Nuntius in Ägypten: „Christen sollten sich mehr anstrengen“
Die Christen in Ägypten
sollten sich stärker engagieren, um die derzeitigen Umwälzungen im Land mitzugestalten
– und zwar im Interesse aller als Staatsbürger, nicht um nur etwas für sich selbst
herauszuschlagen. Das meint der Päpstliche Nuntius in Kairo, Erzbischof Michael Fitzgerald,
der früher den Päpstlichen Dialograt geleitet hat. Stefan Kempis fragte ihn am Wochenende,
ob der Prozess der Veränderung in Ägypten aus christlicher Sicht in die richtige Richtung
läuft.
„Naja – ich glaube, wir sollten die Revolution vom 25. Januar zumindest
als eine Gelegenheit sehen, die sich nicht nur den Christen eröffnet hat, sondern
allen Bürgern Ägyptens. So sollte man das sehen: Christen und Moslems sind als Bürger
gleichermaßen davon betroffen, und wir sollten dies nicht von einem einzigen Standpunkt
aus analysieren, sondern als Gelegenheit für alle Ägypter, die Gesellschaft zu verändern.“
Aber
viele Kopten und Beobachter von außerhalb sind doch besorgt über die Aussicht, dass
die Muslimbruderschaft nach den Wahlen im Herbst an der Macht beteiligt sein könnte.
Ist diese Sorge grundlos?
„Wir sind in einer Übergangsphase, die von beidem
gezeichnet ist, Unsicherheit und Hoffnung. Sorge ist nicht von der Hand zu weisen,
denn die Muslimbruderschaft ist eine Bewegung mit langem Atem, seit 1928 schon: Sie
hat eine lange Erfahrung hinter sich und ist gut organisiert. Andererseits repräsentiert
sie aber auch keineswegs alle Moslems in Ägypten. Vielmehr gibt es eine Fragmentarisierung
auf der Seite der Moslems mit vielen verschiedenen Bewegungen. Derzeit versuchen eine
ganze Reihe neuer Parteien, sich zu organisieren und sich für die Septemberwahlen
vorzubereiten. Ich glaube, das ist eine Gelegenheit auch für die Christen, mitbeteiligt
zu werden. Sorge, ja doch, auch nicht ohne Grund – aber das sollte Christen doch zu
größeren Anstrengungen anspornen. Ich freue mich darüber, dass innerhalb der katholischen
Kirche jedenfalls mittlerweile viel Wert auf politische Bildung gelegt wird. Das hilft
ihnen, die Themen zu verstehen, wenn es um das neue Ägypten geht, einschließlich all
der Verfassungsfragen. Es gibt viele verschiedene Treffen, die da stattfinden und
die Katholiken einbeziehen, und ich sehe, dass da ein großes Interesse besteht.“
Aber
das jüngste Verfassungsreferendum war ziemlich geprägt von religiösen Parteinahmen,
und die Kopten fanden sich hinterher auf der Verliererseite wieder. Kann sich dieses
Szenario bei den nächsten Wahlen nicht wiederholen?
„Ich würde nicht sagen,
dass die Kopten auf der Verliererseite waren: Wir wissen doch gar nicht, wie die Leute
abgestimmt haben! Zwar stimmt es natürlich, dass es bei diesem Referendum einen religiösen
Faktor gab. Viele Moslems sagten, wenn ihr gegen diese Verfassungsänderungen stimmt,
dann kippt ihr damit Artikel zwei der Verfassung, der den Islam als Religion des Staates
bezeichnet und die Scharia als hauptsächliche Quelle für die Gesetzgebung. In gewisser
Weise wurde da eine Ja-Stimme als religiöse Pflicht hingestellt. Aber es gab auch
viele Moslems, die damit nicht einverstanden waren – und es ist doch auch gut möglich,
dass Christen für die Verfassungsänderungen gestimmt haben, um die Zeit der Unsicherheit
hinter sich zu lassen und den Prozess der Bildung neuer Institutionen voranzubringen.
Also, ich glaube auch hier nicht, dass man die Sache nur von einem Blickwinkel aus
analysieren darf. Ich glaube, wir sollten das wirklich in einem anderen Licht sehen!“
Sind
Sie selbst in Kontakt mit der derzeitigen Militärregierung bzw. mit bekannten Führern
der Muslimbruderschaft?
„Der Militärrat leitet derzeit das Land und handelt
als vorübergehendes Staatsoberhaupt; General Tantawi nimmt darum z.B. die Beglaubigungsschreiben
neuer Botschafter entgegen. Aber wir brauchen derzeit nicht mit ihm zu reden, denn
unsere Beziehungen sind normal. Was die Muslimbruderschaft betrifft: Da bin ich selbst
nicht in Kontakt mit ihren Führern. Es gab Treffen zwischen Christen und den Führern
der Muslimbruderschaft, und aus meiner Sicht ist das auch eher eine Sache der lokalen
Kräfte und nicht von auswärtigen Institutionen.“
Was gibt es eigentlich
Neues vom unterbrochenen Dialog zwischen dem Heiligen Stuhl und der Kairoer islamischen
Universität al-Azhar? Kann dieser Dialog wieder aufgenommen werden – und wenn ja,
wann denn?
„Ja – aber das muss man getrennt sehen von den Beziehungen zur
Regierung. Wie jeder weiß, hatte Ägypten seine Botschafterin beim Heiligen Stuhl zu
Konsultationen ins Land zurückgerufen, aber mittlerweise ist sie wieder am Vatikan
und hat ihre Arbeit beim Heiligen Stuhl wiederaufgenommen, und ich selbst stehe auch
in gutem Kontakt zum Außenministerium hier. Was den Dialog zwischen dem Päpstlichen
Dialograt und al-Azhar betrifft, ist er noch unterbrochen. Aber wir hoffen doch, dass
er bald wieder aufs Gleis zurückgebracht werden kann. Darum müssen wir mit al-Azhar
reden, und ich werde das sehr bald tun, um herauszufinden, was genau der Grund für
das Einfrieren des Dialogs war. Ich glaube, wir alle wissen: Je mehr Dialog wir heutzutage
haben, umso besser ist es! Darum werden wir versuchen, sie zu überzeugen, dass es
besser ist, miteinander zu reden, selbst wenn wir Differenzen haben, als die Beziehungen
abzubrechen.“
Haben Sie schon einen konkreten Gesprächstermin mit einem
al-Azhar-Vertreter?
„Sagen wir mal so: Da wird jetzt gerade etwas arrangiert.
Ja, da ist etwas im Gang…“