2011-05-02 14:35:45

„Habt keine Angst voreinander - hätte Johannes Paul II. zu Bin Ladens Tod gesagt“


RealAudioMP3 „Habt keine Angst“ – dieses Motto des seit Sonntag seligen Papstes Johannes Paul II. sollte eine grundlegende Maßnahme auch der Terrorismusbekämpfung sein – und zwar in der Sicht der Beziehungen der Völker untereinander, also im Sinne von „Habt keine Angst voreinander“. Daran erinnert nach Ermordung des Top-Terroristen Bin Laden am vergangenen Wochenende in Pakistan der Leiter des Institutes für Theologie und Frieden in Hamburg, Heinz-Gerhard Justenhoven. Neben dem Ausbau der Beziehungen der Völker in der internationalen Gerichtsbarkeit bedeute Friedensarbeit an der Basis auch „rhetorische Abrüstung“ und eine Überwindung der „Vergeltungslogik“, so Justenhoven im Gespräch mit Radio Vatikan. Der Schlag gegen Bin Laden – von US-Präsident als „Tat der Gerechtigkeit“ proklamiert – sei im Sinne nachhaltiger Gerechtigkeit kein wirklicher Erfolg.

„Ich glaube, dass eines des größten Verdienste, die dem soeben selig gesprochenen Papst Johannes Paul II. zu verdanken sind, sein Friedensgebet in Assisi (das erste im Jahr 1986, das zweite im Jahr 2002) war – in dem er weit im Vorfeld der Anschläge vom 11. September 2001 hat deutlich machen können, dass Religionen sich nicht für Gewalt missbrauchen lassen dürfen, sondern dass Religionen an ihrem Fundament eine Friedensaussage haben und dass sie als solche zusammenstehen wollen, dass sie sich gemeinsam dagegen wehren, sich für Zwecke der Gewalt vereinnahmen zu lassen und dass sie das auch öffentlich kenntlich machen. Der prognostizierte Krieg der Kulturen oder Kampf der Religionen gegeneinander ist ausgeblieben, und ich glaube, dass das ein großes Verdienst des verstorbenen Papstes ist.“

Herr Professor Justenhoven, der meistgesuchte Terrorist der Welt Osama Bin Laden wurde am Wochenende von amerikanischen Spezialeinheiten in Pakistan aufgespürt und getötet, ebenso vier weitere Personen, unter anderem der Sohn von Bin Laden. Ist das aus Ihrer Sicht ein Erfolg für die Gerechtigkeit?

„Es ist sicherlich ein Erfolg, das der Drahtzieher des internationalen Terrorismus nicht mehr ungeschützt und letztlich geschützt durch pakistanische Sicherheitskräfte seine Unwesen treiben kann. Ich bin zurückhaltend, es einen Erfolg für die Gerechtigkeit zu nennen, wenngleich ich Amerikaner, die unter dem Terrorismus der Al-Quaida gelitten haben verstehen kann. Damit man von einem Erfolg für die Gerechtigkeit sprechen könnte, müsste eigentlich ein Verfahren vor dem internationalen Gerichtshof durchgeführt worden sein, um dann wirklich auch nach den Maßstäben des Rechts ein Urteil zu sprechen.“

US-Präsident Obama bezeichnet den Schritt als Tat der Gerechtigkeit - „Justice has been done“ – sagte er wörtlich und gab an, die Einsatzkräfte hätten Obamas Körper nach dem Feuergefecht „in Besitz“ genommen. Amerika feiert den Schlag als „Triumpf“, Bürger jubelten nach Bekanntwerden der Nachricht vor dem Weißen Haus. Es scheint fast so, als würde der tote Terrorist als „Trophäe“ gesehen, sein Mord als Vergeltungsschlag. Das lässt einen fast an die alttestamentarische Weisung „Auge um Auge, Zahn um Zahn“ (Ex 21,24) denken, die für unbedingte und maßlose Vergeltung steht. Ist dieses Vorgehen einer modernen demokratischen und christlichen (Welt-) Gesellschaft überhaupt noch angemessen?

„Ich denke, wir müssen noch einmal einen Schritt zurückgehen und uns fragen, wie wir das internationale System überhaupt wahrnehmen. Es macht einen fundamentalen Unterschied, ob wir davon ausgehen, dass das Verhältnis der Völker und Staaten zueinander ein anarchisches, ein von Gewalt geprägtes internationales System ist, in dem es darum geht, sich notfalls auch mit Gewalt durchzusetzen. Oder ob wir – wie das in der kirchlichen Friedenslehre gedacht wird – letztlich davon ausgehen, dass wir eine Gemeinschaft sind und dass wir die Aufgabe, unsere Beziehungen zueinander – gerade wenn es Konfliktbeziehungen sind – nach den Regeln von Recht und Gerechtigkeit zu ordnen. Und da ist es erforderlich, eine Rechtsordnung zu entwickeln, die wir im Völkerrecht bereits in Ansätzen haben. Und dass wir Rechtsinstitutionen, die wir in den Vereinten Nationen, in der internationalen Gerichtsbarkeit haben, weiterzuentwickeln, um auf der Basis dieser Rechtsordnung – wie wir das im Staat ja auch tun – unser Verhältnis zueinander zu entwickeln. Dann kann man davon sprechen, dass Beziehungen der Völker und Staaten zueinander auf der Basis der Gerechtigkeit überhaupt organisierbar sind.“

Das ist sozusagen der Überbau, das Verhältnis der Staaten. Was muss dagegen an der Basis geschehen?

„Ich denke im Moment ist es ganz wichtig, dass wir uns die Rhetorik von Gewalt, von Rache, vom sog. „Kampf der Kulturen“ überhaupt nicht aufdrücken lassen, sondern dass wir noch einmal überlegen, wie auf der Basis eines Gefühles der Gemeinschaft der Menschheit – und das ist ja die Grundidee, die der christlichen Botschaft zugrunde liegt, dass nämlich alle Menschen gleich sind, und hierin unterscheiden wir uns überhaupt nicht vom Judentum oder dem Islam, von allen großen Religionen – dass wir von dieser Grundaussage aus überlegen, wie wir angesichts der Ungerechtigkeiten und Parteilichkeiten, die wir in unserer Welt jeden Tag erleben, einen Schritt weiter kommen, um die Beziehungen zu mehr Gerechtigkeit hin zu überdenken. Und dazu gehört beispielsweise auch, rhetorisch abzurüsten und Unterdrückung, Missachtung, mangelnde Anerkennung, Diskriminierungen zu sehen, zu benennen und ganz konkret zu sehen, wie diese Ungerechtigkeiten, das Verhältnis von Unfairness von oben und unten und Parteilichkeit überwunden werden kann.“

Welche Auswirkungen hat die Tötung Bin Ladens auf die Situation in Pakistan, wie wurde der Tod dort aufgenommen?

„Dazu kann ich wenig sagen (…) Ich glaube aber, ein entscheidender Punkt ist, dass wir – bzw. in diesem Fall die USA – deutlich machen: Es geht hier nicht ausschließlich darum, dass Amerika seine Sicherheitsinteressen in Pakistan vertritt, sondern es auch darum geht, zu fragen: Welche legitimen Interessen hat das pakistanische Volk? Nach meinem Wissen handelt es sich um ein Volk, das in der Vergangenheit durch die Naturkatastrophen sehr stark gelitten hat, das mit großen Problemen von Untererntwicklung zu kämpfen hat. Und hier muss es darum gehen, auch bei diesen Problemen ganz konkret solidarisch zu sein, ansonsten werden wir statt eines Schrumpfens des Terrorismus ein Anwachsen des Terrorismus erleben."

Pakistan ist ja in den letzten Monaten auch wegen des umstrittenen Blasphemie-Gesetzes in die Schlagzeilen geraten, das oft dazu genutzt wird, religiöse Minderheiten in dem Land zu diskriminieren. Gießt der Schlag gegen Bin Laden jetzt Öl ins Feuer der radikalen Moslems?

„Das ist natürlich möglich, aber ich glaube, dass eine solche Situation – wie viele offene politische Situationen – die Möglichkeit haben, sich in beide Richtungen zu entwickeln. Es ist eine wichtige Frage, ob wir Situationen, die vom politischen Unrecht, von sozialer und kultureller Missachtung geprägt sind, bereit sind als solche anzuerkennen, ob wir im Rahmen unserer Möglichkeiten auch bereits sind, wirklich wirksam zu helfen. Terrorismus und Radikalisierung ist etwas, das wir immer dort erleben, wo gravierende Ungerechtigkeiten, gravierende Missachtungen und Diskriminierungen stattfinden. Diese bilden den Nährboden, auf dem sich Terrorismus bilden kann. Wenn es gelingt, dies zu überwinden, besteht eine Chance, dem Terrorismus das Wasser abzugraben.“

Die Fragen stellte Anne Preckel.

(rv 02.05.2011 pr)








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