit der
eigenen Erfahrung beginnen muss.
„Selbstverständlich. Jeder Christ, jeder
Mensch, der in unserer Gesellschaft lebt, begegnet zunächst einmal der aktuellen Kirche
mit den Schwierigkeiten und Krisen, die da sind. Aber dann muss eine theologische
Betrachtung fragen, wie Jesus die Kirche gewollt hat und wie sich die Kirche in den
großen Konzilien der Vergangenheit darstellt. Wir können ja heute keine neue Kirche
machen, sondern eine er-neuerte Kirche. Darauf kommt es mir an: Was kann erneuerte
Kirche heute und morgen sein?“
Der Kompass: Das Zweite Vatikanum Was
kann das sein, erneuerte Kirche heute und morgen?
„Man muss ausgehen vom
Zweiten Vatikanischen Konzil. Das Konzil ist der Kompass für die Kirche des dritten
Jahrtausends. Die große Idee des Konzils war, Kirche als eine Communio zu bestimmen,
als eine Gemeinschaft. Gemeinschaft mit Gott, und deshalb eine Kirche die hört, die
Eucharistie feiert, die betet und anbetet. Und auch eine Kirche, die Communio unter
sich selber ist. Das eigentliche Problem der Kirche der Gegenwart scheint mir ein
Kommunikationsdefizit zu sein, da mache ich gewisse Vorschläge, wie man das überwinden
kann.“
Synodale Strukturen – Erneuerung für die Kirche Zum
Beispiel?
„Es gibt eine alte Tradition der synodalen Strukturen. Das ist
nicht Demokratisierung im heutigen Sinn, aber es ist eine authentische originäre kirchliche
Struktur und ich meine, eine Erneuerung dieser Strukturen – und zwar auf allen Ebenen
– scheint mir sehr wichtig zu sein. Das ist so ein Modell, wie ich mir das vorstellen
könnte.“
Wir heute haben nicht mehr heiligen Geist als die Vergangenheit Mindestens
in den deutschsprachigen Ländern wird sehr gestritten um die Frage, was Kirche sein
kann. Es wird auch zunehmend polemisch. Was kann eine Ekklesiologie, was kann eine
akademische Theologie beitragen?
„Die akademische Theologie hat auf die
Wesensstrukturen der Kirche zu achten. In Deutschland hat man sich auf bestimmte Themen
fixiert, die schon Themen sind. Man muss aber überlegen, was Kirche überhaupt ist
und wie Christus die Kirche gewollt hat, man muss auf die großen Zeugnisse der Vergangenheit
schauen, wir dürfen uns ja heute nicht einbilden, wir hätten mehr heilige Geister
als die Vergangenheit. Aus diesem reichen Schatz der Tradition und der Bibel heraus
müssen wir uns erneuern.
Es gehören immer zwei Sachen zusammen: Die
innere Erneuerung und die äußere Form. Reformen ohne innere geistliche Erneuerung
sind seelenlos und enden in einem Aktionismus. Das ist heute eine große Gefahr. Umgekehrt:
Eine rein geistliche Erneuerung ohne praktische Konsequenzen wäre lebensfremd und
wirklichkeitsfremd. Beides muss zusammen kommen.
Ich bin an sich, von
meinem Wesen her, ein Mann der Hoffnung und ich denke, auch die Kirche kann mit Hoffnung
in die Zukunft schauen, auch wenn sich konkret sehr viel verändern wird.“
Das
Wesen der Kirche für heute und morgen gestalten Ihr Buch kommt in Deutschland
in einer ganz bestimmten kirchlichen Situation heraus, es ist eine aufgeheizte Situation:
Die einen wollen Strukturen umwerfen, die anderen wollen zurück zu etwas, von dem
sie glauben, dass es früher einmal war. An dieser Situation wird ihr Buch ja gemessen
werden. Es wird auch gemessen an einer Kirche, die jetzt auf den Papstbesuch wartet.
Wozu wollen sie mit ihrem Buch beitragen?
„Ich hoffe zunächst einmal, dass
diese Polarisierung überwunden werden kann, die führt zu nichts, das hat keinen Sinn,
wie das momentan geschieht. Natürlich kann man nicht total die Strukturen ändern;
die Kirche hat feste Strukturen, die ihr von Jesus Christus gegeben sind. Auf der
anderen Seite kann man nicht zurück in eine vergangene Epoche, das ist eine reine
Utopie. Man muss das Wesen der Kirche heutig und für morgen gestalten. Das ist sozusagen
ein dritter Weg, der der einzig realistische für mich ist. Man muss von den falschen
Diskussionen in Deutschland Abschied nehmen und auch von gewissen illusionären Hoffnungen.
Alle setzen auf die Abschaffung des Zölibates oder auf Frauenordination. Jeder in
der universalen Kirche weiß, dass das eine Illusion ist, eine Utopie, damit blockiert
man ganz viel wichtige und realistische Ziele. Ich denke, dass es realistische Reformschritte
gibt, die möglich sind, die aber nicht ohne ein gewisses Umdenken und ohne Anstrengung
geschehen. Wir können nicht eine Wohlfühlkirche werden und es werden in gewissem Sinn
schwere Zeiten auf die Kirche zukommen. Das hat ihr im Grunde aber schon immer gut
getan.
Ein ganz wichtiges Wort für mich ist ein Wort aus dem Hohen Lied.
Das ist ursprünglich ja ein Liebeslied gewesen, das bei den Kirchenvätern aber wichtig
wurde. Da heißt es gleich im ersten Kapitel: Du meine Freundin, du bist schwarz, aber
schön. So hat die Kirche viele schwarze Punkte, die man gar nicht wegdiskutieren soll.
Trotzdem hat sie ihre Schönheit, ihren Glanz und kann Hoffnung und Mut machen für
das Leben und für die Zukunft.“
Walter Kardinal Kasper: Katholische Kirche.
Wesen Wirklichkeit Sendung. Herder Verlag, etwa 580 Seiten.