Beten für bin Laden? Ja doch, das sollten Christen tun – sagt der französische Kardinal
Albert Vanhoye. In der italienischen Zeitung „Il Messaggero“ äußert der Bibelwissenschaftler
und Jesuit Vanhoye, Christen müssten für den Seelenfrieden Osama bin Ladens beten,
auch wenn der Terrorist ihr Feind gewesen sei. Das Evangelium sei in dieser Hinsicht
sehr eindeutig. „Ich habe für die Seele Osama bin Ladens gebetet“, so Kardinal
Vanhoye wörtlich. Man solle für ihn beten „wie für die Opfer des 11. September“, also
der von Bin Laden initiierten Anschläge von 2001 in New York und Washington. Und wörtlich:
„Jesus verpflichtet uns dazu, unseren Feinden zu vergeben. Das Vaterunser, das wir
jeden Tag beten, verlangt das von uns: Vergib uns unsere Schuld, wie auch wir vergeben
unseren Schuldigern! Man kann das nicht beten mit Rachegefühlen im Herzen oder voller
Hass unseren Feinden gegenüber.“
Nigeria Viele Kirchenführer
rund um den Globus äußern sich ähnlich wie der Kardinal. Der nigerianische Erzbischof
Ignatius Ayau Kaigama findet, auch bin Laden hätte eigentlich vor Gericht gestellt
werden müssen. Man könne Menschen nicht einfach umbringen, nur weil sie kriminell
seien, so Kaigama. Dies führe sonst in letzter Konsequenz zum „Recht des Dschungels“.
Nach Einschätzung des Erzbischofs, der auch Vize-Präsident der nigerianischen Bischofskonferenz
ist, sind mit dem Tod Bin Ladens die grundlegenden Probleme des Terrorismus weiter
ungelöst. In Indien bedauert Pater Babu Joseph, Sprecher der Bischofskonferenz, den
gewaltsamen Tod des Terroristen. „Er hätte sich bekehren, den Weg der Gewalt und des
Terrorismus verlassen und ein neues Leben der Versöhnung und des Friedens beginnen
können“, meinte der Priester der Steyler Missionare.
Pakistan Auch
der italienische Soziologe Massimo Introvigne ruft Pakistan dringend dazu auf, Christen
vor möglichen Repressalien durch al-Quaida-Terroristen und deren Verbündete zu schützen.
Introvigne ist Repräsentant bei der OSZE (Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit
in Europa) für den Kampf gegen Rassismus, Intoleranz und Diskriminierung von Christen.
Internetseiten für den Djihad hätten bereits „zum Niederreißen von Kirchen und zum
Töten von Christen aufgerufen“. Als Autor einer Biographie Bin Ladens hält Introvigne
dessen Tod vom symbolischen Gesichtspunkt her für „fundamental, aber nicht als Zerschlagung
des Al-Quaida-Netzwerks“. Introvigne ist an diesem Mittwoch zu einem Besuch im Vatikan.
Philippinen Für
den philippinischen Bischof von Isabela, Martin Jumoad, bedeutet allerdings
der Tod Bin Ladens den „Sieg des Guten über das Böse“. Seine Prälatur liegt in der
Provinz Basilan, wo militante Islamisten, die „Abu Sayyaf“, ihr Trainingslager hatten
und häufig auch die christlichen Gemeinden in dieser Zone angriffen. Jumoad hofft,
dass der Tod von bin Laden die Islamisten vor seiner Haustür schwächt.
Israel Der
Lateinische Weihbischof von Jerusalem, William Shomali, verspricht sich von
bin Ladens Tötung längerfristig „eine positive Wende“. Natürlich würden „andere bin
Ladens auftreten“, aber es sei doch „schon sehr positiv, dass das Symbol des al-Quaida-Extremismus
getroffen worden ist“.
Peru Eine interessante Reaktion auf
die Kommandoaktion in Pakistan kommt vom Staatspräsidenten von Peru, Alan Garcia:
Der Tod von bin Laden sei aus seiner Sicht „das erste Wunder“ des neuen Seligen Johannes
Paul II. Der Papst, der am Sonntag kurz vor der Tötung bin Ladens selig gesprochen
wurde, habe die Welt „von der Inkarnation des Bösen, des Verbrechens und des Hasses
befreit“. Garcia ist übrigens Träger des Friedensnobelpreises – wie auch US-Präsident
Barack Obama, der die Aktion gegen bin Laden vom 1. Mai autorisiert hatte.
Irak Durch
das Verschwinden Bin Ladens werde es nicht mehr Frieden geben als früher und sein
Tod werde die harmonische Koexistenz der Religionen nicht vereinfachen. Das sagt der
Erzbischof von Kirkuk, Louis Sako. Es brauche eine langfristige erzieherische
Kampagne, um die jungen Muslime zu einem moderaten Islam zu führen, der das Andere
akzeptiert und die Unterschiede respektiert, so der Erzbischof. Denn der Krieg mache
die Dinge nur komplizierter und helfe nicht, einen positiven Wandel herbeizuführen.
Unterdessen hat der irakische Botschafter in Italien, Saiwan Barzani, versichert,
dass die Regierung alles unternehmen werde, um die Kirchen und die christliche Gemeinschaft
im Irak zu schützen. Nach dem Tod von Al-Kaida Führer Osama bin Laden wächst unter
den Christen im Irak die Angst vor Rache und Vergeltung.
Deutschland In
Deutschland sind viele Kirchenleute verstimmt darüber, dass Bundeskanzlerin Angela
Merkel in einer ersten Reaktion Freude über den Tod bin Ladens gezeigt hatte. „Man
kann sich als Mensch und erst recht nicht als Christ über den Tod eines Menschen freuen“,
sagt Bischof Franz-Josef Overbeck von Essen, der auch deutscher Militärbischof
ist. Die Würde eines Menschen sei immer zu achten, und die Kirche werde eine solche
Form der Tötung niemals gutheißen. Sie werde immer daran erinnern, dass es auch bei
Tyrannen eine strenge ethische Abwägung geben müsse. „Es wäre besser gewesen, wenn
sich bin Laden vor einem Gericht seiner Verantwortung gestellt hätte“, so Overbeck
wörtlich.
Auch die katholische Friedensbewegung „Justitia et Pax“ sieht Merkels
Freude über den Tod des Terrorchefs kritisch. Auch wenn der Einsatz militärischer
Gewalt aus ethischer Sicht im Extremfall bejaht werden könne, so erscheine es doch
befremdlich, wenn der Tod von Menschen bejubelt werde - das sagte der Vorsitzende
der Deutschen Kommission von Justitia et Pax, Bischof Stephan Ackermann, in
Trier. Die Genugtuung der Amerikaner könne er allerdings verstehen, denn sie wären
„in besonderer Weise Zielscheibe des Terrorismus von al Kaida geworden“. Auch
die stellvertretende Vorsitzende der Unionsfraktion, Ingrid Fischbach, ging
zu den Äußerungen der CDU-Vorsitzenden Merkel auf Distanz. „Aus christlicher Sicht
ist es sicher nicht angemessen, Freude über die gezielte Tötung eines Menschen und
dessen Tod zu äußern“, meinte sie. Fischbach gehört dem Zentralkomitee der deutschen
Katholiken an. Auch Bundestagsvizepräsident Wolfgang Thierse (SPD) hält nichts
von Freude über die Tötung bin Ladens. Er sei darüber zwar erleichtert, empfinde aber
kein Triumphgefühl: „Uns Deutschen ist hoffentlich jede Feier von militärischen Erfolgen
vergangen“, fügte er hinzu. In der Frage, ob die Tötung Bin Ladens durch US-Elitesoldaten
mit einer christlichen Überzeugung vereinbar ist, wollte sich Thierse nicht festlegen.
„Ein ganz einfaches Urteil zu fällen, fällt mir schwer“, sagte er. Und weiter: „Ich
glaube, dass es überhaupt keine politische Entscheidung gibt, von der man sagen kann,
sie ist christlich“, denn im Evangelium stünden keine politischen Anweisungen.