Fast dreißig Menschen
sollen in den letzten drei Tagen in Tel Kelakh, einer kleinen Stadt nahe der libanesischen
Grenze, ums Leben gekommen sein – Opfer der Niederschlagung von Protesten durch Polizei
und Armee. Die USA und die Europäische Union diskutieren über eine weitere Verschärfung
der Sanktionen gegen das Regime unter Präsident Baschar al-Assad. Kirchenleute in
der Region warnen allerdings eindringlich davor, sich das Urteil über Assads Vorgehen
gegen Demonstranten zu einfach zu machen. Der italienische Jesuit Paolo Dall`Oglio
leitet in der syrischen Wüste die monastische Gemeinschaft von Mar Musa – er sagte
uns: „Die Dinge sind komplexer, als einige arabische Satelliten-TV-Sender glauben
machen wollen, die mit ihrer Berichterstattung durchaus auch ein politisches Projekt
verfolgen. Man müsste die Information freigeben, radikal freigeben – dann könnte man
Syrien auch besser verteidigen. Jedenfalls, wenn man eine Mentalität hat, die sowas
auch zulässt...“ Alle Syrer seien sich darin einig, dass sie keine Intervention
aus dem Ausland wollen: „Sie wollen kein Libyen in Syrien!“ Und alle Syrer wollten
die Einheit des Landes bewahren, so der Geistliche, dessen Wüstenkloster auch von
vielen Moslems aufgesucht wird. „Auch die Menschen in den Städten, die im Moment
tiefes Leid erleben, wissen: Der Ausweg kann nur stufenweise gelingen, die Einheit
des Landes muss gewahrt bleiben. Und die Mehrheit der Syrer ist nicht bereit, zu Gewalt
zu greifen!“ Pater Dall`Oglio geht davon aus, dass das syrische Regime schon
Reformen einleiten wird, wenn man es jetzt nicht zu sehr unter Druck setzt. „Die
Tatsache, dass die Region im Umbruch ist und dass auch die internationale Logik sich
ändert, dass die internationale Legalität sich weiterentwickelt, macht das Sich-Einigeln
zu einer nur kurzfristigen Lösung – langfristig lässt sich das nicht durchhalten.
Allen hier, auch dem Regime, ist klar, dass Änderungen nötig sind, aber gleichzeitig
muss man doch sehen, wie und mit wem.“ Auf keinen Fall dürfe Syrien jetzt destabilisiert
werden, so der italienische Priester, denn die Region sei „kompliziert“: „Wir
haben einen unbefriedeten Irak im Osten, einen Libanon im Westen, der chronisch in
der Krise ist, und im Süden Israel, das einen Teil des syrischen Staatsgebietes besetzt
und sich nicht sehr freundschaftlich zu Syrien stellt. Die Frage ist also nicht einfach.
Wenn eine politische Klasse einer neuen Generation weichen muss, dann wird man Garantien
brauchen, damit es ein geordneter Übergang wird und die Lage nicht zu einem Bürgerkrieg
führt.“ Sollte es zu einem Sturz des Regimes von Damaskus kommen, dann
könnte sich der Zorn der sunnitischen Mehrheit gegen die Christen im Land richten.
Das fürchtet auch der syrische Bischof Mouallem, der lange im israelischen Haifa gewirkt
hat. „Man muss, finde ich, sehr genau unterscheiden: Nicht alle arabischen
Länder, die derzeit in Unruhe sind, sind in derselben Lage. Und das meine ich besonders
mit Blick auf Syrien: Das Land ist demographisch, von den Strukturen her und kulturell,
anders als die anderen. An sich steht das Regime in Syrien (wie das frühere Regime
der Baath-Partei im Irak auch) sehr klar für eine Trennung zwischen Staat und Religion.
Das ist eine Garantie. Jetzt aber, wo auch die Islamisten und Dschihadisten in Syrien
das Haupt erheben, stehen wir vor einem ausbrechenden Vulkan!“