Ausgebrochen sind
die Unruhen wegen eines Gerüchts, das sich unter Muslimen rasend schnell verbreitet
hatte: Die Frau eines koptischen Priesters habe zum Islam übertreten wollen, um sich
von ihrem Mann scheiden lassen zu können. Nach dem Eindruck aufgebrachter Moslems
habe daraufhin die koptische Gemeinschaft die Frau eingesperrt und sie daran gehindert,
Muslimin zu werden. Den dramatischen Höhepunkt erreichte dieser -schon seit Wochen
immer wieder aufbrechende - Konflikt am vergangenen Samstag, als rund fünfhundert
Muslime in Imbaba, dem Arbeiterbezirk Kairos, die Freilassung der Frau forderten.
Vor der koptischen Kirche St. Mina kam es dann schließlich zu den Ausschreitungen,
die zwölf Menschen das Leben gekostet, fast zweihundert weitere zum Teil schwer verletzt
und eine koptische Kirche in Schutt und Asche gelegt haben. Viele Christen widersprechen
der islamischen Darstellung, was den Übertritt der Pfarrersfrau zum Islam angeht,
und auch die Betroffene selbst hat sich unlängst bei einem Fernsehauftritt wortreich
zum Christentum bekannt. Was die Christen in Ägypten allerdings beunruhigt, ist der
Eindruck, dass die Sicherheitskräfte der Gewalt in Imbaba tatenlos zugeschaut haben,
ohne einzugreifen. Der Pressesprecher des Hilfswerks Kirche in Not, John Pontifex,
meint dazu im Gespräch mit Radio Vatikan:
„Viele Menschen in Imbaba, auch
Bischof Antonio Aziz Mina, werfen dem Militär vor, zu spät reagiert zu haben. Die
Soldaten und Polizisten hätten viel schneller eingreifen können, hätten aber versucht,
neutral zu bleiben. Die koptischen Christen haben auch betont, dass sie nicht mit
den Salafisten in einen Topf geworfen werden wollen. Den radikal-islamischen Salafisten
wird vorgeworfen, mit Gewalt gegen die christliche Gemeinschaft vorgegangen zu sein.“
Seit
den Ausschreitungen bewachen Polizisten in gepanzerten Uniformen und mit Schutzschilden
die koptisch-christliche Gemeinde von Imbaba. Sicher fühlen sich die Menschen aber
trotzdem nicht, so Pontifex:
„Es herrscht große Angst, dass sich die Gewalt
von Imbaba auf ganz Kairo und auch anderswo ausbreiten könnte. Der Grund ist, dass
die Spannungen zwischen den unterschiedlichen Gemeinschaften zugenommen und einen
gefährlichen Punkt erreicht haben. Das ist die momentane Situation hier. Wir hoffen
sehr, dass bald wieder Ruhe einkehrt und die Kirche zusammen mit der breiten muslimischen
Gemeinschaft Wege findet, um die Lage zu entspannen.“
Seit dem Sturz Mubaraks
haben die Ausschreitungen zwischen radikalen Muslimen und koptischen Christen erneut
zugenommen. Nach der Revolution hat zwar das Militär die Regierungsarbeit übernommen.
Noch ist aber unsicher, was die für September angekündigten Wahlen bringen werden:
„Ägypten
steckt nach dem Sturz von Mubarak in einer Identitätskrise. Die große Frage ist, welche
Rolle die Scharia in der Gesetzgebung des Landes haben wird. Während der letzten Monate
haben radikale islamistische Gruppen großen Zulauf erhalten, die unter Mubarak stark
unterdrückt wurden und im Verborgenen gearbeitet hatten. Jetzt sprießen sie in allen
Teilen des Landes aus dem Boden. Zusammen mit der Muslimbruderschaft werden sie als
einzig glaubwürdige alternative Regierungsform betrachtet. Sie sind viel organisierter
als jene Gruppen, die für eine Demokratie stehen, so wie wir sie kennen. Und daher
tun diese sich viel schwerer, ihre Positionen vorzubringen. Es gibt die Sorge, dass
die Ziele, die hinter der Revolution standen, durch zukünftige Ereignisse verloren
gehen könnten.“
Laut John Pontifex bringt die unsichere Lage viele Christen
bereits dazu, das Land aus Angst vor weiteren Angriffen zu verlassen.
„In
vielen Dörfer und Gemeinschaften in Oberägypten, das in vielerlei Hinsicht das Ursprungsland
des antiken Christentums im Land ist, herrscht große Angst. Es wird bereits berichtet,
dass viele ihre Heimat verlassen haben. Glücklicherweise hat Ägypten ein hohes Bevölkerungswachstum,
sonst würde die Zahl der Christen drastisch abnehmen. Viele Menschen spüren diese
große Unsicherheit hinsichtlich der Zukunft des Christentums in einem Land, in dem
man immer wieder hört, wie Christen sagen: Wir wollen hier weg, wir fühlen uns nicht
sicher, in dieser Region wollen wir nicht länger bleiben.“