Tod eines Lebemanns, oder: „Das Märchen vom Freitod“
Das Thema Selbstmord
ist heikel – auch für die deutschen Medien. Sogar die „Bild“-Zeitung meldet in der
Regel keine Selbstmorde, damit keine Nachahmer auf den Plan treten. Als sich allerdings
vor ein paar Tagen der Lebemann und Fotograf Gunter Sachs das Leben nahm, gelangte
ein Abschiedsbrief von ihm in die Zeitungen. Darin begründet der Deutschschweizer
seinen Schritt damit, dass er erste Anzeichen von Alzheimer habe. Und schon kommt
in Deutschland eine Debatte über den so genannten Freitod auf. Der Kölner Kardinal
Joachim Meisner hat den Text von Gunter Sachs gelesen:
„Er ist jetzt 79
– ein Jahr älter als ich – und stellt fest, dass das Gedächtnis ihm Schwierigkeiten
macht. Dass er schon manches vergißt. Und dass ihm als einem gebildeten Menschen der
Wortschatz nicht mehr so zur Verfügung steht wie früher. Da hat er Angst, dass ihm
sein Gedächtnis und seine Intelligenz noch mehr eintrocknen und dass er dann eigentlich
dement wird. Deswegen hat er sich erschossen. Das ist eine typische atheistische Reaktion:
Die Würde des Menschen liegt doch nicht in seiner Intelligenz! Hat denn ein Säugling
so gesehen menschliche Würde? Der kann doch noch gar nicht denken!“
Patientenorganisationen
wie die „Deutsche Alzheimer Gesellschaft“ wollen jetzt ihre Öffentlichkeitsarbeit
verstärken. Natürlich sei die Diagnose Alzheimer ein Schock. Aber Erfahrungen etwa
in Selbsthilfegruppen zeigten, dass auch mit Demenz ein „lebenswertes Leben“ möglich
sei. Die Suizidraten liegen in Deutschland bei älteren Menschen um circa 60 Prozent
über denen der Gesamtbevölkerung. Kapuzinerbruder Paulus Terwitte aus Frankfurt kommentierte
gegenüber dem Kölner Domradio den Selbstmord von Gunter Sachs so: „Das Eine
ist: Wir sind angehalten zum Respekt vor der Entscheidung eines Menschen. Es ist seine
(hoffentlich) Gewissensentscheidung, die er getroffen hat, und auch wenn wir sie für
noch so falsch halten, müssen wir sie doch respektieren. Das Andere ist aber: Wir
müssen über die Begründung nachdenken, die Gunter Sachs selbst in die Öffentlichkeit
gespielt hat – und da muss ich sagen: Nein, die Begründung ist nicht stichhaltig.
Zum einen: Die Würde kann man sich nicht dadurch wahren, dass man ihre Grundlage,
nämlich das Leben, einfach auslöscht. Das Zweite ist: Die Würde habe nicht ich mir
gegeben, sondern sie wurde mir geschenkt, und deshalb habe ich eine Aufgabe, in der
mir geschenkten Würde das zu vollbringen, was mir aufgegeben ist.“
Das
tun Millionen von Menschen, die an Krankheiten leiden oder behindert sind, so Bruder
Paulus. Die Entscheidung von Gunter Sachs, sich das Leben zu nehmen, sei also aus
seiner Sicht falsch. Trotzdem: Dass die Kirche im Lauf der Jahrhunderte Selbstmördern
die Beerdigung verweigert hat, sei „ein sehr dunkles Kapitel der Kirchengeschichte“.
„Da
ist Gott sei Dank die naturwissenschaftliche und medizinische Erkenntnis in den Vordergrund
gerückt: Wer sich selbst getötet hat, der war nicht mehr frei und hat sich nicht frei
gegen Gott entschieden, sondern hatte einen ganz unheilvollen inneren Drang, dem er
nicht mehr widerstehen konnte, und ist so zur Selbsttötung gekommen. Das Märchen vom
„Freitod“ ist schon lange ausgeträumt: Menschen sind wirklich Wracks und am Ende und
können sich nicht mehr selber steuern, sie gehen auf einen Trichter zu und können
dazu einfach nicht mehr Nein sagen.“
Er finde es „nicht sehr richtig“,
dass Gunter Sachs vor dem Selbstmord „so einen Brief in die Öffentlichkeit lanciert“
habe:
„Weil damit noch einmal neu das Märchen von der möglichen freiwilligen
Selbsttötung aufgetischt wird. Nein, wer sich selber tötet, ist am Ende, kann nicht
mehr und hat auch nicht mehr die Möglichkeit (selbst durch geliebteste Menschen),
diese Entscheidung zu revidieren.“
„Bewußte und freiwillige Selbsttötung,
auch wenn sie aus hohen Motiven geschieht, ist sittlich nicht gerechtfertigt“, heißt
es im „Katholischen Erwachsenenkatechismus“ der Deutschen Bischofskonferenz von 1995.
„Frei gewollte Selbsttötung, durch die jemand bewußt seine Autonomie dokumentieren
will, ist ihrer ganzen Natur nach eine Absage an das Ja Gottes zum Menschen. Sie ist
auch eine Verneinung der Liebe zu sich selbst, zum natürlichen Streben nach Leben
und zur Verpflichtung der Gerechtigkeit und Liebe gegen den Nächsten und gegen die
Gemeinschaft. Unser christlicher Glaube stellt der Verherrlichung der freiwilligen
Selbsttötung eine im Glauben begründete Sicht des Lebens gegenüber. Unser Glaube läßt
uns darauf vertrauen, daß Gott uns in jeder Situation unseres Lebens wieder einholen
kann, sei diese Situation durch eigene Schuld oder durch mißlungene Beziehungen zur
Umwelt entstanden.“