Menschenrechtler: Angst vor „irakischen Verhältnissen“ in Syrien
Der Menschenrechtsexperte
des katholischen Hilfswerks missio, Otmar Oehring, wundert sich über Äußerungen des
Bischofs von Aleppo, Antoine Audo. Dieser hatte sich vor wenigen Tagen in einem Interview
hinter das Regime von Präsident Baschar al-Assad gestellt und ein gewisses Verständnis
für das Vorgehen der Sicherheitskräfte gegen Demonstranten in Syrien gezeigt. Oehring,
der gerade von einer Reise durch den Nahen Osten zurückgekehrt ist, rät dazu, Aussagen
von Kirchenleuten wie Bischof Audo mit Vorsicht zu genießen:
„Die Aussagen,
die sie treffen, sind zum Teil schon überraschend in ihrer Deutlichkeit, denn sie
können natürlich auch für die Kirchen extrem gefährlich werden, wenn es tatsächlich
zu einem Umbruch kommt. Der zeichnet sich momentan zwar nicht wirklich ab, aber wenn
doch, dann ist meines Erachtens durchaus mit irakischen Verhältnissen zu rechnen,
dann kommt`s wirklich zur Abrechnung von seiten der Sunniten, die – in der Masse zumindest
– bislang unterdrückt worden sind von einer kleinen Minderheit der alevitischen „Regierungsclique“.
Die Regierung hat sich als Unterstützer die Christen ins Boot geholt, und die haben
sich das mehr oder weniger freiwillig gefallen lassen und daraus auch Nutzen gezogen,
das muß man ganz klar sagen. Also, wie das weitergeht, weiß niemand – und deswegen
sind solche Aussagen von kirchlicher Seite zwar verständlich (man lebt in einer Diktatur),
aber sie sind auf Dauer wohl nicht unbedingt hilfreich.“
Für den Fortgang
der Ereignisse in Syrien gebe es mehrere Szenarien, so Oehring. Das erste Szenario
sei, dass es „mit Gewalt weitergeht und dass es keine Reformen gibt“. Dann bleibe
alles, wie es war – „oder auch nicht, denn keiner wird vergessen, dass es soviel Gewalt
und soviele Tote gegeben hat“.
„Das zweite Szenario würde heißen, dass
es zwar weiterhin viel Gewalt gibt, aber auch Reformen. Selbst dann würden die Menschen
natürlich nicht vergessen, was passiert ist, aber es wäre immer noch besser als das
dritte Szenario, dass es zu einer Aufspaltung des Staates kommen könnte in einen alevitisch-christlichen
Teilstaat entlang der Küste: die Aleviten direkt an der Küste und die Christen im
so genannten Tal der Christen, das direkt anschließt. Und dann würde es den Rest Syriens
geben, in dem natürlich dann die Sunniten die große Mehrheit wären, wo aber auch Christen
leben würden. Aus Analysen, die wir von verschiedenen Leuten in der Region gehört
haben, muss man den Schluss ziehen, dass auch das nicht unbedingt die allergrößte
Gefährdung für die Christen bedeuten würde, denn in den dreißiger Jahren hat`s eine
solche staatliche Aufteilung schon einmal gegeben, und die Christen sind damals auch
ganz gut damit gefahren...“
„Prinzipiell“, so Oehring, müssten die Christen
eigentlich hoffen, dass sich die syrische Regierung hält und dass sich am Status quo
im Land nicht allzuviel ändert.
„Denn die Verhältnisse, die die Christen
in Syrien – vor allem auch die katholischen Christen dort – heute vorfinden, sind
eigentlich, wenn man sich den Nahen Osten ansieht, mit die besten: Man kann hier wirklich
fast schon von Religionsfreiheit sprechen. Das einzige, was daran noch fehlt, ist
natürlich die Möglichkeit, offiziell zu konvertieren – ansonsten haben die katholischen
Kirchen viele Möglichkeiten. Man darf nicht vergessen, dass vor Jahren auch ein katholisches
Gesetz vom Parlament verabschiedet worden ist, das viele Fragen, welche in nahöstlichen
Ländern in der Regel nicht zugunsten der Katholiken bzw. der Christen insgesamt regelt,
geklärt hat. Dieses Gesetz würde man natürlich als Schutz wohl verlieren, wenn es
denn wirklich zu einem Umsturz kommen würde.“