Ackermann: „Keine Akzentverschiebung hin zur Anzeigepflicht“
Der Trierer Bischof
Stephan Ackermann ist der Missbrauchs-Beauftragte der Deutschen Bischofskonferenz.
Stefan Kempis fragte ihn an diesem Montag nach seinen Eindrücken vom neuen Vatikan-Papier
zum Umgang mit kirchlichen Missbrauchs-Fällen.
Wie beurteilen Sie das Rundschreiben
aus dem Vatikan?
„Ich freue mich zunächst einmal darüber, dass das Rundschreiben
im Grund ja wirklich die Leitlinien bestätigt, die wir von der Deutschen Bischofskonferenz
im vergangenen Sommer erlassen haben, also die überarbeiteten Leitlinien. Insofern
sind die beiden Papiere nun wirklich ganz kompatibel.“
Heißt das denn,
die deutsche Kirche hat schon alle ihre Hausaufgaben gemacht, oder gibt es irgendwo
noch einen Punkt, wo sie im Umgang mit Missbrauchsfällen nachrüsten müsste?
„Ich
sehe jetzt auf den ersten Blick nicht, dass wir nachrüsten müssten auf der Grundlage
des neuen Rundschreibens der Glaubenskongregation – aber die Hausaufgaben gemacht,
das wäre jetzt zu vollmundig gesagt. Denn das eine sind die Leitlinien, das andere
ist etwa die Präventions-Rahmenordnung: Das sind die Papiere, die natürlich bindenden
Charakter haben. Auf der anderen Seite geht es aber natürlich darum, das nun wirklich
in die Tat umzusetzen an den verschiedenen Stellen des kirchlichen Lebens! Wir sind
dabei, und das muss natürlich auch nach einer gewissen Zeit evaluiert werden; da muss
man schauen, ist das wirklich auch vom Papier in die Tat umgesetzt worden? Und das
sind sozusagen die Hausaufgaben, die bleiben.“
Wo gibt es denn aus Ihrer
Sicht einen Punkt, wo es sozusagen noch am meisten hakt?
„Natürlich ist
für uns in Deutschland die Frage der materiellen Anerkennung ein Punkt, der ja auch
in den letzten Wochen und Monaten heftig diskutiert worden ist. Es ist ja so, dass
wir eine zentrale Koordinierungsstelle eingerichtet haben, wo die Missbrauchs-Beauftragten
der einzelnen Bistümer Anträge, die gestellt werden etwa für materielle Hilfen (sei
es für Therapien oder im Sinne einer einmaligen Zahlung), besprechen – da werden dann
Empfehlungen ausgesprochen. Das ist zum Beispiel eine Arbeit, die jetzt angelaufen
ist: Da gehen die Anträge ein, und das muss natürlich sehr sorgfältig bedacht und
angeschaut werden von den Fachleuten. Das ist etwas, was zur Zeit auch viele Kräfte
bindet.
Das andere ist der Punkt: Wir haben uns ja noch eine wissenschaftliche
Aufarbeitung vorgenommen – sowohl aus forensisch-psychiatrischer Sicht als auch aus
kriminologischer Sicht. Nicht nur, um zurückzublicken: Wie konnte es zu diesen Untaten
kommen? Sondern auch, um aus dem Blick zurück Hilfen zu finden für die Prävention,
um zu sagen: Wie kann man sozusagen die Ausbildung verbessern, welche Strukturen müssten
so präzisiert werden, dass Missbrauch verhindert werden kann, und was kann in dieser
Richtung helfen? Das ist ein großer Punkt, der jetzt noch aussteht, aber über den
wir schon mit Forschern im Gespräch sind, und ich gehe mal davon aus – die eine Hälfte
des Projektes ist schon angelaufen – dass auch die zweite Hälfte jetzt noch vor dem
Sommer beginnt.“
Stichwort Missbrauchs-Prävention: Das Vatikan-Papier fordert
dazu auf, in den Seminaren den Priesteramtskandidaten den Wert von Zölibat, Keuschheit,
geistlicher Vaterschaft nahezubringen. Aber eine Art Unterricht in Missbrauchs-Prävention
ist das doch nicht?
„Das ist jetzt hier nicht so explizit genannt – aber
es ist doch ausgedrückt in dem Teil, in dem es um die Begleitung der Priester geht,
wo es insgesamt um die Bewußtseinsbildung geht. Ich glaube, das Papier nimmt noch
einmal den Fokus – und das finde ich auch richtig – auf die Persönlichkeitsbildung
selbst und nicht nur darauf, dass man irgendwelche Informationen und Kenntnisse weitergibt.
Das, würde ich mal sagen, wird gewissermaßen vorausgesetzt und insofern auch enthalten.
Aber es wird noch einmal deutlich gemacht, dass da, wo in den diözesanen Ordnungen
entsprechende Hinweise und Elemente fehlen, das noch eingefügt wird.“
Das
Vatikan-Rundschreiben fordert dazu auf, „mit den zuständigen Stellen unter Beachtung
der jeweiligen Kompetenzen zusammenzuarbeiten. Insbesondere sind die staatlichen Rechtsvorschriften
bezüglich einer Anzeigepflicht für solche Verbrechen immer zu beachten“. Ist das denn
jetzt eine Akzentverschiebung: Lieber doch immer anzeigen? Fast schon eine Verpflichtung
zur automatischen Anzeige?
„Zunächst mal bin ich sehr froh, dass in diesem
Rundschreiben sehr klar ausgedrückt ist, dass hier nicht die Kirche einen Rechtsraum
für sich reklamiert, der unabhängig ist vom staatlichen Rechtsbereich. Das hat ja
nun auch die heftigen Diskussionen verursacht bei uns im vergangenen Jahr, auch von
seiten der Justizministerin. Dass Rom selber klarstellt: Bitte, es ist eindeutig und
in jedem Fall die staatliche Gesetzgebung zu beachten und entsprechend der Kompetenzen
zu kooperieren, das halte ich für einen ganz, ganz wichtigen Punkt und bin auch dankbar,
dass das in aller Klarheit in dem Rundschreiben ausgedrückt ist.
Natürlich
sind die länderspezifischen Vorgaben zu beachten. Ich verstehe das Rundschreiben nicht
so, dass es den Akzent hinverschiebt auf eine Anzeigenpflicht, sondern sagt: Da, wo
sie besteht, da ist sie zu beachten. Wir haben in unseren Leitlinien in Deutschland
ja auch klar gesagt: Im Grund sind faktisch immer auch die staatlichen Stellen zu
benachrichtigen. Es gibt Ausnahmesituationen, die ausgelöst werden durch die mutmasslichen
Opfer: Wenn die darum bitten und das unter bestimmten Bedingungen auch rechtlich möglich
und das entsprechend dokumentiert ist, dann kann es diese Ausnahmen geben. Also, insofern
gibt`s bei uns auch, sage ich mal, die Dynamik – wann immer es geht – hin zum Informieren.“
Letzte
Frage: Benedikt XVI. besucht im September Deutschland. Sollte er sich dabei auch mit
Missbrauchs-Opfern treffen?
„Also, das will ich natürlich der Entscheidung
des Papstes überlassen. Er hat ja gezeigt bei verschiedenen Besuchen (in England,
auf Malta, in den USA), dass er keine Angst davor hat, dass er das tut. Und das hat
natürlich auch eine positive Wirkung in die Öffentlichkeit gegeben, weil es deutlich
macht: Der Papst stellt sich sozusagen Auge in Auge dieser Problematik und den Menschen,
die Opfer geworden sind. Also, insofern ist das natürlich immer ein sehr positives
Signal gewesen.“
Würden Sie ihm in Deutschland dazu raten?
„Wenn
der Zeitplan das zuläßt, wäre das eine gute Gelegenheit – aber ich würde sozusagen
nicht dazu nötigen, weil auch bei den verschiedenen Versuchen, glaube ich, deutlich
geworden ist: Der Papst scheut diese Begegnungen nicht. Er muss da nichts beweisen.
Insofern, glaube ich, würde das dem Besuch insgesamt keinen Abbruch tun, wenn es eine
solche Begegnung nicht gäbe.“