„Er hat mir
einmal am Gründonnerstag die Füße gewaschen. Das war eine wirklich ganz starke Erfahrung
für mich. Ich erinnere mich an die Authentizität dieser Geste – es war nicht einfach
nur ein Ritual, sondern ein wahrer Akt der Liebe und der Demut: er kniete sich hin,
so wie Jesus es mit seinen Jüngern tat.“
Dies ist Slawomir Oders stärkste
Erinnerung an Johannes Paul II., der am ersten Mai vom Papst persönlich ins Buch der
Seligen geschrieben wird. Dabei könnte der polnische Priester tagelang über große
Taten seines Landsmannes erzählen, die in die Geschichte eingingen: Vom Einsatz Johannes
Pauls II. für Demokratisierung im noch kommunistischen Polen und beim Fall des Eisernen
Vorhangs bis hin zu bahnbrechenden Gesten wie dem kirchlichen Schuldgeständnis „mea
culpa“ oder dem Aufruf zu Frieden, Verständigung und interreligiösem Dialog. Als Postulator
im Seligsprechungsverfahren hat Monsignor Oder Leben und Wirken von Papst Johannes
Paul II. gründlich untersucht. Er hat mit tausenden Personen gesprochen, die Karol
Wojtyla als Menschen, Papst und Zeitzeugen kannten.
„Sicher geht es hier
um einen Giganten, um eine Persönlichkeit, die die zweite Hälfte und das Ende des
20. Jahrhunderts gezeichnet hat. Deshalb musste man ja auch ein akkurates Studium
vornehmen. Viele Fragen zu seinem Leben sind nach wie vor unbeantwortet. Doch was
man betonen sollte: ein Seligsprechungsprozess ist kein Prozess, bei dem politische
oder strategische Entscheidungen beurteilt werden. Es geht um das Innerste des Menschen,
um seine innersten Antriebe. Wir haben praktisch eine spirituelle Fotografie dieses
Papstes gemacht, sind den Beweggründen seiner Entscheidungen auf den Grund gegangen,
jenseits geschichtlicher Konsequenzen. Und da war dann ganz klar seine Liebe zu Gott.“
Selig in Rekordzeit
Johannes Paul II. war gerade
erst verstorben, als viele seiner Anhänger ihn schon heilig sehen wollten – „Santo
subito“, so das Stichwort. Die Uhren im Vatikan ticken langsam, doch im Fall Karol
Wojtyla wurde ein Rekord vorgelegt: Benedikt XVI. verkürzte die Wartefrist für das
Verfahren von den üblichen fünf Jahren auf nur drei Monate. Und er wird die Seligsprechung
am 1. Mai persönlich vornehmen, was er nicht immer tut. Lag ihm sein Vorgänger besonders
am Herzen? Dazu Oder:
„Jeder musste die tiefe persönliche Verbindung zwischen
beiden bemerken, wenn Benedikt über Johannes Paul sprach. Dieses Band besteht auch
heute. Benedikt XVI. konnte in dem Seligsprechungsverfahren ja kein Zeuge sein, denn
er ist Papst. Aber wenn er gekonnt hätte, wäre er ein wichtiger Zeuge gewesen: Er
hat ja mehr als 25 Jahre mit Johannes Paul II. zusammengearbeitet, hatte täglich mit
ihm zu tun. Uns sagte Benedikt XVI. – und das ist zum Motto des ganzen Seligsprechungsverfahrens
geworden: Beeilt euch und macht es gut!“
Einfach habe man es sich im Seligsprechungsprozess
aber nicht gemacht, betont der Kirchenrechtler. Schließlich mussten in dem langwierigen
Prüfungsverfahren nach dem Regelwerk „Divinus perfectionis magister“ auch Zweifel
aus dem Weg geräumt werden. Zum Beispiel was das durch Johannes Paul erwirkte Wunder
betraf, das wie der „Ruf nach Heiligkeit“ notwendiger Bestandteil eines Seligsprechungsverfahrens
ist und wissenschaftlich und theologisch nachgewiesen werden muss.
„Es passierte
in der Nacht zum dritten Juni 2005. Morgens konnte ich noch kaum noch laufen und wollte
meine Arbeit absagen. Schwester Marie hat mich dann überzeugt, es zu versuchen. Sie
sagte: Versuche zu schreiben. Und ich schrieb langsam, aber lesbar: "Gott" auf ein
Stück Papier. Abends ging ich zu Bett und konnte, anders als sonst, ruhig schlafen.
Am nächsten Morgen fühlte ich mich glücklich und spürte einen großen Frieden in mir.
Ich war überrascht, dass ich meinen Körper besser bewegen konnte. In der Morgenmesse,
bei der Eucharistie, begriff ich dann: Ich bin geheilt.“
Sie war das „Quentchen
an der Waage“: Die Heilung der französischen Ordensfrau Marie Simon-Pierre ereignete
sich genau einen Monat nach dem Tod des polnischen Papstes. Die an Parkinson erkrankte
Schwester wurde auf Fürsprache von Papst Johannes Paul II. geheilt, urteilt der Vatikans
im Januar 2011 – nach einer langen Phase der Überprüfung durch Ärzte, Theologen und
Experten, die die Grenze zwischen Vernunft und Glauben ausloteten. Monsignor Oder:
„Der
Postulator hat in einer ersten Phase die Aufgabe, eine Dokumentation zu dem möglichen
Wunder zu erstellen und den Fall dann den Ärzten anzuvertrauen. Die Ärzte müssen bestätigen,
dass die anfängliche Diagnose, also in dem Fall Parkinson, stimmte und dann, ob sie
sich radikal verändert hat. Erst wenn sie also nicht mehr wissenschaftlich erklären
können, was umgehend und irreversibel passiert ist, übernehmen die Theologen die Untersuchung
des Falls. Sie studieren die Verbindung zwischen der Bitte um Fürsprache des Seligsprechungs-Kandidaten
und der erfolgten Wirkung, also dem Wunder.“
Als Ärzte und Kirchenleute
noch ihre Arbeit taten, stellten die Medien das mögliche Wunder an der Ordensfrau
Marie Simon-Pierre schon in Frage: Ist die Frau wirklich geheilt? Und wenn es überhaupt
kein Parkinson war? Angesichts dieser Spekulationen sei es mehr als verständlich,
dass sich die Frau aus den Öffentlichkeit zurückgezogen habe, so Monsignor Oder:
„Im
Fall von Simon-Pierre gab es keine Spur von Geltungssucht. Die Schwester hat diese
ganze Geschichte, die in menschlicher Hinsicht bewegend und persönlich ist, aus einer
Sicht des Glaubens gelebt. Was mich von Anfang an bei dieser Frau beeindruckt hat,
war ihre absolute Bescheidenheit. 12.38 Oft habe ich Briefe und Hinweise zu Wundern
bekommen, wo man einfach spürte, dass der tatsächliche Protagonist des Schreibens
nicht Gott oder ein Diener Gottes war, aber die geheilte Person. Simon-Pierre war
ein Instrument Gottes, sie wollte verschwinden, um Platz für dem Ruhm Gottes zu lassen.“
Mit
der endgültigen Bestätigung des Wunders durch die vatikanische Selig- und Heiligsprechungskongregation
war der Weg für die Seligsprechung von Johannes Paul II. frei. Nach fünf bis sechs
Jahren intensiver Arbeit sieht Monsignor Oder damit seine Mission für die Weltkirche
erfüllt.
„Jede Seligsprechung ist ein Moment erneuerter Gnade und göttlicher
Anwesenheit. Selige und Heilige geben uns Hoffnung und Scham, denn sie sind ein Konfrontationspunkt
und lassen uns verstehen, was es in unserem Leben noch zu verbessern gibt. Und sie
lassen uns verstehen, dass mit Gottes Gnade viel zu erreichen ist.“
Auch
bald heilig?
Auf der Suche Wundern werden auch die zahlreichen Briefe
durchforstet, die Gläubige an den verstorbenen Papst Johannes Paul II. schreiben.
Bis heute werden vor dem Grab von Benedikts Vorgänger in der Gruft der Petersbasilika
Berge solcher Briefe aufgelesen. Das wird wohl so auch weitergehen, wenn Papst Johannes
Paul II. nach seiner Seligsprechung in die Sebastianskapelle des Petersdoms umgebettet
wird. Vorsortiert und gelesen werden die Briefe im apostolischen Vikariat der Diözese
Rom neben der Basilika San Giovanni. Angelo Vignola hilft als Freiwilliger zwei Mal
die Woche dabei aus:
„Johannes Paul war ein großer Papst, er hat die Grenzen
der Geschichte gesprengt. Und das setzt sich heute fort: Die Menschen hängen sehr
an ihm. Das zeigen all die Briefe hier aus aller Welt. Wir sortieren sie nach Gebetsthemen,
es gibt auch Kinderzeichnungen, die kommen dann zum Beispiel in das Büchlein zur Seligsprechung
rein. Wenn von Heilungen oder Wundern die Rede, legen wir sie beiseite.“
Die
seien aber derzeit nicht wirklich in Sicht, zumindest nicht zwischen den Zeilen der
Briefe, bedauert Briefsortierer Vignola. Für die Heiligsprechung von Johannes Paul
II. muss ja nach den Regeln des Heiligsprechungsverfahrens ein neues Wunder gefunden,
untersucht und bestätigt werden. Postulator Oder verrät zum Thema nur so viel:
„Ich
muss sagen, dass sich in dieser letzten Zeit die Meldungen über mögliche Wunder durch
Fürsprache von Johannes Paul II. vervielfacht haben, es scheint da einen neuen Nährboden
zu geben. Aber die Ziele des Prozesses betreffend verlangt die Kirche ja, dass das
für die Heiligsprechung gültige Wunder nach der Seligsprechung passieren muss, deshalb
kann ich derzeit noch ruhig schlafen!“
„Ladies first“
Wieder
ruhig bzw. schmerzfrei schlafen kann im Übrigen auch der römische Frisör Giovanni
Vecchio. Der ehemalige Gastarbeiter ist fest davon überzeugt, dass er die Heilung
seiner Bandscheiben Papst Johannes Paul II. zu verdanken hat. Schließlich hatte er
diesen einige Male rasiert, als er noch Kardinal war. Nämlich im Jahr 1976 und 1977,
als der heute 62-jährige Frisör noch in einer Barbierstube in Vatikannähe arbeitete.
„Ich war auch auf dem Petersplatz, als Wojtyla am 16. Oktober 1976 zum
Papst gewählt wurde. Und natürlich am Todestag und bei seiner Beerdigung. Ich habe
alle Stationen seines Lebens hautnah miterlebt.“
In Punkto „amtliches Wunder“
hat ihm das allerdings nicht geholfen. Da hieß es am Ende doch „Ladies first“. Von
Enttäuschung darüber ist bei Giovanni Vecchio aber nichts zu spüren:
„Aber
nein, ich freue mich trotzdem. Dieser französischen Schwester ging es doch viel schlechter
als mir. Ich habe ihren Fall natürlich verfolgt – wenn man da einmal mit anfängt mit
den Wundern, kann man ja nicht mehr ohne. Mein Wunder ist für mich natürlich am wichtigsten.
Aber wenn es eines gibt, das noch wichtiger ist, kann man da eben nichts machen…“
Zugegeben:
Wenn ausgerechnet der Papst, der das Sowjetimperium zum Wanken gebracht haben soll,
diesem Frisör einen heiligen Schein verpassen würde, wäre das schon irgendwie verwunderlich:
Vecchio ist nämlich bis heute überzeugter Kommunist.