Islamexperte: „Muslimische Denker fördern und herausfordern“
Demonstrationen im
Jemen, Unruhe auf dem Tahrir-Platz in Kairo, mehrere Mitglieder der Familie Mubarak
in Untersuchungshaft: Die „Arabellion“ geht weiter. Dabei hat es viele überrascht,
wie wenig bislang der Islam eine sichtbare Rolle in den Revolten spielt. Der Jesuit
und Islamexperte Felix Körner leitet das Institut für interdisziplinäre Kultur- und
Religionsstudien an der Päpstlichen Universität Gregoriana in Rom. Stefan Kempis fragte
Pater Körner, was der Islam mit der „Arabellion“ zu tun hat.
„Ich habe einer
ganzen Reihe meiner muslimischen Freunde genau diese Frage gestellt: Kommt der Arabische
Frühling aus einem islamischen Impuls? Und sie haben das alle verneint und gesagt:
Hier spielte ein Freiheitsgedanke eine Rolle, man will eventuell europäischer werden,
gerechter leben und gegen Korruption kämpfen – aber keiner hat etwa gesagt: Da war
ein Wort aus dem Koran ausschlaggebend. Das hat mich sogar ein bißchen enttäuscht,
muß ich sagen, weil ich denke: Es gibt doch auch im Koran und in der islamischen Überlieferung
Rechte, an die man sich heute erinnern kann und die man heute einfordern könnte! Aber
wir müssen sagen, dass diese Rechte hier an vorderster Front nicht zu hören waren.
Warum
eigentlich nicht? Weil man offenbar fürchtet: Wenn man jetzt den Islam zu laut ausruft
und zu groß auf die Flaggen schreibt, dann wird das Ergebnis auch nicht nur kulturell-islamisch
identifiziert sein, sondern wird zu leicht ins Islamistische umkippen, wird dann also
doch den gefürchteten Sharia-Staat hervorrufen...“
Kann man denn sagen:
In den Ländern, in denen die Revolte ausgebrochen ist, ist der Islam noch nicht so
weit gewesen, sich auf eine solche freiheitliche Revolte draufzusetzen? Ist er gewissermaßen
auf dem falschen Fuß erwischt worden?
„Es gibt in der arabischsprachigen
islamischen Welt tatsächlich im Moment ganz wenige muslimisch identifizierte, vielleicht
als Theologen arbeitende Denker, die für einen modernen islamischen Rechtsstaat bzw.
Freiheitsstaat argumentieren und arbeiten. Davon gibt es noch zu wenige, und darum
war man nicht genug auf eine solche Bewegung intellektuell-islamisch-theologisch vorbereitet.
In anderen Ländern könnte man sie – außerhalb der arabischen Welt – schon leichter
finden. Aber ich denke, da haben wir jetzt auch eine spannende Aufgabe als theologische
Gesprächspartner christlicherseits, solche muslimische Denker zu fördern und auch
herauszufordern, neue Bahnen in ihrem theologischen Denken zu gehen.“
Die
Menschen in Ländern wie Ägypten oder Syrien rufen: Tahrir, Hurriat – Freiheit! Das
kommt aber im Koran gar nicht vor, nicht wahr? Am ehesten finden wir noch das Wort:
adl – Gerechtigkeit. Wo ist denn das Prinzip in Koran oder Hadith (also der islamischen
Überlieferung), an das sich jetzt anknüpfen ließe, wenn man denn wollte?
„Der
beste Anknüpfungspunkt ist die Frage: Was macht der Koran eigentlich? Der Koran ist
ein permanenter Bekehrungsruf: Wende dich dem einen Gott zu! Und was bedeutet es,
wenn mich jemand hier anruft: Wende dich dem einen Gott zu? Es bedeutet: Du hast die
Möglichkeit, heute eine Lebensentscheidung zu treffen! Der Koran setzt also permanent
eine Freiheit zur Entscheidung voraus – er enthält also implizit, indirekt, sehr wohl
ständig das Denken, dass der Mensch frei ist, jetzt sein Schicksal in die Hand zu
nehmen und Gott anzuvertrauen, jetzt sich zu bekehren, jetzt seine Lebenskehre vorzunehmen.
Der Koran ist also ein Wort der Freiheit an freie Menschen!“