Vier Monate nach der
Flucht von Präsident Ben Ali aus Tunesien ist die politische und wirtschaftliche Zukunft
des Landes immer noch ungewiss. Zwar sollen bald Wahlen stattfinden, die Wirtschaft
des Landes liegt aber nach wie vor brach, nachdem sich nach der Revolution viele ausländische
Firmen zurück gezogen hatten. Wir haben mit Othmar Oehring vom katholischen Missionsdienst
Missio gesprochen, der gerade von seiner Reise aus Tunesien zurückgekehrt ist. Er
hat sich in den Straßen der Hauptstadt Tunis über die Wünsche und Erwartungen der
Menschen umgehört: „Also zwei Punkte, die ganz besonders wichtig sind: Einerseits
der „Etat civil“, also ein säkularer Staat, den die Menschen doch offensichtlich in
der Mehrheit wollen. Der aber bewusst nicht als laizistischer Staat bezeichnet wird,
weil das dann doch Reaktionen der Islamisten hervorrufen würde, die man nicht hervorrufen
will. Und das zweite, gerade auch von den Frauen als ganz wichtig bezeichnet, ist
die Frage des Personenstandrechts, das in der Bourguiba-Zeit (Anm.d.Red.: Habib Bourguiba,
erster Präsident Tunesiens nach der Unabhängigkeit von Frankreich im Jahr 1956) in
der Weise modernisiert worden ist, dass Mann und Frau im tunesischen Recht gleich
sind. Dass das auch so bleibt, dafür will man sich natürlich einsetzen.“ Unterdessen
geht der Streit um die tunesischen Flüchtlinge zwischen der Europäischen Union und
Italien weiter. Laut EU-Behörden könne von einer Massenflucht nach Europa keine Rede
sein. Die Vereinten Nationen weisen dagegen auf die viel dramatischere Lage in Nordafrika
hin: Allein Tunesien hat mehr als 200.000 Flüchtlinge aus Libyen aufgenommen. In Tunis
selbst regt sich deshalb aber niemand auf, so Oehring: „Das Thema der Flüchtlinge
ist kein zentrales Thema. Die Flüchtlinge sind weit weg, nicht ganz so weit weg, wie
sie von Europa aus gesehen sind. Man hört natürlich in Kirchenkreisen über die Arbeit,
die zugunsten der Flüchtlinge gemacht wird. Da ist von tausenden von warmen Mahlzeiten
die Rede, die zubereitet worden sind, in jenen Landesteilen, in denen die Flüchtlinge
momentan sind. Aber ansonsten merkt man davon in Tunis zumindest nichts.“ Italien
hat an diesem Samstag begonnen, tausenden Tunesiern befristete Aufenthaltsgenehmigungen
auszustellen. Vor der Polizeistation am italienisch-französischen Grenzübergang Ventimiglia
stehen tunesische Migranten seit den Morgenstunden Schlange, um nach Frankreich weiterreisen
zu können. Dagegen wäre eine Migration in die andere Richtung, also von Europa nach
Tunesien, genau das, was das Land derzeit braucht, so Oehring: „Ich denke,
was Tunesien ganz sicher braucht, das ist der Tourismus. Der Tourismus muss wiederbelebt
werden. Das größte Problem Tunesiens ist die Arbeitslosigkeit, die war ja schon vor
der Revolution ein großes, wenn nicht das größte Problem des Landes, und sie ist natürlich
jetzt noch ein viel größeres Problem. Das Problem ist ganz deutlich in Tunis zu sehen:
Als Ausländer ist man momentan durchaus ein „seltenes Stück“, denn man sieht kaum
Ausländer in der Stadt, man sieht wirklich nur Tunesier.“ (rv 16.04.2011 ak)