Predigt Benedikts XVI. bei der Hl. Messe in Zagreb 5. Juni 2011
Liebe Brüder und Schwestern!
In dieser heiligen Messe, die ich voll Freude
mit zahlreichen Mitbrüdern im Bischofsamt sowie einer großen Anzahl von Priestern
feiere, danke ich dem Herrn für all die lieben Familien, die hier versammelt sind,
und für viele andere, die über Radio und Fernsehen mit uns verbunden sind. Ein besonderer
Dank gilt dem Erzbischof von Zagreb Kardinal Josip Bozanić für seine herzlichen Worte
zu Beginn der heiligen Messe. An alle richte ich meinen Gruß und drücke meine große
Zuneigung aus, indem ich euch mit offenen Armen den Frieden wünsche!
Vor einigen
Tagen haben wir die Himmelfahrt des Herrn gefeiert, und wir bereiten uns darauf vor,
das große Geschenk des Heiligen Geistes zu empfangen. In der ersten Lesung haben wir
gesehen, wie die Gemeinschaft der Apostel im Abendmahlssaal im Gebet versammelt war
mit Maria, der Mutter Jesu (vgl. Apg 1,12-14). Das ist ein Bild der Kirche,
die ihre Wurzeln im Ostergeschehen hat: Der Abendmahlssaal ist ja der Ort, an dem
Jesus beim Letzten Abendmahl die Eucharistie und das Priestertum einsetzte und wo
er, vom Tode erstanden, am Osterabend den Heiligen Geist über die Apostel ausgoß (vgl.
Joh 20,19-23). Seinen Jüngern hatte der Herr befohlen: „Geht nicht weg von
Jerusalem, sondern wartet auf die Verheißung des Vaters“ (Apg 1,4); das heißt,
er hatte sie aufgefordert zusammenzubleiben, um sich darauf vorzubereiten,
das Geschenk des Heiligen Geistes zu empfangen. Und in Erwartung der Verheißung versammelten
sie sich gemeinsam mit Maria im Gebet im Abendmahlssaal (vgl. Apg 1,14). Das
Zusammenbleiben war die von Jesus gestellte Bedingung, um die Ankunft des Parakleten
aufzunehmen, und das beständige Beten war die Voraussetzung für ihre Einmütigkeit.
Wir finden hier eine großartige Lektion für jede christliche Gemeinde. Manchmal meint
man, die missionarische Wirkkraft hinge hauptsächlich von einer sorgfältigen Planung
und deren kluger Umsetzung durch einen konkreten Einsatz ab. Gewiß, der Herr verlangt
unsere Mitarbeit, doch vor jeglicher Antwort unsererseits ist seine Initiative notwendig:
Sein Geist, der wahre Protagonist der Kirche, muß angerufen und aufgenommen werden.
Im
Evangelium haben wir den ersten Teil des sogenannten „Hohepriesterlichen Gebets“ Jesu
gehört (vgl. Joh 17,1-11a), das am Ende der Abschiedsreden steht und von Vertrautheit,
Sanftmut und Liebe geprägt ist. Es wird „Hohepriesterliches Gebet“ genannt, weil Jesus
sich in ihm in der Haltung des Priesters zeigt, der Fürsprache für die Seinen einlegt
in dem Moment, in dem er sich anschickt, diese Welt zu verlassen. Der Abschnitt steht
unter dem zweifachen Thema der Stunde und der Herrlichkeit. Es handelt
sich um die Stunde des Todes (vgl. Joh 2,4; 7,30; 8,20), die Stunde, in der
Christus aus dieser Welt zum Vater hinübergehen soll (vgl. Joh 13,1). Aber
sie ist zugleich auch die Stunde seiner Verherrlichung, die sich durch das Kreuz vollzieht
und die der Evangelist Johannes als „Erhöhung“ zur Herrlichkeit bezeichnet: die Stunde
des Todes Jesu, die Stunde der äußersten Liebe, ist die Stunde seiner höchsten Herrlichkeit.
Auch für die Kirche, für jeden Christen, ist die höchste Herrlichkeit die des Kreuzes:
die Liebe zu leben, die völlige Hingabe an Gott und an die anderen.
Liebe
Brüder und Schwestern! Die Einladung der Bischöfe Kroatiens, anläßlich des I. Nationalen
Familientags der kroatischen Katholiken dieses Land zu besuchen, habe ich sehr gerne
angenommen. Ich möchte angesichts der Aufmerksamkeit und des Einsatzes für die Familie
meine herzliche Anerkennung ausdrücken, nicht nur weil diese grundlegende menschliche
Realität heute in eurem Land wie anderswo sich mit Schwierigkeiten und Bedrohungen
auseinandersetzen muß und es darum besonders nötig hat, evangelisiert und unterstützt
zu werden, sondern auch weil die christlichen Familien eine entscheidende Ressource
für die Erziehung zum Glauben, für den Aufbau der Kirche als Gemeinschaft und für
ihre missionarische Gegenwart in den verschiedensten Lebenssituationen sind. Ich kenne
die Großherzigkeit und die Hingabe, mit der ihr, liebe Hirten, dem Herrn und der Kirche
dient. Eure tägliche Arbeit für die Erziehung der jungen Generationen zum Glauben
wie auch für die Vorbereitung auf die Ehe und für die Begleitung der Familien ist
der grundlegende Weg, um die Kirche immer neu zu regenerieren und auch um das soziale
Gefüge des Landes zu beleben. Führt diesen euren wertvollen pastoralen Einsatz bereitwillig
fort!
Es ist allgemein bekannt, daß die christliche Familie ein besonderes
Zeichen der Gegenwart und der Liebe Christi ist und daß sie dazu berufen ist, einen
spezifischen und unersetzlichen Beitrag zur Evangelisierung zu leisten. Der selige
Johannes Paul II., der dieses vortreffliche Land ja dreimal besuchte, hat gesagt:
„Die christliche Familie ist dazu berufen, aktiv und verantwortlich an der Sendung
der Kirche mit einem besonderen und eigenen Beitrag teilzunehmen, indem sie sich selber
mit ihrem Sein und Handeln als innige Liebes- und Lebensgemeinschaft in den Dienst
an Kirche und Gesellschaft stellt“ (Familiaris consortio, 50). Die christliche
Familie ist stets der erste Weg der Glaubensweitergabe gewesen, und auch heute behält
sie große Möglichkeiten zur Evangelisierung in vielfältigen Bereichen.
Liebe
Eltern, bemüht euch immer darum, eure Kinder beten zu lehren, und betet mit ihnen;
führt sie zu den Sakramenten hin, besonders zur Eucharistie – dieses Jahr feiert ihr
den 600. Jahrestag des „eucharistischen Wunders von Ludbreg“; führt sie in das Leben
der Kirche ein; habt keine Angst, in der Geborgenheit der Familie die Heilige Schrift
zu lesen und so das Familienleben mit dem Licht des Glaubens zu erhellen und Gott
als Vater zu loben. Seid gleichsam ein kleiner Abendmahlssaal, wie jener von Maria
und den Jüngern, in dem Einheit, Gemeinschaft und Gebet lebendig praktiziert werden!
Heute
werden sich, Gott sei Dank, viele christliche Familien immer mehr ihrer missionarischen
Berufung bewußt und setzen sich ernsthaft im Zeugnis für Christus, den Herrn, ein.
Der selige Johannes Paul II. sagte einmal: „Eine wahre, auf der Ehe gründende Familie
ist schon als solche eine »frohe Botschaft« für die Welt.“ Und er fügte hinzu: „In
unserer Zeit gibt es zudem immer mehr Familien, die aktiv bei der Evangelisierung
mitarbeiten … In der Kirche ist die Stunde der Familieherangereift, die auch
die Stunde der missionarischen Familie ist“ (Angelus, 21. Oktober 2001). In
der heutigen Gesellschaft besteht mehr denn je die dringende Notwendigkeit einer Präsenz
vorbildlicher christlicher Familien. Leider müssen wir feststellen, daß sich – speziell
in Europa – eine Säkularisierung ausbreitet, die zu einer Ausgrenzung Gottes aus dem
Leben und zu einer zunehmenden Auflösung der Familie führt. Eine Freiheit ohne Verpflichtung
gegenüber der Wahrheit wird absolut gesetzt; als Ideal pflegt man den individuellen
Wohlstand durch den Konsum materieller Güter sowie durch flüchtige Erlebnisse, wobei
die Qualität der zwischenmenschlichen Beziehungen und die tiefsten menschlichen Werte
vernachlässigt werden. Die Liebe wird auf eine gefühlsselige Gemütsbewegung reduziert
und auf die Befriedigung instinktiver Triebe, ohne daß man sich darum bemüht, dauerhafte
Bindungen gegenseitiger Zugehörigkeit aufzubauen, und ohne ein Offensein für das Leben.
Wir sind berufen, dieser Mentalität entgegenzuwirken! Neben dem Wort der Kirche sind
das Zeugnis und der Einsatz der christlichen Familien von großer Wichtigkeit: euer
konkretes Zeugnis, besonders um die Unantastbarkeit des menschlichen Lebens von der
Zeugung bis zu seinem natürlichen Ende zu betonen, den einzigartigen und unersetzlichen
Wert der auf die Ehe gegründeten Familie und die Notwendigkeit gesetzlicher Maßnahmen
zur Unterstützung der Familien in ihrer Aufgabe, Kinder zu zeugen und zu erziehen.
Liebe Familien, seid mutig! Gebt nicht jener säkularisierten Mentalität nach, die
das Zusammenleben als Vorbereitung oder sogar als Ersatz für die Ehe propagiert! Zeigt
mit eurem Lebenszeugnis, daß es möglich ist, wie Christus ohne Vorbehalte zu lieben,
daß man keine Angst haben muß, einem anderen Menschen gegenüber eine Verpflichtung
einzugehen! Liebe Familien, freut euch über die Elternschaft! Das Offensein für das
Leben ist ein Zeichen für das Offensein gegenüber der Zukunft, für Vertrauen in die
Zukunft, so wie die Achtung der natürlichen Moral den Menschen befreit, anstatt ihn
zu beeinträchtigen! Das Wohl der Familie ist auch das Wohl der Kirche. Ich möchte
bekräftigen, was ich früher einmal gesagt habe: „Die Gründung jeder einzelnen christlichen
Familie erfolgt im Rahmen der größeren Familie der Kirche, die sie unterstützt, mitträgt
… Und umgekehrt wird die Kirche von den Familien aufgebaut, den »kleinen Hauskirchen«“
(vgl. Eröffnungsansprache zur Pastoraltagung der Diözese Rom, 6. Juni 2005:
Insegnamenti di Benedetto XVI, I, 2005, S. 205). Bitten wir den Herrn, daß
die Familien zunehmend kleine Kirchen seien und die kirchlichen Gemeinden immer mehr
eine Familie!
Liebe kroatische Familien, indem ihr die Gemeinschaft des Glaubens
und der Liebe lebt, sollt ihr in immer offensichtlicher Weise Zeugen der Verheißung
sein, die der in den Himmel aufgefahrene Herr einem jeden von uns macht: „Ich bin
bei euch alle Tage bis zum Ende der Welt“ (Mt 28,20). Liebe kroatische Christen,
fühlt euch berufen, mit eurem ganzen Leben das Evangelium zu verbreiten; empfindet
mit Nachdruck das Wort des Herrn: „Geht zu allen Völkern und macht alle Menschen zu
meinen Jüngern!“ (Mt 28,19). Die Jungfrau Maria, die Königin der Kroaten, begleite
stets diesen euren Weg. Amen! Gelobt seien Jesus und Maria!