Vor welchen Herausforderungen
steht Glaubensverkündigung im heutigen China? Um diese Frage geht es bei der laufenden
Sitzung der China-Kommission im Vatikan, die am Mittwoch zu Ende geht. Seit Veröffentlichung
von Papst Benedikts Brief an die chinesischen Katholiken im Mai 2007 tritt das Gremium
aus Kurienkardinälen, Ordensleuten und Vertretern des chinesischen Episkopats jährlich
zusammen. Inhaltliche Details zum aktuellen Treffen hat der Heilige Stuhl bisher nicht
bekannt gegeben. Anzunehmen ist jedoch, dass es dabei auch um die letzten Spannungen
zwischen Vatikan und chinesischer Regierung gehen dürfte. Nach der von Vatikanseite
nicht genehmigten Bischofsweihe von Joseph Guo Jincai hatte sich das Verhältnis zwischen
Heiligem Stuhl und chinesischer Regierung im November 2010 zeitweise wieder verschlechtert.
Als „Tiefpunkt“ im Bemühen um Annäherung wertet die Weihe von Chengde auch der gebürtige
Schweizer Stephan Rothlin, der seit vielen Jahren in Beijing Wirtschaftsethik lehrt.
Dennoch dürfe man jetzt keine Schwarzmalerei betreiben, unterstreicht Rothlin im Gespräch
mit uns: „Das sind selbstverständlich Rückschläge, nur denke ich, wenn man in
Großräumen denkt, ist trotzdem nicht alles im Eimer. Viele positive Entwicklungen,
die in die Wege geleitet wurden, können auch durch solche Ereignisse nicht mehr rückgängig
gemacht werden. Seit Jahrzehnten wurden von beiden Seiten Anstrengungen unternommen,
und ich denke, da muss man einfach weiterarbeiten.“ Bei China müsse man in
großen Zeiträumen denken, erinnert Rothlin mit Verweis auf die lange Geschichte des
Reichs der Mitte. Aus diesem Blickwinkel habe es in China in den letzten Jahrzehnten
rasante Fortschritte gegeben, was das Glaubensleben betrifft, meint Rothlin:
„Momentan gibt es einen dramatischen Aufbruch der Kirche. In den letzten 20 Jahren
ist der Zuwachs an christlichen Bekehrung historisch gewachsen, bei den Protestanten
noch mehr als bei den Katholiken – seit 1949 haben sich die Zahlen dieser Christen
vervierfacht oder verfünffacht, bei den Katholiken seit 1949 verdoppelt. Das ist ein
großer Unterschied zum europäischen Kontext: Religion ist in China sehr gefragt.“
Das zeige sich auch an den steigenden Zahlen beim kirchlichen Nachwuchs, so
Rothlin weiter: „Wenn Sie mit kirchlichen Kreisen zu tun haben, springt positiv
ins Auge, wie viel junge Priester da im Spiel sind, junge Ordensschwestern, Seminaristen.
Ich habe noch nie so viele gesehen wie in China. Der Einfluss der Kirche in China
ist enorm. Und deshalb muss man weitermachen. Ich denke, dass der Papstbrief von 2007
außerordentlich wichtig war. Er ist ein bewegendes Zeugnis der Annäherung, auch Wertschätzung
der chinesischen Kultur, wobei er natürlich zu Recht auf bestimmte kirchenrechtliche
Grundbedingungen hingewiesen hat.“ Als positive Folge des Papstbriefes könne
zum Beispiel die Gruppe von Bischöfen gelten, die nach 2007 mit beiderseitiger Zustimmung
des Vatikans und der chinesischen Regierung zu Bischöfen ernannt worden seien, so
Rothlin. Das seien mit 40 bis 50 Jahren alles relativ junge Neuzugänge für die katholische
Kirche in China gewesen. Vor knapp einem Monat noch war ein solcher Bischof im Einvernehmen
von Vatikan und chinesischen Behörden geweiht worden, erstmals seit den Verstimmungen
des vergangenen Jahres. Auch ein neues Bewusstsein der chinesischen Gesellschaft
um die Notwendigkeit sozialer Arbeit ortet China-Seismograph Rothlin im Gespräch mit
Radio Vatikan. Das habe sich vor allem bei der letzten Erdbeben-Katastrophe in der
Provinz Sichuan gezeigt: „Und selbstverständlich sieht man auf verschiedenen
Ebenen, wie sich die Zivilgesellschaft langsam mehr und mehr herausschält. Das Erdbeben
im Mai 08, sagen manche kritische Zeitungen, sei die Geburt der Zivilgesellschaft
gewesen. Und warum? Weil da klar wurde, wie selbstverständlich sich die Chinesen solidarisch
gezeigt haben und wie auch NGOs zum Zug gekommen sind. Auch beim letzten Erdbeben
in Japan hat die katholische Kirche China aktiv reagiert. Das hat ihr große Glaubwürdigkeit
verschafft.“ (rv 12.04.2011 pr)