Manche Themen liegen
einfach auf der Straße. Das Thema Kinderarbeit zum Beispiel. Das liegt bei uns in
Deutschland oder Österreich buchstäblich auf der Straße – genauer gesagt: in Fußgängerzonen,
auf Gartenplatten, auf öffentlichen Plätzen, überall wo Pflastersteine aus Granit
verwendet werden. Die Steine kommen aus Indien, erzählt Benjamin Pütter aus Freiburg.
„Weil
es einfach viel billiger ist als deutscher Stein oder europäischer. Viel billiger
deswegen, weil die Arbeitsbedingungen dort unter aller Vorstellungskraft sind, also
einfach überhaupt keine Schutzmaßnahmen - und deswegen viel, viel billiger sind zu
produzieren. Und der Seeweg kostet einfach nicht viel. Es gibt so viele Schiffe, die
hin- und herfahren und die Ladung haben, die einfach zu leicht ist. Und man braucht
Beiladung, schwere Steine und kriegt die für einen Appel und ein Ei ins Schiff.“
Benjamin
Pütter ist kein Steine-Experte: Er ist Experte für das Thema Kinderarbeit. Und zwar
beim katholischen deutschen Hilfswerk Misereor. Der Theologe und Politologe hat selbst
ein Kind, eine Tochter. Und er weiß, dass die 50.000 Tonnen Granit, die jährlich ihren
Weg von Indien nach Deutschland finden, in der Regel von Kindern im Steinbruch bearbeitet
werden.
„Das sind Kinder, die die Schulden der Eltern oder Großeltern
abarbeiten müssen und dafür nie zum Ende kommen können, weil die Schulden ständig
mehr werden. Zum Beispiel: Die Eltern haben Schulden von 100 Euro gemacht. Der Geldverleiher
hat da mal gleich zwei Nullen auf dem Papier hinzugefügt. Die Eltern haben mit dem
Fingerabdruck unterschrieben, weil sie nicht lesen und schreiben können. Und für 10.000
Euro die Zinsen - das ist dann so ungefähr, was ein Kind abarbeiten kann. Aber nicht
mehr, sondern eher weniger, und die Schulden werden immer mehr. Das nennt man Sklaverei!“
Sklaverei,
bei der die Gesundheit des Kindes kaputtgemacht wird. Und auch jede Aussicht auf Zukunft.
Denn solche Kinder sterben, wenn sie schon als Kleinkinder mit dem Steineklopfen angefangen
haben, in der Regel mit dreißig, 35 Jahren.
„Die Lebenserwartung von einem
Erwachsenen, wenn er mit sechzehn bis achtzehn in den Steinbruch kommt, ist auch gerade
mal vierzig Jahre. Das heißt, das macht tot, so eine Arbeit. Das wissen wir auch:
Die Silikose, die Steinstaublunge ist hier eine anerkannte Berufskrankheit. In Indien
nicht, dort ist nur die Tuberkulose als Krankheit anerkannt, aber nicht die Silikose.“ Kaum
zu glauben, aber die Steinbrüche Indiens, in denen Pflastersteine – auch für den deutschen
Markt – geklopft werden – sie sind eine Art Kindergarten: Die meisten Arbeiter fangen
dort schon als Kleinkinder an. „Sie spielen mit einem Hammer, mit einem kleinen
Hammer. Sie werden größer - der Hammer wird größer. Das ist die einzige Entwicklung,
die sie in diesem Leben durchmachen!“ Und dann gibt es da ja auch noch die
Steinbrüche, in denen nicht kleine Pflastersteine geklopft werden, sondern Zwanzig-Tonnen-Blöcke.
Grabsteine zum Beispiel. Jeder dritte deutsche Grabstein kommt aus Indien. Sechs
Jahre ist es her, da hat Benjamin Pütter in Freiburg einen Verein namens Xertifix
gegründet. Der bietet ein Gütesiegel – für Steine, die nicht mit Kinderarbeit hergestellt
wurden. Pütter will die Kinder aus den indischen Steinbrüchen herausholen – und mehr
noch: „Ich möchte, dass Kinder dort in die Schule gehen können. Und genau das
macht dieses Siegel Xertifix; eben nicht nur Verhinderung der Kinderarbeit, und die
Kinder gehen hinterher in die Prostitution oder irgendwas, das möchte ich nicht. Nein,
ich möchte, dass die Kinder dann auch wirklich, wenn sie aufgehört haben im Steinbruch
zu arbeiten, in die Schule gehen können und Zukunftsperspektiven haben.“ Wer
in einem deutschen Baumarkt Granit kauft, etwa um zuhause im Garten einen Plattenweg
zu verlegen, der sollte den Verkäufer fragen, woher der Stein kommt. Die meisten Händler
wissen das ganz genau, sagt Pütter. „Ein Stein ist wie ein Fingerabdruck. Jeder
Stein hat seinen eigenen Fingerabdruck. Es gibt keine zwei geologisch gleichen Granitsteinbrüche
zum Beispiel. Jeder Berg ist anders. Und insofern ist es ganz einfach, erst mal die
Herkunft zu wissen.“
Am Pfingstsonntag ist Welttag gegen Kinderarbeit.
(rv
/ material des erzbistums freiburg 07.06.2011 sk)