Zwei große Zeichen prägen die liturgische Feier
der Osternacht. Da ist zunächst das Feuer, das zum Licht wird. Das Licht der Osterkerze,
das in der Prozession in der nächtlichen Kirche zu einer Flut von Lichtern wird, spricht
uns von Christus als dem wahren Morgenstern, der in Ewigkeit nicht untergeht – von
dem Auferstandenen, in dem das Licht über die Finsternis gesiegt hat. Das zweite Zeichen
ist das Wasser. Es erinnert einerseits an die Flut des Roten Meeres, an Untergang
und Tod, an das Geheimnis des Kreuzes. Dann aber erscheint es uns als Quellwasser,
als Element, das in der Dürre Leben gibt. So wird es zum Bild für das Sakrament der
Taufe, das uns an Tod und Auferstehung Jesu Christi beteiligt.
Zur Liturgie
der Osternacht gehören aber nicht nur die großen Schöpfungszeichen Licht und Wasser.
Ganz wesentlich ist für sie auch, daß sie uns in eine umfassende Begegnung mit dem
Wort der Heiligen Schrift führt. Vor der Liturgiereform gab es zwölf alttestamentliche
und zwei neutestamentliche Lesungen. Die neutestamentlichen Lesungen sind geblieben.
Die Zahl der alttestamentlichen Lesungen ist auf sieben Texte festgelegt, kann aber
nach den örtlichen Verhältnissen auch drei Lesungen reduziert werden. Die Kirche will
uns in einer großen Überschau den Weg der Heilsgeschichte führen von der Schöpfung
über die Erwählung und die Errettung Israels bis zu den prophetischen Zeugnissen,
mit denen diese ganze Geschichte immer deutlicher auf Jesus Christus zugeht. In der
liturgischen Überlieferung wurden alle diese Lesungen Prophetien genannt. Auch wenn
sie nicht direkt Voraussagen künftigen Geschehens sind, haben sie prophetischen Charakter,
zeigen sie uns den inneren Grund und die Richtung der Geschichte. Sie lassen Schöpfung
und Geschichte durchsichtig werden auf das Wesentliche. So nehmen sie uns an die Hand
und führen uns zu Christus hin, zeigen uns das wahre Licht.
Die Wanderung durch
die Wege der Heiligen Schrift beginnt in der Osternacht mit dem Schöpfungsbericht.
Auch der Schöpfungsbericht ist Prophetie, will uns damit die Liturgie sagen. Er ist
nicht eine Information über den äußeren Hergang des Werdens von Kosmos und Mensch.
Den Vätern der Kirche war das sehr bewußt. Sie haben den Bericht nicht als Erzählung
über den Verlauf der Entstehung der Dinge verstanden, sondern als Weisung zum Wesentlichen,
zum wahren Ursprung und zum Ziel unseres Seins. Nun kann man fragen: Ist es wirklich
wichtig, in der Osternacht auch von der Schöpfung zu sprechen? Könnte man nicht mit
den Ereignissen beginnen, in denen Gott den Menschen ruft, sich ein Volk bildet und
seine Geschichte mit den Menschen auf der Erde schafft? Die Antwort muß lauten: nein.
Die Schöpfung wegzulassen, würde bedeuten, die Geschichte Gottes mit den Menschen
selbst mißzuverstehen, sie zu verkleinern, ihre wahre Größenordnung nicht mehr zu
sehen. Der Radius der Geschichte, die Gott gestiftet hat, reicht bis zu den Ursprüngen,
bis zur Schöpfung hin. Unser Glaubensbekenntnis beginnt mit den Worten: „Ich glaube
an Gott, den Vater, den Allmächtigen, den Schöpfer des Himmels und der Erde.“ Wenn
wir diesen Anfang des Credo weglassen, wird die ganze Heilsgeschichte zu eng und zu
klein. Die Kirche ist nicht irgendeine Vereinigung, die sich um die religiösen Bedürfnisse
der Menschen kümmert, aber eben ihr beschränktes Vereinsziel hat. Nein, sie bringt
den Menschen in Berührung mit Gott und so mit dem Ursprung aller Dinge. Deshalb geht
Gott uns als Schöpfer an, und deswegen tragen wir Verantwortung für die Schöpfung.
Unsere Verantwortung reicht bis auf die Schöpfung hin, weil sie vom Schöpfer herkommt.
Nur weil Gott das Ganze geschaffen hat, kann er uns Leben geben und unser Leben führen.
Das Leben im Glauben der Kirche umfaßt nicht nur einen Bereich von Empfindungen und
Gefühlen und vielleicht von moralischen Verpflichtungen. Es umfaßt den Menschen ganz,
von seinem Ursprung her und auf die Ewigkeit hin. Nur weil die Schöpfung Gott gehört,
können wir bis ins Letzte auf ihn bauen. Und nur weil er Schöpfer ist, kann er uns
Leben in Ewigkeit geben. Freude über die Schöpfung, Dankbarkeit für die Schöpfung
und Verantwortung für sie gehören zusammen.
Die zentrale Aussage des Schöpfungsberichts
läßt sich noch genauer bestimmen. Der heilige Johannes hat in den ersten Worten seines
Evangeliums den wesentlichen Sinn des Schöpfungsberichts in dem einen Satz zusammengefaßt:
„Im Anfang war das Wort.“ In der Tat ist der Schöpfungsbericht, den wir vorhin gehört
haben, durch den gleichmäßig wiederkehrenden Satz bestimmt: „Und Gott sprach…“. Die
Welt ist Produkt des Wortes, des Logos, wie Johannes mit einem Zentralwort der griechischen
Sprache sagt. Logos bedeutet Vernunft, Sinn, Wort. Er ist nicht bloß Vernunft, sondern
sprechende, sich selbst mitteilende, schöpferische Vernunft. Er ist Vernunft, die
Sinn ist und selbst wiederum Sinn stiftet. So sagt uns also der Schöpfungsbericht:
Die Welt ist Produkt der schöpferischen Vernunft. Und er sagt uns damit: Am Anfang
aller Dinge stand nicht das Unvernünftige, das Unfreie, sondern der Ursprung aller
Dinge ist die schöpferische Vernunft, ist die Liebe, ist die Freiheit. Hier stehen
wir vor der letzten Alternative, um die es im Disput zwischen Glaube und Unglaube
geht: Ist die Unvernunft, das Unfreie und der Zufall der Ursprung aller Dinge, oder
ist der Ursprung des Seins Vernunft, Freiheit, Liebe? Gilt der Primat der Unvernunft
oder der Vernunft? Um diese Frage geht es letztlich. Als Gläubige antworten wir mit
dem Schöpfungsbericht und mit Johannes: Am Anfang steht die Vernunft. Am Anfang steht
die Freiheit. Deshalb ist es gut, ein Mensch zu sein. Es ist nicht so, daß in dem
sich ausdehnenden Universum am Ende in irgendeinem kleinen Winkel des Alls zufällig
auch eine Art von Lebewesen entstand, die denken kann und versuchen kann, Vernunft
in der Schöpfung zu finden oder in sie hineinzubringen. Wäre der Mensch nur ein solches
Zufallsprodukt der Evolution irgendwo am Rand des Alls, dann wäre sein Leben sinnlos
oder gar eine Störung der Natur. Aber nein – die Vernunft ist zuerst, die schöpferische,
die göttliche Vernunft. Und weil sie Vernunft ist, hat sie auch Freiheit geschaffen,
und weil Freiheit mißbrauchbar ist, darum gibt es auch das Schöpfungswidrige; darum
zieht sich gleichsam ein dicker dunkler Strich durch den Bau des Universums und durch
das Wesen des Menschen. Aber diesem Widerspruch zum Trotz bleibt die Schöpfung als
solche gut, bleibt das Leben gut, weil am Anfang die gute Vernunft, die schöpferische
Liebe Gottes steht. Darum ist die Welt erlösbar. Darum können und müssen wir uns auf
die Seite der Vernunft, der Freiheit und der Liebe stellen – auf die Seite des Gottes,
der uns liebt, so sehr, daß er für uns gelitten hat, damit aus seinem Tod neues, endgültiges,
geheiltes Leben hervorgehen konnte.
Der alttestamentliche Schöpfungsbericht,
den wir gehört haben, zeigt diese Ordnung der Wirklichkeiten eindeutig an. Er führt
uns aber noch einen Schritt weiter. Er hat den Vorgang der Schöpfung im Bild einer
Woche gestaltet, die auf den Sabbat zuläuft, in ihm ihre Erfüllung findet. Der Sabbat
war für Israel der Tag, an dem alle an der Ruhe Gottes teilnehmen durften, an dem
Mensch und Tier, Herr und Sklave, Große und Kleine in der Freiheit Gottes geeint waren.
So war der Sabbat Ausdruck des Bundes zwischen Gott und Mensch und der Schöpfung.
Das Miteinander von Gott und Mensch aber erscheint so nicht als etwas Nachträgliches,
das in einer schon fertig geschaffenen Welt noch eingerichtet wurde. Der Bund, das
Miteinander von Gott und Mensch ist in der Schöpfung von Grund auf angelegt. Ja, der
Bund ist der innere Grund der Schöpfung, wie die Schöpfung die äußere Bedingung des
Bundes ist. Gott hat die Welt gemacht, damit eine Stelle sei, an der er seine Liebe
mitteilen kann und von der aus die Antwort der Liebe zu ihm zurückkehrt. Vor Gott
ist das Herz des Menschen, das ihm antwortet, größer und wichtiger als der ganze gewaltige,
materielle Kosmos, der uns freilich etwas von Gottes Größe ahnen läßt.
An Ostern
und von der österlichen Erfahrung der Christen her müssen wir aber nun noch einen
weiteren Schritt tun. Der Sabbat ist der siebte Tag der Woche. Nach sechs Tagen, an
denen der Mensch gleichsam an der Schöpfungsarbeit Gottes teilnimmt, ist der Sabbat
der Tag der Ruhe. Aber in der werdenden Kirche ist etwas Unerhörtes geschehen: An
die Stelle des Sabbats, des siebten Tags, tritt der erste Tag. Als Tag der gottesdienstlichen
Versammlung ist er der Tag der Begegnung mit Gott durch Jesus Christus, der am ersten
Tag, am Sonntag, den Seinen als Auferstandener begegnete, nachdem sie das Grab leer
gefunden hatten. Die Wochenstruktur ist nun umgekehrt. Sie läuft nicht mehr auf den
siebten Tag zu, um dort an Gottes Ruhe teilzunehmen. Sie beginnt mit dem ersten Tag
als Tag der Begegnung mit dem Auferstandenen. Diese Begegnung vollzieht sich immer
neu in der Feier der Eucharistie, in der der Herr wieder in die Mitte der Seinen tritt
und sich ihnen schenkt, sich von ihnen gleichsam berühren läßt, sich mit ihnen zu
Tisch setzt. Diese Änderung ist ein unerhörter Vorgang, wenn man bedenkt, daß der
Sabbat, der siebte Tag als Tag der Begegnung mit Gott zutiefst im Alten Testament
verankert ist. Wenn wir beachten, wie sehr der Weg von der Arbeit zum Tag der Ruhe
auch einer natürlichen Logik entspricht, wird das Dramatische dieses Umschwungs noch
deutlicher. Dieser revolutionäre Vorgang, der sich gleich zu Beginn des Werdens der
Kirche zugetragen hat, ist nur zu erklären aus der Tatsache, daß an diesem Tag Unerhörtes
geschehen war. Der erste Wochentag war der dritte Tag nach Jesu Tod. Es war der Tag,
an dem er sich den Seinen als der Auferstandene zeigte. Diese Begegnung hatte in der
Tat etwas Umstürzendes an sich. Die Welt hatte sich geändert. Der Tote lebte mit einem
Leben, das von keinem Tod mehr bedroht war. Eine neue Weise des Lebens, eine neue
Dimension der Schöpfung hatte sich eröffnet. Der erste Tag ist nach dem Genesis-Bericht
der Tag, an dem die Schöpfung beginnt. Nun war er auf eine neue Weise zum Schöpfungstag,
zum Tag der neuen Schöpfung geworden. Wir feiern den ersten Tag. Wir feiern damit
Gott, den Schöpfer und seine Schöpfung. Ja, ich glaube an Gott, den Schöpfer des Himmels
und der Erde. Und wir feiern den Gott, der Mensch geworden ist, gelitten hat, gestorben
ist und begraben wurde und auferstand. Wir feiern den endgültigen Sieg des Schöpfers
und seiner Schöpfung. Wir feiern diesen Tag als Ursprung und zugleich als Ziel unseres
Lebens. Wir feiern ihn, weil nun vom Auferstandenen her endgültig gilt, daß die Vernunft
stärker ist als die Unvernunft, die Wahrheit stärker als die Lüge, die Liebe stärker
als der Tod. Wir feiern den ersten Tag, weil wir wissen, daß der dunkle Strich, der
die Schöpfung durchzieht, nicht für immer bleibt. Wir feiern ihn, weil wir wissen,
daß nun endgültig gilt, was am Ende des Schöpfungsberichts gesagt ist: „Gott sah alles
an, was er gemacht hatte: Es war sehr gut“ (Gen 1,31). Amen.