Ivanisevic: „Kirche in Kroatien identifiziert sich mit Nation“
Kroatien sieht sich
als „Antemurale Christianitatis“ – also als Vormauer, Bollwerk der Christenheit: Mit
Stolz erwähnen auch nicht kirchenfromme kroatische Intellektuelle diesen Ehrentitel.
Der Medici-Papst Leo X. – er regierte von 1513 bis 1521 – hatte ihn dem kleinen, mit
Ungarn vereinigten Königreich Kroatien gegeben. Denn Kroatien hatte nach dem Fall
Serbiens und Bosniens die Hauptlast der Türkeneinfälle zu tragen. Aus dieser Zeit
stammt das Bild des Kroaten, so wie es in den Schilderungen des Auslands lange Zeit
vorherrschte: das Bild des wilden, zähen und unerschrockenen Kriegers, erkenntlich
an seinem flatternden Halstuch, der „Crovata“, Vorform der heutigen Krawatte. Während
das Bewusstsein, ein Bollwerk des Christentums gegen den Islam zu sein, aufgrund des
Verlaufs der jüngsten Geschichte in den Hintergrund getreten ist, kehrte ein älterer
Antagonismus umso stärker hervor: jener zwischen westlichem und östlichem Christentum.
Anne
Preckel hat mit Alojz Ivanisevic über Kroatien, die Kirche in dem Land und den Papstbesuch
gesprochen. Ivanisevic ist Professor für Osteuropäische Geschichte an der Universität
Wien.
Nach dem Gotovina-Urteil gab es in der kroatischen Bevölkerung und auch
von Seiten der Kirche, gegen dieses Urteil Protestes. Haben Sie dafür Verständnis?
„Ich
habe persönlich kein Verständnis dafür. Ich kann einigermaßen verstehen, warum das
so ist, weil sich die Kirche sehr stark mit dem Staat identifiziert, nachdem Kroatien
selbstständig geworden ist, ist diese nationale Richtung in der Kirche besonders stark.
Von daher kann ich mir das erklären, aber nicht gutheißen.“
Sie sprechen
von einem „Patriotismus der Kirchenführung und des Klerus in Kroatien“. Könnten Sie
das konkretisieren?
„Das hat sehr damit zu tun, dass die katholische Kirche
sich sehr stark mit der Nation identifiziert und auch mit dem kroatischen Staat, den
sie sozusagen als ein moralisches Gut darstellt, dass heißt:der kroatische Staat ist
per se etwas Gutes und muss daher verteidigt werden. In diesem Zusammenhang hat die
Kirche den Anspruch, das gesamte kroatische Volk zu vertreten.“
Ist die
Kirche in diesen Fragen wirklich einheitlich einer Meinung oder ist sie eher gespalten?
„Sie
ist nicht so sehr gespalten. Da kann man sicher von Mainstream sprechen, der so denkt.
Die kroatische Kirchenführung ist in dieser Haltung ziemlich einheitlich. Auch die
Mehrheit des Klerus, diejenigen die sich gegen diese Richtung wenden, gelten eigentlich
in der Kirche als Dissidenten oder Rebellen, ja fast als Verräter.“
Das
heißt also für die Papstreise: Wie wird er mit diesem Problem umgehen?
„Ja,
da sehe ich durchaus einen Widerspruch, vor allem deshalb, weil sich die kroatische
Kirchenführung sehr stark mit dem Vatikan identifiziert, auch sehr stolz ist auf ihre
Romtreue - und dennoch eine Richtung einschlägt, die meines Erachtens mit den Grundsätzen
der allgemeinen katholischen Kirche wenig zu tun haben, diesen im Grunde sogar widersprechen.
Daran ändert auch die Tatsache nichts, dass sie das Ganze als christlichen Patriotismus
bezeichnen.“
Also richtig Zündstoff?
„Ich kann nur hoffen, dass
der Papst ihnen ins Gewissen redet. Wenn er wirklich konsequent ist, dann wird er
auch diese Themen ansprechen und auch einen Konflikt riskieren müssen. Denn es ist
so, dass sich die Kirche in Kroatien zu einer Romtreue bekennt und gleichzeitig auch
diesen katholisch-kroatischen Patriotismus betont. Man sieht in Kroatien nicht, dass
das ein Widerspruch zu römischen Kirche sein könnte. Der Nationalismus wird eigentlich
als Patriotismus definiert. Darin liegt das Problem.“
Was für einen Hintergrund
haben die Proteste der Menschen in Kroatien in den letzten Monaten gegen die EU, die
Politik, die Kirche, - das waren ja sehr heterogene Demonstationen, die man kaum über
einen Kamm scheren kann?
„Es ist tatsächlich so, dass die Kirche das indirekt
unterstützt. Die kroatische Bischofskonferenz bekennt sich immer zu Europa und auch
zur europäischen Union, aber im Grunde genommen arbeitet sie dagegen. Erst vor einigen
Tagen hat Kardinal Josip Bozanić in einer Predigt beklagt, dass in Kroatien
eine Mentalität der Unterwürfigkeit gegenüber Europa herrscht und hat gemeint, dass
Kroatien das eigene Nationalbewusstsein entwickeln müsste, überhaupt das eigene Bewusstsein
gegenüber Europa, dann würde es respektiert. Das finde ich bedenklich, die Sprache
der radikalen Rechten in Europa und auch in Kroatien.“
Sie sagen, dass
die Kirche den neuen Zeitgeist in Kroatien bestimmt. Hat sie tatsächlich zu viel Einfluss?
„Sie
hat ein Gewicht, weil sie in letzter Zeit versucht sich nationalpolitisch zu profilieren,
und das beklage ich auch. Das ist populistisch. Die Kirche erhebt den Anspruch, die
gesamte kroatische Nation zu vertreten. Wenn man sich so Umfragen anschaut, in verschiedenen
Medien, denen die Kirche sehr misstraut: Wo es eine Kritik an der (nationalen) Politik
gibt, werten sie das als Angriff auf die Kirche. Solche Angriffe gibt es natürlich
auch, dass ist keine Frage. Auf der einen Seite ist die Unterstützung für die Kirche
relativ groß, auf der anderen Seiten, wenn Umfragen in den staatlichen Medien gemacht
werden, gibt es das klare Ergebnis, dass die Mehrheit der Bevölkerung wünscht, dass
sich die Kirche nicht die Politik einmischt. Das ist durchaus interessant.“
Zu
den Kriegsverbrechen: War die Verhaftung von Mladic ein Zufall, so kurz vor dem möglichen
EU-Beitritt Kroatiens?
„Nein, ich glaube nicht, dass das ein Zufall ist.
Das ist aber nicht meine Erkenntnis, das habe ich oft in verschiedenen Zeitungen gelesen.
Verschiedene internationale Kommentatoren sind sich da einig, dass das kein Zufall
ist.“
Kann durch die Kriegsverbrecher-Prozesse Versöhnung im ehemaligen
Jugoslawien entstehen?
„Ich weiß nicht, ob das wirklich mittelfristig kontraproduktiv
ist. Aber sehr viel dazu beitragen wird es wahrscheinlich auch nicht, weil diese nationalistische
Gruppen innerhalb der Gesellschaft und auch leider innerhalb der orthodoxen und der
katholischen Kirche sehr stark sind. Diese Kräfte pflegen den nationalen Opfermythos
und beklagen immer wieder, dass nur die eigenen Leute an den Pranger gestellt würden,
während die anderen frei herumliefen. Das hört man bei Umfragen häufig auf der Straße.
In Kroatien ignoriert man die Tatsache, dass die Mehrheit der in Den Haag Angeklagten
Serben ist. Sie werden häufig bei Umfragen hören, die verantwortlichen serbischen
Militärs laufen frei herum und nur unsere Leute, die unser Land verteidigt haben,
stellt man vor Gericht. Das entspricht überhaupt nicht den Tatsachen, aber es verbreitet
sich so in der Bevölkerung.“
Schlucken auch die Jugendlichen diese „patriotischen
Pillen“ anstandslos?
„Die Indoktrinierung ist leider auch unter der Jugend
ziemlich erfolgreich. Es gibt natürlich auch Gruppen, die sich das nicht so leicht
eintrichtern lassen, aber mein Eindruck ist, dass die Mehrheit dafür zugänglich ist.
Und dass das nach wie vor auch funktioniert, bei den Medien, die in dieser Richtung
Propaganda betreiben.“
Wenn so wenig Zustimmung zur EU in Kroatien herrscht,
die Beitrittsverhandlungen aber dem Ende zugehen – was heißt das denn für das Land?
„Man
erwartet in Kroatien, wie in allen anderen Kandidaten-Ländern, sehr viel, vor allem
wirtschaftlich von der Europäischen Union. Man stellt sich, vor, dass sich mit einem
EU-Beitritt schlagartig etwas ändert. Die Erwartungen sind da zu hoch. Auf der anderen
Seite gibt es auch einen beträchtlichen Teil, der in letzter Zeit immer großer geworden
ist, der das überhaupt nicht glaubt, sondern der meint, man will uns nur von außen
etwas auferlegen, unsere Souveränität beschneiden. Was die Umfragen betrifft, sagen
Sie, dass in letzter Zeit nur 30 Prozent für den Beitritt waren. Die Umfrage war unmittelbar
nach dem Urteil in Den Haag. Das lässt sich sicher dadurch erklären. Ich meine aber,
dass sich in den nächsten Monaten bis zum Referendum diese Zahl noch deutlich erhöhen
wird. Ich bin der Meinung, dass die Mehrheit der Bevölkerung der Aufnahme Kroatiens
zustimmen wird. Es wird aber keine überwältigende Mehrheit sein, wie das noch vor
einigen Jahren der Fall war.
Welche Perspektiven gibt es zu einem EU-Mitgliedsstaat
Kroatien?
„Es wird natürlich in der Bevölkerung immer eine starke Gegnerschaft
geben - auch in der Politik, weil die Erwartungen zu hoch sind. Diejenigen, die gegen
den Beitritt waren, werden sich in ihren Erwartungen bestätigt sehen. So gesehen ist
die Perspektive gar nicht so rosig.“
Kann der Papstbesuch die Zustimmung
zur EU in Kroatien erhöhen – wie es bei Johannes Paul II. in Polen, kurz vor dem Referendum,
der Fall war?
„Das kann ich mir durchaus vorstellen, dass er einen Beitrag
dazu leistet, dass sich die Zustimmung in der Bevölkerung erhöht.“