Falls Ägypten eine
wahre Demokratie wird, könnte sich auch das Zusammenleben der Muslime und Kopten verbessern.
Davon ist der aus Ägypten stammende Historiker Samir Boulos überzeugt. Er ist Kopte.
Der Wissenschaftler promoviert derzeit an der Universität Zürich zum Thema „Europäisch-protestantische
Missionsinstitutionen in Ägypten: Orte kultureller Verflechtung“. Es sei nicht zu
hoffen, dass Ägypten zu einem zweiten Indonesien werde. Dort sei das Land zwar demokratischer
geworden, doch die wirtschaftliche Entwicklung führte zu starken gesellschaftlichen
Ungleichheiten, was ein fruchtbarer Boden für radikal-islamistische Gruppierungen
ist. Ähnliches sei in Ägypten zu vermeiden, so Boulos.
„Es geht nicht nur
um Demokratisierung und wirtschaftlichen Aufschwung. Breite Massen müssen von den
wirtschaftlichen Entwicklungen profitieren können. Es muss allgemein in die Bildung
investiert werden. Das Bildungssystem in Ägypten liegt im Argen. Das muss unbedingt
verbessert werden.“
Die Religion sei für die Entwicklung des nordafrikanischen
Landes wichtig, so Boulos.
„Religion bildete bisher einen Fluchtweg. Eine
Flucht in ein durch den rigide gelebten Glaube verdientes Paradies oder eine Flucht
in religiös-politische Utopien. Die Religiosität ist in den letzten 40 Jahren immer
wichtiger geworden in der ägyptischen Gesellschaft. Bisher war es so, dass der Glaube
ans Jenseits Hoffnung schenkte. Das führte auch zu Fanatismus. Religion soll aber
in der Gesellschaft wichtig sein - und nicht in der Politik. Das ist meine Hoffnung.“
Dennoch
glaubt Boulos nicht, dass die Muslim-Brüder in Ägypten die Überhand gewinnen werden.
„Die
Muslim-Brüder sind kein einheitlicher Block. Es hat sich während der Revolution gezeigt,
dass die jungen und aufgeschlosseneren Muslimbrüder sich schon bald an den Protesten
beteiligen wollten, während die älteren Mitglieder und der konservativere Teil der
Bruderschaft den Protesten skeptisch gegenüber standen.“
Für die Kopten
bleibt derzeit vieles noch unklar, doch die offensichtliche Einheit von Kopten und
Muslimen während der Protesten lassen einen auf eine gute Zukunft hoffen, so der in
der Schweiz aufgewachsene Samir Boulos.
„Ich hoffe, dass die Demokratie
die Überhand gewinnt und niemand mehr vor der Polizei Angst haben muss und frei die
eigene Meinung äußern kann. Auch hoffe ich, dass es ein Land wird, in dem Religionsfreiheit
herrschen wird, wo Muslime und Kopten gemeinsam mit gleichen Rechten und Pflichten
leben können und sich gegenseitig im Alltag schätzen.“
Dass das ein brisanter
Wunsch ist, zeigen Vorgänge von diesem Wochenende. Ägyptens Ministerpräsident hat
erstmals einen koptischen Christen zum Gouverneur einer Provinz berufen - der Provinz
Quena. Dagegen gab es in den letzten Tagen zahlreiche, wütende Proteste von Moslems.