„Habt keine Angst voreinander - hätte Johannes Paul II. zu Bin Ladens Tod gesagt“
„Habt keine Angst“
– dieses Motto des seit Sonntag seligen Papstes Johannes Paul II. sollte eine grundlegende
Maßnahme auch der Terrorismusbekämpfung sein – und zwar in der Sicht der Beziehungen
der Völker untereinander, also im Sinne von „Habt keine Angst voreinander“. Daran
erinnert nach Ermordung des Top-Terroristen Bin Laden am vergangenen Wochenende in
Pakistan der Leiter des Institutes für Theologie und Frieden in Hamburg, Heinz-Gerhard
Justenhoven. Neben dem Ausbau der Beziehungen der Völker in der internationalen Gerichtsbarkeit
bedeute Friedensarbeit an der Basis auch „rhetorische Abrüstung“ und eine Überwindung
der „Vergeltungslogik“, so Justenhoven im Gespräch mit Radio Vatikan. Der Schlag gegen
Bin Laden – von US-Präsident als „Tat der Gerechtigkeit“ proklamiert – sei im Sinne
nachhaltiger Gerechtigkeit kein wirklicher Erfolg.
„Ich glaube, dass
eines des größten Verdienste, die dem soeben selig gesprochenen Papst Johannes Paul
II. zu verdanken sind, sein Friedensgebet in Assisi (das erste im Jahr 1986, das zweite
im Jahr 2002) war – in dem er weit im Vorfeld der Anschläge vom 11. September 2001
hat deutlich machen können, dass Religionen sich nicht für Gewalt missbrauchen lassen
dürfen, sondern dass Religionen an ihrem Fundament eine Friedensaussage haben und
dass sie als solche zusammenstehen wollen, dass sie sich gemeinsam dagegen wehren,
sich für Zwecke der Gewalt vereinnahmen zu lassen und dass sie das auch öffentlich
kenntlich machen. Der prognostizierte Krieg der Kulturen oder Kampf der Religionen
gegeneinander ist ausgeblieben, und ich glaube, dass das ein großes Verdienst des
verstorbenen Papstes ist.“
Herr Professor Justenhoven, der meistgesuchte
Terrorist der Welt Osama Bin Laden wurde am Wochenende von amerikanischen Spezialeinheiten
in Pakistan aufgespürt und getötet, ebenso vier weitere Personen, unter anderem der
Sohn von Bin Laden. Ist das aus Ihrer Sicht ein Erfolg für die Gerechtigkeit?
„Es
ist sicherlich ein Erfolg, das der Drahtzieher des internationalen Terrorismus nicht
mehr ungeschützt und letztlich geschützt durch pakistanische Sicherheitskräfte seine
Unwesen treiben kann. Ich bin zurückhaltend, es einen Erfolg für die Gerechtigkeit
zu nennen, wenngleich ich Amerikaner, die unter dem Terrorismus der Al-Quaida gelitten
haben verstehen kann. Damit man von einem Erfolg für die Gerechtigkeit sprechen könnte,
müsste eigentlich ein Verfahren vor dem internationalen Gerichtshof durchgeführt worden
sein, um dann wirklich auch nach den Maßstäben des Rechts ein Urteil zu sprechen.“
US-Präsident
Obama bezeichnet den Schritt als Tat der Gerechtigkeit - „Justice has been done“ –
sagte er wörtlich und gab an, die Einsatzkräfte hätten Obamas Körper nach dem Feuergefecht
„in Besitz“ genommen. Amerika feiert den Schlag als „Triumpf“, Bürger jubelten nach
Bekanntwerden der Nachricht vor dem Weißen Haus. Es scheint fast so, als würde der
tote Terrorist als „Trophäe“ gesehen, sein Mord als Vergeltungsschlag. Das lässt einen
fast an die alttestamentarische Weisung „Auge um Auge, Zahn um Zahn“ (Ex 21,24) denken,
die für unbedingte und maßlose Vergeltung steht. Ist dieses Vorgehen einer modernen
demokratischen und christlichen (Welt-) Gesellschaft überhaupt noch angemessen?
„Ich
denke, wir müssen noch einmal einen Schritt zurückgehen und uns fragen, wie wir das
internationale System überhaupt wahrnehmen. Es macht einen fundamentalen Unterschied,
ob wir davon ausgehen, dass das Verhältnis der Völker und Staaten zueinander ein anarchisches,
ein von Gewalt geprägtes internationales System ist, in dem es darum geht, sich notfalls
auch mit Gewalt durchzusetzen. Oder ob wir – wie das in der kirchlichen Friedenslehre
gedacht wird – letztlich davon ausgehen, dass wir eine Gemeinschaft sind und dass
wir die Aufgabe, unsere Beziehungen zueinander – gerade wenn es Konfliktbeziehungen
sind – nach den Regeln von Recht und Gerechtigkeit zu ordnen. Und da ist es erforderlich,
eine Rechtsordnung zu entwickeln, die wir im Völkerrecht bereits in Ansätzen haben.
Und dass wir Rechtsinstitutionen, die wir in den Vereinten Nationen, in der internationalen
Gerichtsbarkeit haben, weiterzuentwickeln, um auf der Basis dieser Rechtsordnung –
wie wir das im Staat ja auch tun – unser Verhältnis zueinander zu entwickeln. Dann
kann man davon sprechen, dass Beziehungen der Völker und Staaten zueinander auf der
Basis der Gerechtigkeit überhaupt organisierbar sind.“ Das
ist sozusagen der Überbau, das Verhältnis der Staaten. Was muss dagegen an der Basis
geschehen?
„Ich denke im Moment ist es ganz wichtig, dass wir uns die
Rhetorik von Gewalt, von Rache, vom sog. „Kampf der Kulturen“ überhaupt nicht aufdrücken
lassen, sondern dass wir noch einmal überlegen, wie auf der Basis eines Gefühles der
Gemeinschaft der Menschheit – und das ist ja die Grundidee, die der christlichen Botschaft
zugrunde liegt, dass nämlich alle Menschen gleich sind, und hierin unterscheiden wir
uns überhaupt nicht vom Judentum oder dem Islam, von allen großen Religionen – dass
wir von dieser Grundaussage aus überlegen, wie wir angesichts der Ungerechtigkeiten
und Parteilichkeiten, die wir in unserer Welt jeden Tag erleben, einen Schritt weiter
kommen, um die Beziehungen zu mehr Gerechtigkeit hin zu überdenken. Und dazu gehört
beispielsweise auch, rhetorisch abzurüsten und Unterdrückung, Missachtung, mangelnde
Anerkennung, Diskriminierungen zu sehen, zu benennen und ganz konkret zu sehen, wie
diese Ungerechtigkeiten, das Verhältnis von Unfairness von oben und unten und Parteilichkeit
überwunden werden kann.“
Welche Auswirkungen hat die Tötung Bin Ladens
auf die Situation in Pakistan, wie wurde der Tod dort aufgenommen?
„Dazu
kann ich wenig sagen (…) Ich glaube aber, ein entscheidender Punkt ist, dass wir –
bzw. in diesem Fall die USA – deutlich machen: Es geht hier nicht ausschließlich darum,
dass Amerika seine Sicherheitsinteressen in Pakistan vertritt, sondern es auch darum
geht, zu fragen: Welche legitimen Interessen hat das pakistanische Volk? Nach meinem
Wissen handelt es sich um ein Volk, das in der Vergangenheit durch die Naturkatastrophen
sehr stark gelitten hat, das mit großen Problemen von Untererntwicklung zu kämpfen
hat. Und hier muss es darum gehen, auch bei diesen Problemen ganz konkret solidarisch
zu sein, ansonsten werden wir statt eines Schrumpfens des Terrorismus ein Anwachsen
des Terrorismus erleben."
Pakistan ist ja in den letzten Monaten auch
wegen des umstrittenen Blasphemie-Gesetzes in die Schlagzeilen geraten, das oft dazu
genutzt wird, religiöse Minderheiten in dem Land zu diskriminieren. Gießt der Schlag
gegen Bin Laden jetzt Öl ins Feuer der radikalen Moslems?
„Das ist natürlich
möglich, aber ich glaube, dass eine solche Situation – wie viele offene politische
Situationen – die Möglichkeit haben, sich in beide Richtungen zu entwickeln. Es ist
eine wichtige Frage, ob wir Situationen, die vom politischen Unrecht, von sozialer
und kultureller Missachtung geprägt sind, bereit sind als solche anzuerkennen, ob
wir im Rahmen unserer Möglichkeiten auch bereits sind, wirklich wirksam zu helfen.
Terrorismus und Radikalisierung ist etwas, das wir immer dort erleben, wo gravierende
Ungerechtigkeiten, gravierende Missachtungen und Diskriminierungen stattfinden. Diese
bilden den Nährboden, auf dem sich Terrorismus bilden kann. Wenn es gelingt, dies
zu überwinden, besteht eine Chance, dem Terrorismus das Wasser abzugraben.“