Eine erste Bilanz zur Papstreise zieht unser Korrespondent Stefan Kempis in einem
Kollegengespräch mit uns.
Was ist der Hauptakzent bei der Papstreise in
Italiens Nordosten bisher?
Mir fällt auf, dass der Papst sehr wenig
von der Vergangenheit spricht und sehr konsequent der Versuchung widersteht, die Kirchenväter
zu zitieren, wie er das sonst gerne macht. Und das, obwohl er eine der großen Ortskirchen
der frühen Christenheit besucht. Stattdessen geht es ihm ganz eindeutig um die Gegenwart
der Kirche hier: „Christsein ist heute oft oberflächlich – etwas, das mit dem eigenen
Leben nichts mehr zu tun hat“, so war die Diagnose Benedikts in seiner Predigt in
Mestre. Er sieht die Christen von heute wie die Emmausjünger, die Jerusalem verlassen:
„voller Zweifel, Trauer und Enttäuschung“, „sie glauben nicht mehr an die Kraft und
die lebendige Anwesenheit des Herrn“. Gegen diese Einstellung will Benedikt die Neuevangelisierung
in Gang setzen, das ist ganz eindeutig sein Hauptakzent bei dieser Reise.
Was
schlägt der Papst denn konkret vor, um den Glauben in Italien-Nordost und überhaupt
im Westen wiederzubeleben?
Konkrete Rezepte hat er kaum, jedenfalls
spricht er hier nicht von Reformideen, sondern ruft „Seid heilig, stellt Christus
in die Mitte eures Lebens!“ Einen Vorschlag hat er aber bei der Mestre-Messe immerhin
doch gemacht: Ob sich die Kirchen, die historisch einmal zum Patriarchat von Aquileia
gehört haben, nicht neu zusammenschließen und eine Art „geistliche Einheit“ bilden
könnten. Daraus würden sich, meint er, schnell ganz handfeste Projekte ergeben, angesichts
des Einwanderungs-Phänomens etwa. Nur mal zur Erinnerung: Von Aquileia aus und unter
seiner Inspiration haben sich in der frühen Kirche rund zwanzig Bistümer gebildet:
nicht nur im Veneto oder in Südtirol, sondern auch München und Regensburg, Wien und
Salzburg, Laibach und Zagreb – bis nach Ungarn hinein. Wenn Papst Benedikt nächsten
Monat nach Kroatien reist, könnte er in Zagreb auf das Thema „geistliche Wiederbelebung
der alten Kirchenprovinz Aquileia zurückkommen.
Wie kommt die Papstreise
bei den Menschen an?
Die Freude, mal vom Papst besucht zu werden
und im Mittelpunkt der Aufmerksamkeit zu stehen, ist groß bei den Menschen in Aquileia,
Mestre, Venedig: Sie fühlen sich sonst weitab vom Schuss, vergessen im Grenzland.
Die Bilder, wie der Papst im Motorboot von Mestre nach Venedig zurückfuhr, waren wirklich
unvergeßlich: ein Freudenfest. Sonne, historische Fahnen, Menschen auf den Brücken
über den Kanälen, um den Papst zu begrüßen, überall blumengeschmückte Boote und Schiffchen,
Glockengeläut. Ich habe mehrere Leute gefragt, was sie denn dem Papst sagen würden,
wenn sie mit ihm sprechen könnten – und sie alle meinten nach einem Moment des Überlegens:
„Segnen Sie uns, Heiliger Vater.“ Es ist schon interessant, dass sie sich keine Sätze
zum Zölibat oder zur Empfängnisverhütung ausdenken, sondern sich einfach freuen. Allerdings
gibt es überall großen Unmut über die Sicherheitsmaßnahmen; viele sind deswegen zu
Hause geblieben.