2011-05-15 08:12:53

Tod eines Lebemanns, oder: „Das Märchen vom Freitod“


RealAudioMP3 Das Thema Selbstmord ist heikel – auch für die deutschen Medien. Sogar die „Bild“-Zeitung meldet in der Regel keine Selbstmorde, damit keine Nachahmer auf den Plan treten. Als sich allerdings vor ein paar Tagen der Lebemann und Fotograf Gunter Sachs das Leben nahm, gelangte ein Abschiedsbrief von ihm in die Zeitungen. Darin begründet der Deutschschweizer seinen Schritt damit, dass er erste Anzeichen von Alzheimer habe. Und schon kommt in Deutschland eine Debatte über den so genannten Freitod auf. Der Kölner Kardinal Joachim Meisner hat den Text von Gunter Sachs gelesen:

„Er ist jetzt 79 – ein Jahr älter als ich – und stellt fest, dass das Gedächtnis ihm Schwierigkeiten macht. Dass er schon manches vergißt. Und dass ihm als einem gebildeten Menschen der Wortschatz nicht mehr so zur Verfügung steht wie früher. Da hat er Angst, dass ihm sein Gedächtnis und seine Intelligenz noch mehr eintrocknen und dass er dann eigentlich dement wird. Deswegen hat er sich erschossen. Das ist eine typische atheistische Reaktion: Die Würde des Menschen liegt doch nicht in seiner Intelligenz! Hat denn ein Säugling so gesehen menschliche Würde? Der kann doch noch gar nicht denken!“

Patientenorganisationen wie die „Deutsche Alzheimer Gesellschaft“ wollen jetzt ihre Öffentlichkeitsarbeit verstärken. Natürlich sei die Diagnose Alzheimer ein Schock. Aber Erfahrungen etwa in Selbsthilfegruppen zeigten, dass auch mit Demenz ein „lebenswertes Leben“ möglich sei. Die Suizidraten liegen in Deutschland bei älteren Menschen um circa 60 Prozent über denen der Gesamtbevölkerung. Kapuzinerbruder Paulus Terwitte aus Frankfurt kommentierte gegenüber dem Kölner Domradio den Selbstmord von Gunter Sachs so:
„Das Eine ist: Wir sind angehalten zum Respekt vor der Entscheidung eines Menschen. Es ist seine (hoffentlich) Gewissensentscheidung, die er getroffen hat, und auch wenn wir sie für noch so falsch halten, müssen wir sie doch respektieren. Das Andere ist aber: Wir müssen über die Begründung nachdenken, die Gunter Sachs selbst in die Öffentlichkeit gespielt hat – und da muss ich sagen: Nein, die Begründung ist nicht stichhaltig. Zum einen: Die Würde kann man sich nicht dadurch wahren, dass man ihre Grundlage, nämlich das Leben, einfach auslöscht. Das Zweite ist: Die Würde habe nicht ich mir gegeben, sondern sie wurde mir geschenkt, und deshalb habe ich eine Aufgabe, in der mir geschenkten Würde das zu vollbringen, was mir aufgegeben ist.“

Das tun Millionen von Menschen, die an Krankheiten leiden oder behindert sind, so Bruder Paulus. Die Entscheidung von Gunter Sachs, sich das Leben zu nehmen, sei also aus seiner Sicht falsch. Trotzdem: Dass die Kirche im Lauf der Jahrhunderte Selbstmördern die Beerdigung verweigert hat, sei „ein sehr dunkles Kapitel der Kirchengeschichte“.

„Da ist Gott sei Dank die naturwissenschaftliche und medizinische Erkenntnis in den Vordergrund gerückt: Wer sich selbst getötet hat, der war nicht mehr frei und hat sich nicht frei gegen Gott entschieden, sondern hatte einen ganz unheilvollen inneren Drang, dem er nicht mehr widerstehen konnte, und ist so zur Selbsttötung gekommen. Das Märchen vom „Freitod“ ist schon lange ausgeträumt: Menschen sind wirklich Wracks und am Ende und können sich nicht mehr selber steuern, sie gehen auf einen Trichter zu und können dazu einfach nicht mehr Nein sagen.“

Er finde es „nicht sehr richtig“, dass Gunter Sachs vor dem Selbstmord „so einen Brief in die Öffentlichkeit lanciert“ habe:

„Weil damit noch einmal neu das Märchen von der möglichen freiwilligen Selbsttötung aufgetischt wird. Nein, wer sich selber tötet, ist am Ende, kann nicht mehr und hat auch nicht mehr die Möglichkeit (selbst durch geliebteste Menschen), diese Entscheidung zu revidieren.“

„Bewußte und freiwillige Selbsttötung, auch wenn sie aus hohen Motiven geschieht, ist sittlich nicht gerechtfertigt“, heißt es im „Katholischen Erwachsenenkatechismus“ der Deutschen Bischofskonferenz von 1995. „Frei gewollte Selbsttötung, durch die jemand bewußt seine Autonomie dokumentieren will, ist ihrer ganzen Natur nach eine Absage an das Ja Gottes zum Menschen. Sie ist auch eine Verneinung der Liebe zu sich selbst, zum natürlichen Streben nach Leben und zur Verpflichtung der Gerechtigkeit und Liebe gegen den Nächsten und gegen die Gemeinschaft. Unser christlicher Glaube stellt der Verherrlichung der freiwilligen Selbsttötung eine im Glauben begründete Sicht des Lebens gegenüber. Unser Glaube läßt uns darauf vertrauen, daß Gott uns in jeder Situation unseres Lebens wieder einholen kann, sei diese Situation durch eigene Schuld oder durch mißlungene Beziehungen zur Umwelt entstanden.“

(domradio/rv 15.05.2011 sk)







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