Wir haben über die moralische Bedeutung des gerechten Krieges mit Professor Michael
Reder vom Institut für Gesellschaftspolitik der Hochschule für Philosophie in München
gesprochen.
„Ein Krieg ist gerechtfertigt, wenn er bestimmte Kriterien erfüllt.
Das heißt, ethisch ist er nur dann legitim, wenn ihn die Regierung befohlen hat, wenn
es einen gerechten Grund gibt und wenn das Ziel des Attentats oder dieser kriegerischen,
gewalttätigen Intervention die Wiederherstellung von Gerechtigkeit ist. Allerdings
sieht man bei diesen drei klassischen Gründen auch schon die Probleme, die damit verbunden
sind: ob es wirklich ein „gerechter“ Grund ist, eine gewalttätige Form des Attentats
durchzuführen und ob dadurch so etwas wie Gerechtigkeit und Frieden gefördert wird.
Das ist natürlich stark umstritten.“
Die Umstände des Todes Osama bin Ladens
im Zuge der Militäraktion amerikanischer Elitesoldaten werden wohl nie restlos geklärt
werden. Für Professor Reder bestehe aber kein Zweifel, dass es statt der Tötung eines
Staatsfeindes bessere Alternativen gibt.
„Eine deutlich bessere Lösung
wäre natürlich gewesen, wenn man Osama bin Laden vor ein internationales Gericht gestellt
hätte. Unsere moderne Demokratie, auch unser modernes Selbstverständnis auf weltpolitischer
Ebene ist mit einer Idee der Gewaltenteilung und einer friedlichen Beilegung von Konflikten
verbunden. Wir haben solche Formen mit dem Internationalen Strafgerichtshof auch etabliert.
Ich denke, dass grundsätzlich natürlich eine rechtliche Lösung des Problems mit einer
Anklage Osama bin Ladens die bessere und auch ethisch gerechtfertigte Lösung gewesen
wäre.“
Laut einem Sprecher des Weißen Hauses sei Bin Laden zum Zeitpunkt
seiner Festnahme zwar nicht bewaffnet gewesen, habe aber Widerstand geleistet. Durch
die Tötung des Al Kaida Führers bestehe für Reder aber die Gefahr, dass die absolute
Gültigkeit der Grundrechte Schaden nehmen könnte.
„Wir haben mit den Menschenrechten
auf globaler Ebene und mit den jeweiligen Verfassungen und Grundrechtschartas in den
einzelnen Gesellschaften ganz klare Vorgaben, dass bestimmte Grenzen nicht überschritten
werden können und dürfen. Natürlich ist das in Einzelfällen sehr problematisch, weil
es so scheint, als ob das Ziel, das wir erreichen – beispielsweise einen gefährlichen
Terroristenführer aufzuspüren – dann auch die Mittel heiligt. Ich würde hier allerdings
warnen: Denn die Grundsätze des Rechtsstaates sind eben genau so aufgezogen, dass
sie absolut gelten und dass sie nur in absoluten Extremsituationen Spielraum offenlassen.
Insofern würde ich sagen, dass die Grundrechte auch in solchen Situationen nicht aufgeweicht
werden dürfen.“
Welche Folgen der Tod Osama bin Ladens haben wird, lässt
sich noch nicht abschätzen. Weltweit wächst die Angst vor neuen Terroranschlägen islamischer
Extremisten, die am Tod ihrer Symbolfigur Rache nehmen könnten. Professor Reder warnt
in diesem Zusammenhang von einer Radikalisierung der islamischen Religion:
„Ich
denke, man sieht bei den Debatten in Deutschland aber auch in vielen anderen Ländern
der Welt, dass der Islam oft über einen Kamm geschoren wird. Es wird nicht deutlich
zwischen den sehr unterschiedlichen Strömungen und politischen Haltungen, die es im
Islam gibt, unterschieden wird, angefangen von Marokko bis hin zu Indonesien. Ich
glaube, hier muss man sehr deutlich hinschauen und darf nicht automatisch den Islam
als eine gewalttätige Religion verurteilen. Hier denke ich, dass es wichtig ist, ein
differenziertes Bild, auch gerade in Hinsicht auf Osama bin Laden, weiter zu verfolgen
und auch in die gesellschaftliche Debatte einzubringen. Hier sehe ich auch eine große
Verantwortung der christlichen Kirchen, auf solche Differenzierungen aufmerksam zu
machen.“