Was ist Neues an dem
Buch? Dass man auch danach fragt, ist nicht erstaunlich nach dem letzten Papst-Werk,
jenem, das auf Interviews basiert. Die ersten Rückmeldungen kamen von der Israelischen
Botschaft beim Heiligen Stuhl. Dort hatte man die vorab veröffentlichten Kapitel gelesen
und in einer Pressemeldung die Freude darüber ausgedrückt, dass der Papst sehr klar
gesagt habe, man könne den Tod Jesu nicht ‚den Juden’ anhängen. Thomas Söding ist
Neutestamentler an der Universität Bochum und gehört der Internationalen Theologischen
Kommission im Vatikan an. Ihn haben wir gefragt, wie der Papst dazu kommt, dies in
seinem Buch noch einmal so klar zu betonen:
„Der Papst lässt sich hier erfreulich
intensiv auf die Debatten der historisch-kritischen Exegese ein. Das ist eine ganz
lange Bewegung, die dazu geführt hat, dass man diese Kollektivschuld-These hinter
sich gelassen hat. Das Zweite Vatikanische Konzil hat sich da ja auch ganz einschlägig
geäußert. Es waren eben bibelwissenschaftliche Gründe, die zu diesem Wechsel geführt
haben. Ich finde das ganz hervorragend, dass der Papst klarmacht, dass es, erstens,
ein Verhör vor dem Hohen Rat gegeben hat, aber wahrscheinlich gar keine regelrechte
Verurteilung. Zweitens macht er klar, dass es nicht einfach ‚die Juden’ waren, sondern
es ist genau so gewesen, wie es bei einer kritischen Lektüre auch die Evangelien zu
erkennen geben: es waren die Hohenpriester, die wird man davon nicht ausnehmen können,
und dann gibt es da die berüchtigte Szene mit dem Barabbas. Wer soll freigelassen
werden? Da ist es den Evangelien zufolge den Hohenpriestern gelungen, die versammelte
Menge aufzuputschen. Das ist historisch alles glasklar und hilft enorm im jüdisch-christlichen
Gespräch.“
Wenn es also nicht um Schuldzuschreibungen am Tode Jesu geht,
was liest dann Söding im Buch des Papstes für eine Absicht heraus?
„Diejenigen,
die Jesus zum Tode gebracht haben, die haben ihn ja nicht wirklich erkannt. Sie glaubten,
Gott einen Gefallen zu tun, wie es im Johannesevangelium heißen wird. Und wenn man
noch tiefer geht – und der Papst geht ja noch tiefer – dann kann man sagen, dass wir
selber nicht außen vor sind. Es ist ja unsere Geschichte. Es geht um unser Leid, es
geht um unsere Schuld, es geht um unseren Tod. Dieser eine ist für alle gestorben,
und dass man sich selber da nicht herauszieht, ist eine der großen spirituellen Leistungen
dieses Buches.“
Noch einmal zurück zur Frage nach der überwundenen These
von der Kollektivschuld ‚der Juden’, die ja – auch das haben die israelischen Diplomaten
betont – bereits im Konzilsdokument Nostra Aetate seinen Beginn hat. Muss das denn
immer noch betont werden?
„Diese Passagen des Papstbuches haben für mich
einen doppelten Hintergrund. Erstens die Debatten um die Piusbrüder, mit dem unsäglichen
sogenannten Bischof Williamson und dieser Holocaust-Leugnung. Da hatte der Papst im
Interviewbuch ja schon gesagt, wenn er das gewusst hätte, wäre die Sache anders gelaufen.
Das zweite war aber auch die Debatte um die Karfreitags-Fürbitte, diese Konzession
dort an die Traditionalisten, wo man dem Papst unterstellte, er habe persönliche Sympathien
für sie und wolle wieder eine Judenmission in Gang setzen. Da ist natürlich dieses
Buch glasklar, was das positive Verhältnis Jesu zum Judentum angeht, was ja weit über
die Prozessfrage hinaus geht. Jesus ist ganz und gar ein Jude, ein Gerechter, ein
Frommer, ein Beter, der uns da auf seinem Passions- und Leidensweg gezeigt wird. Auf
der anderen Seite ist es eben auch so, dass die Stellungnahme des Papstes zur Judenmission
vollkommen klar ist und dass es nicht den großen Masterplan gibt. Natürlich ist man
von seinem eigenen Glauben überzeugt, das ist ja selbstverständlich. Vor diesem Hintergrund
finde ich diese Passagen alles andere als selbstverständlich, sondern ziemlich brisant.“