Irak: „Kirchenleitung tut nicht genug gegen Exodus der Christen“
Er ist gerade von
einer Reise durch den Nordirak zurückgekehrt: Otmar Oehring, Menschenrechts-Experte
des katholischen Hilfswerks missio. Sein Eindruck: Der Norden des Iraks hat viele
Voraussetzungen, um für christliche Flüchtlinge aus anderen Teilen des Irak eine Art
sicherer Hafen zu sein.
„Von der Sicherheitslage her kann man das sicher
sagen. Es gibt keinerlei Übergriffe im Nordirak, in Kurdistan, auf die Christen; der
kurdische Staat bemüht sich auch, bei Streitigkeiten, die es natürlich immer zwischen
den Volksgruppen gegeben hat und gibt (etwa um Land), zu friedlichen Lösungen zu kommen.
Es gibt massive Unterstützung durchaus auch der christlichen Kirchen durch den kurdischen
Staat – also, damit sind wesentliche Grundlagen für die Fortexistenz der Christen
im Nordirak, in Kurdistan, eigentlich gegeben.“
Bei genauerem Hinsehen
allerdings stelle man dann fest, dass die Christen, die aus Bagdad oder Mossul jetzt
in die Dörfer ihrer Vorfahren flüchten, nicht auf ihr neues Leben in dieser Region
vorbereitet sind.
„Die Rückkehrer sind meist gut ausgebildete Leute, die
nie auf dem Land gearbeitet haben und die auch nicht wissen, wie sie auf dem Land
arbeiten sollen – und die das auch nicht wollen. Das ist ein ganz großes Problem.
Wir haben in vielen chaldäischen Dörfern mit Flüchtlingen gesprochen, die uns ganz
klar gesagt haben, dass sie Projekte finanziert bekommen möchten – und wenn man dann
nachgefragt hat, was sie sich darunter vorstellen, dann war zum Beispiel von einem
Traktor die Rede und von anderen landwirtschaftlichen Maschinen. Und wenn man sie
dann fragte, was sie damit machen würden, sind eigentlich keine vernünftigen, überzeugenden
Antworten gekommen!“
Und selbst wenn sich diese Christen jetzt auf einmal
in Landwirte verwandeln würden, so Oehring: Sie hätten wohl immense Schwierigkeiten,
ihre Produkte im von türkischen Waren überschwemmten Nordirak überhaupt an den Mann
zu bekommen.
„Insofern ist wirklich fraglich, was man mit diesen Menschen
tun soll oder für sie tun soll. Das wird sicher noch durch Fachleute, durch Landwirtschaftsexperten,
geprüft werden müssen: Sie sollten sich die Lage anschauen und mit den Leuten gemeinsam
konkret überlegen, was möglich ist – auch für Menschen, die nie in der Landwirtschaft
gearbeitet haben.“
Oehring berichtet, dass weiterhin viele Christen aus
Bagdad, Mossul und anderen Landesteilen in den Nordirak strömen. Es sei allerdings
davon auszugehen, dass die meisten nach Syrien oder in die Türkei weiterziehen wollten.
Wer die Christen im Land halten wolle, müsse konkrete Projekte für sie auf die Beine
stellen:
„Einzelne Bischöfe tun das auch, zum Beispiel im Hauptort Erbil
und vor allem seinem christlichen Stadtteil. Dort führt der dortige Bischof Baschar
Warda viele Projekte durch, die durchaus auch für die Ansiedlung von Christen aus
anderen Teilen des Landes geeignet sind. Das Problem ist aber: Das Ansiedeln ist das
eine, das Finden von Arbeit ist das andere. Das ist das große Problem, das sich weiterhin
stellt...“
Viele chaldäisch-katholische Bischöfe im Irak hätten durchaus
gute Ideen, wie man ihren Leuten helfen könne, so der Menschenrechts-Experte.
„Wenn
es aber um die Leitung der Kirche geht, also insbesondere um den Patriarchen mit Sitz
in Bagdad, muss man sagen, dass leider nicht das getan wird, was eigentlich getan
werden müsste! Diese Woche hätte im nordirakisch-kurdischen Gebiet die Synode der
chaldäischen Kirche stattfinden sollen und anschließend eine Versammlung aller Bischöfe
der katholisch-unierten Kirchen, und diese beiden Veranstaltungen sind vom Patriarchen
ohne Angabe eines neuen Termins in der letzten Woche – also doch sehr kurzfristig
– abgesagt worden... auch ohne jede Begründung. Das spricht natürlich nicht dafür,
dass man sich in Bagdad, speziell im Patriarchat, die Gedanken macht, die man sich
eigentlich machen müsste, um dafür zu sorgen, dass die Christen im Irak bleiben und
sich nicht weiterhin mit den Füßen gegen einen Verbleib im Irak entscheiden!“