Kardinal Ratzinger über Johannes Paul II.: „Leiden kann etwas Positives sein“
Viele Bilder sind
wohl den Menschen von Papst Johannes Paul II. in Erinnerung geblieben. Die letzten
Monate im Leben des polnischen Papstes waren aber vor allem von Leid und Krankheit
gezeichnet. Damals, vor sechs Jahren, kurz vor seinem Tod, war die Diskussion groß
über den „schweigenden Papst“, der in der Gemelli-Klinik lag und kaum mehr sprechen
konnte. Unser ehemaliger Redakteur Ludwig Waldmüller hat sich damals mit dem damaligen
Kurienkardinal Joseph Ratzinger über den leidenden Papst unterhalten. Der heutige
Papst Benedikt XVI. würdigte damals seinen Vorgänger. Ein Griff ins Archiv, der angesichts
der Seligsprechung am Sonntag wohl ein historischer Griff ist…
Der Papst
liegt im Krankenhaus, man sagt, er kann im Moment nicht sprechen. Muß ein Papst sprechen
können, um Papst sein zu können?
Kardinal Joseph Ratzinger: Ich würde sagen,
normalerweise natürlich schon. Aber im Bogen eines langen päpstlichen Dienens und
Lebens kann auch eine Phase des Nichtsprechens durchaus ihren Sinn haben, wenn der
Papst auf andere Weise fähig ist, Entscheidungen bekanntzugeben und zu kommunizieren,
zu hören und zu antworten; es gibt ja dazu viele Möglichkeiten. Ich glaube, wir haben
gerade in diesen letzten Jahren gelernt, dass das Zeugnis eines leidenden Papstes
eine große Bedeutung hat, dass Leiden eine eigene Art der Verkündigung ist. Ich habe
durch viele Briefe und persönliche Zeugnisse gesehen, wie leidende Menschen sich dadurch
neu angenommen fühlen. Mir hat die Vereinigung der Parkinson-Kranken geschrieben,
dass sie dem Papst so danken, dass er gleichsam ihr Bild rehabilitiert, indem er öffentlich
den Mut hat, als solcher Leidender aufzutreten und dennoch mit ganzem Einsatz zu wirken.
Und er hat uns gerade auch in der Zeit seines Leidensweges vieles geschenkt und Neues
gesagt. Kurzum: Es ist ja ein Stück eines ganzen Weges. Wir haben vom Papst sehr viele
Worte geschenkt bekommen, eine große Botschaft. Eine andere Botschaft ist, dass er
nun in die Passion Jesu Christi mit eintritt; und das zeigt, wie Leiden fruchtbar
ist als Mittragen mit dem Herrn, Mittragen mit den vielen Leidenden dieser Welt, denen
sichtbar wird: Leiden hat Sinn, Leiden kann etwas Positives sein. Insofern, glaube
ich, ist das, wenn man das Ganze seines Papstlebens und -wirkens betrachtet, eine
Botschaft, die gerade in dieser Welt wichtig ist, in der man das Leiden abschaffen
will, das man eben nicht abschaffen kann.
Was trägt ihn, dass er sich selbst
in diesem Leid noch so zeigen kann?
Ratzinger: Ich denke, wir haben gerade
in seinem letzten Buch eine Antwort darauf gefunden, wo er uns sagt, dass er im Zusammenhang
mit dem Attentat einerseits und mit der Botschaft von Faustina Kowalska über das göttliche
Mitleid andererseits gelernt hat, dass im Mitleiden Gottes das Leiden selbst einen
neuen positiven Sinn gewonnen hat und eine wesentliche Form ist, wie Gott uns erlöst,
dem Bösen eine Grenze setzt. Er setzt dem Bösen nicht Grenzen, indem er Gewalt dagegensetzt;
er begrenzt es gerade durch sein Mitleiden, indem er nun das Böse nicht selber tut,
sondern den Menschen, die Welt in seinem Leiden neu aufnimmt und annimmt. Diese innere
Überzeugung, die in ihm gerade seit dem Attentat gereift ist und für die ihm die Botschaft
von Faustina Kowalska über das göttliche Mitleiden ein theologischer Vorlauf gewesen
war, ist sozusagen die inwendige Schau, von der er dabei lebt und mit der er das im
Gefolge des leidenden Christus als Zeichen des Vertrauens auf das göttliche Mitleiden
annimmt und den anderen weitergibt.
Ist seine Botschaft eine andere als
früher? Bringt ihn dieses Leiden näher an Jesus Christus, während er vorher der Verkündiger
war?
Ratzinger: Darüber sollten wir nicht urteilen, wann jemand näher an
Jesus Christus ist. Das Ganze gehört zusammen: Christus hat, wie einer der italienischen
Gründer einer der Bewegungen gesagt hat, tagsüber gelehrt, nachts gebetet und am Ende
seines Lebens gelitten, und alles zusammen bildet den Weg Jesu Christi, durch den
er uns das wahre Gesicht Gottes gezeigt hat. Er hat Anteil genommen in großem Umfang
an dem Auftrag des Verkündigens, er war immer ein betender Mensch, und er ist nun
in besonderer Weise ein leidender Mensch. In allem zusammen tritt er auch immer tiefer
in die Gemeinschaft mit Christus ein.
Das Interview führte Ludwig Waldmüller
für Radio Vatikan