2011-05-26 12:47:23

Ägypten: Erziehung und Bildung als Chance gegen den Fundamentalismus


Die Zeichen in Ägypten stehen auf Wahlkampf. Nach der Revolution und der unsicheren politischen Lage bringen sich jetzt die unterschiedlichen politischen Parteien in Stellung. Darunter das große islamische Netzwerk der Muslimbrüder, die zu Zeiten der Ära Mubarak im Untergrund gearbeitet hat. Aber auch radikale, fundamentalistische Muslime wie die Salafisten wollen die Gunst der Stunde nutzen, um politisches Kapital zu schlagen und den Islam stärker in der Verfassung zu verankern. Die koptischen Christen, die rund zehn Prozent der Bevölkerung stellen, befürchten dadurch neue Anfeindungen und Ausgrenzungen. Wir haben mit Nagwa Farag gesprochen, die seit vielen Jahren als Entwicklungshelferin in Oberägypten tätig ist. Sie sieht in der Gründung einer eigenen Partei der Salafisten einen Machtkampf zwischen den beiden großen muslimischen Lagern:

„Das ist die erste entscheidende Spaltung zwischen den Salafisten und den Mulsimbruderschaft. Trotz ihrer ursprünglichen Überzeugung, nicht an der Politik teilzunehmen, gründen die Salafisten jetzt eine eigene politische Partei und treten zu den Wahlen an. In gewisser Weise handelt es sich um einen Machtkampf zwischen den beiden Lagern, zwischen Salafisten und der Muslimbruderschaft. Natürlich sind die Muslimbrüder die besser organisierte Gruppe. Vor der Revolution waren sie verbannt, bereits zu Zeiten von Präsident Nasser haben sie im Untergrund gearbeitet. Jeder wusste, dass es sie gab. Sie sind gut finanziert, da sie viel Geld aus dem Ausland bekommen, vor allem Petrodollars aus arabischen und islamischen Ländern."

Nach der Revolution hat es immer wieder die Forderung nach einem bürgerlichen oder säkularen Ägypten gegeben. Es wäre ein Missverständnis, darunter die Trennung von Staat und Religion zu sehen, so Farag. Denn die meisten Ägypter verstünden darunter einen Staat, der nicht mehr vom Militär regiert wird. Nach wie vor würden Christen in Ägypten als Menschen zweiter Klasse behandelt, so Farag:

„Wir wissen, dass es die Meinung gibt, das Regime unter Mubarak hätte die Christen geschützt. In Wirklichkeit hat das alte Regime gar nichts unternommen, um Diskriminierung von Christen in der Gesellschaft zu verhindern. Sie haben einfach geleugnet, dass es Unterdrückung gibt. Man konnte zu Zeiten Mubaraks nicht sagen, dass es Ausgrenzung und Verfremdung gibt. Jetzt können wir das sagen. Generell kann man sagen, dass die Salafisten aus niederen, armen sozialen Schichten kommen. Sie haben weniger Perspektiven, sie sind schlechter ausgebildet und bilden jene Masse, die einfach zu mobilisieren ist."

Neben den radikalen sowie den gemäßigten islamischen Gruppen gebe es aber auch politische Alternativen, so Farag.

„Auf der anderen Seite gibt es einige neue, kleine, liberale Parteien in Ägypten. Sie sind noch in der Aufbau- und Gesprächsphase. Wir haben ein neues Wahlgesetz, bei den Parlamentswahlen können auch Bürgerlisten einen Platz in der Liste bekommen. Das kann ein Vorteil für die kleineren Parteien sein, vor allem, wenn sie Koalitionen bilden. Trotz allem: Es schaut so aus, als ob die Muslimbruderschaft die meisten Stimmen bekommen wird, und nicht die Salafisten. Das ist unsere Einschätzung der ägyptischen Gesellschaft."

Der oberste Militärrat hat für September demokratische Parlamentswahlen angekündigt. Radikale islamistische Gruppen hätten derzeit regen Zulauf, weil die Menschen in dieser Unsicherheit keine anderen Perspektiven mehr sehen.

„Wir brauchen beides: Bildung und Arbeit. Wenn wir mehr Arbeitsplätze und mehr Tourismus hätten, wenn der Alltag wieder funktionieren würde, dann hätten die Leute keine Zeit und Lust mehr, diesen extremistischen Gruppen hinterher zu laufen. Denn die meisten Menschen hier sind arm und haben einfach nichts anderes zu tun. Und davon profitieren wiederum einige wenige, die Macchiavellisten."

Als großes Problem hinter dieser religiösen Radikalisierung sieht Farag die schlechte Bildung der Ägypter. Fast die Hälfte aller Einwohner kann nicht lesen und schreiben, bei Frauen betrifft das sogar die Mehrheit.

„Wir haben eine hohe Anzahl von Analphabeten. Viele religiöse Gruppen nutzen das aus, denn es ist sehr einfach, schlecht gebildete Menschen unter dem Vorwand der Religion zu mobilisieren: Das ist gut für den Islam, das ist schlecht für den Islam, und so weiter. Diese Menschen gehen dann im Zeichen des Islam auf die Straßen. Die Salafisten sind dafür bekannt, den Islam sehr fundamentalistisch auszulegen und daher intolerant zu sein. Vieles davon ist der Einfluss der Wahabiten aus Saudi-Arabien. Jetzt bricht dieser Extremismus in Form von Gewalt aus. Wir leben in schwierigen Zeiten, denn die Extremisten können machen, was sie wollen, weil Gesetze nur selten zur Anwendung kommen. Die politische Lage ist sehr unsicher, es gibt viele unterschiedliche Auffassungen über Begriffe wie Säkularisierung und Kultfreiheit."

Nagwa Farag arbeitet selbst für eine Organisation, die in Oberägypten Schulen für Kinder betreibt. Insgesamt werden dort mehr als 10.000 christliche und muslimische Kinder unterrichtet. Neben dem Unterricht sollen damit auch die Beziehungen zwischen christlichen und muslimischen Familien gestärkt werden.

„Wir sind an der Front und sehen, wie sich die Dinge entwickeln. Wir zählen auf die Unterstützung der internationalen öffentlichen Meinung, so wie sie uns während der achtzehn Tage der Revolution unterstützt hat. Wir brauchen NGO’s, die mit uns vor Ort in Ägypten im Bildungsbereich zusammen arbeiten. Damit der Radikalismus in den Köpfen der Leute durch Bildung, Entwicklung und dem Konzept des Humanismus langsam geändert werden kann, immer in vollstem Respekt der Religion des anderen gegenüber. Wir legen viel Hoffnung in diese Art der brüderlichen Unterstützung."

Seit mehr als 30 Jahren arbeitet die Organisation, in der Nagwa Farag tätig ist, mit der österreichischen Dreikönigsaktion zusammen. Die Spenden, die die Sternsinger jedes Jahr in Österreich sammeln, kommen damit dem Schulunterricht ägyptischer Kinder zugute.

(rv 26.05.2011 ak)







All the contents on this site are copyrighted ©.