2011-05-20 11:59:30

Arabischer Frühling: „Wer profitiert am Ende davon?“


RealAudioMP3 „Arabischer Frühling“, „Arabellion“ und „Aufbruch in Nordafrika“ – nach lang ersehnter und lang verdienter Veränderung klingen die Namen, die die Vorgänge in der arabischen Welt derzeit in westlichen Medien bekommen. Allerdings ist die Realität in diesen umbrechenden Ländern unübersichtlich, ihre Zukunft alles andere als klar. Daran erinnert der Lateinische Erzbischof von Baghdad, Monsignor Jean-Benjamin Sleiman, im Gespräch mit Radio Vatikan. Mit Blick auf den Irak, der acht Jahre nach dem Sturz Saddam Husseins immer noch im Chaos versinkt, rät er, vor lauter Enthusiasmus über diese „erwachenden Völker“ die für eine Demokratie wesentlichen Fragen nicht aus den Augen zu verlieren:

„Das vielleicht Wichtigste, das uns der Irak lehrt, ist: Man muss sehr vorsichtig sein, wenn man vom „arabischen Frühling“ spricht. (…) Das Regime im Irak ist gefallen, aber das „Danach“ hat noch keine wirkliche Hoffnung geben können. Ich sage ja nicht, dass es nicht schon wichtige Fortschritte gab, aber der Irak konfrontiert noch nicht seine wirklichen Probleme – wie etwa die Frage seiner Einheit, die Ausbeutung seiner Ressourcen, die Verfassung, die Frage der Versöhnung… Das ist eine Lehre! Was die Vorgänge in der arabischen Welt betrifft: Natürlich sind wir froh, wenn sich Völker von ihren Diktaturen und von Machthabern befreien, die sie demütigen und ausnutzen. Aber wer profitiert am Ende davon? Was bedeutet eine Revolution der Jugend, bei der am Ende das Militär die Macht ergreift? Was meint eine Revolution, die am Ende zu einem Bürgerkrieg wird?“

Einen ähnlichen, zur Vorsicht mahnenden Tonfall schlug in diesen Tagen auch der italienische Jesuit Paolo Dall’Oglio aus Syrien an: Er warnte das Ausland davor, die syrische Führung zu sehr unter Druck zu setzen. Die Regierung werde schon selbst begreifen, dass Reformen unumgänglich seien. Und bei einem Sturz des Regimes könnten Chaos und Bürgerkrieg die Folge sein, vor allem Gewalt gegen Christen. Diese traurige Rechnung ist für den Irak in der Tat aufgegangen: Mit dem offiziellen Kriegsende ging der Krieg gegen Christen dort erst richtig los; sie fliehen bis heute scharenweise aus dem Irak. Erst in diesen Tagen sorgte in der christlichen Gemeinschaft von Kirkuk die Enthauptung eines Christen noch für Entsetzen. Dazu Erzbischof Sleiman:

„Die Situation hat sich bis heute nicht sehr verändert. Es verändern sich nur die Formen der Gewalt. Es gab in der letzten Zeit zum Beispiel viel Gewalt gegen Sicherheitskräfte, auch wenn nicht allzu viel darüber gesprochen wurde - aber das tut wirklich weh!“

Dass die jeweiligen innenpolitischen Gemengelagen im Irak, in Ägypten, in Tunesien und in Syrien nicht alle über einen Kamm zu scheren sind, weiß Erzbischof Sleiman freilich auch. Bei all diesen schnellen Veränderungen dürfe aber eines nie aus dem Blick verloren werden: das Gemeinwohl nicht nur in den einzelnen Ländern, sondern auch das der ganzen Region.

„Ich weiß nicht, ob ich das sagen darf: Man sollte die Staatsräson einmal beiseite lassen. Alle sollten gemeinsam mit anpacken, ausgehend vom Gemeinwohl des gesamten Mittelmeerraumes. Natürlich muss jeder Staat sein eigenes Interesse verfolgen, aber vielleicht macht man es besser – das ist wohl ein evangelisches Paradoxon – wenn man die Interesse des gerade anderen berücksichtigt.“

Unser Schnappschuss vom arabischen Frühling entstand am Sonntag bei einer Demonstration in der ägyptischen Hauptstadt Kairo.
(rv 20.05.2011 pr)








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