Shahbaz Bhatti, Minister für religiöse Minderheiten in Pakistan, ist am vergangenen
Mittwoch im Alter von 42 Jahren Opfer eines Mordanschlags geworden. Zu dem Attentat
bekannte sich eine Gruppe der radikal-islamischen Taliban. So brutal dieser Verbrechen
war, überraschend kam es nicht einmal für das Opfer selbst: Bhatti hatte schon früh
geahnt, keines natürlichen Todes zu sterben, wie er in einem Interview kurz nach Amtsantritt
gestanden hat:
„Die Kräfte der Gewalt, militante Organisationen wie die
Taliban und al Qaida, wollen ihre radikale Philosophie in Pakistan verbreiten. Trotz
ihrer Drohungen werde ich die Kampagne gegen das Blasphemie-Gesetz anführen und für
die Minderheiten sprechen, die unterdrückt und verfolgt werden. Ich glaube an Jesus
Christus, der sein Leben für uns gegeben hat. Ich weiß, welche Bedeutung das Kreuz
hat, und ich werde ihm folgen. Ich bin bereit, für das Kreuz zu sterben. Ich lebe
für meine Gemeinschaft und die leidenden Menschen, und ich werde sterben, weil ich
für ihre Rechte kämpfe. Drohungen können mich nicht von meiner Überzeugung und meinen
Prinzipien abbringen. Eher will ich sterben, als Kompromisse einzugehen und meinen
Überzeugungen wie der Gerechtigkeit untreu zu werden.“
Die politische Karriere
Bhattis hatte mit seinem Einsatz für die Menschenrechte begonnen. Als Anwalt war er
1985 einer der Mitbegründer der Vereinigung der pakistanischen Minderheiten. 2002
trat Bhatti der pakistanischen Volkspartei bei, nur sechs Jahre später wurde er im
Alter von 38 Jahren Minister zum Schutz der Minderheiten. In diesem Amt setzte sich
Bhatti speziell für den Schutz aller religiösen Minderheiten in Pakistan ein. Von
ihm stammt der Vorschlag einer „Quote“ für Nicht-Moslems in Regierung und Parlament.
Mit
allen staatlichen Ehren und tausenden Trauergästen ist Bhatti am vergangenen Freitag
in der Kathedrale der pakistanischen Hauptstadt Islamabad verabschiedet worden. Seit
dem Mord haben tausende Menschen auf den Straßen gegen Gewalt und Terrorismus und
für Gerechtigkeit demonstriert. Papst Benedikt XVI. ist am vergangenen Sonntag beim
Angelusgebet auf den Mord an Bhatti eingegangen:
„Ich verfolge kontinuierlich
und mit großer Sorge die Spannungen, die in diesen Tagen in verschiedenen Ländern
Afrikas und Asiens zu beobachten sind. Ich bitte Jesus, unseren Herrn, darum, dass
das bewegende Opfer des pakistanischen Ministers Shahbaz Bhatti im Bewusstsein der
Menschen Mut und Einsatz weckt, um die Religionsfreiheit aller Menschen zu schützen
und damit ihre gleiche Würde zu fördern.“
In Pakistan selbst sehen Christen
einen Silberstreifen am Horizont. Trotz des brutalen Mordes an dem 42-jährigen Minister
gebe es Hoffnung, so der Präsident der bischöflichen Kommission für Interreligiösen
Dialog in Pakistan, Bischof Andrew Francis von Multan. Sein Opfer werde Früchte für
alle tragen, und die Kirche in Pakistan werde unermüdlich den Dialog als Instrument
des Friedens und des gegenseitigen Respekts weiter fördern.
Auch die russisch-orthodoxe
Kirche ist tief betroffen, so der „Außenamtschef“ des Moskauer Patriarchats, Metropolit
Hilarion, in einem Brief an den pakistanischen Premier Yousaf Raza Gilani. Als Politiker
habe Bhatti viel getan, um die religiösen Spannungen in der pakistanischen Gesellschaft
abzubauen. Er habe auch keine Angst gehabt, sich offen gegen die Initiativen der Extremisten
auszusprechen.
Der vatikanische Verantwortliche für den interreligiösen Dialog,
Kardinal Jean-Louis Tauran, hielt am Sonntag in Rom eine Gedenkmesse für Bhatti, den
er auch persönlich kannte. Der Minister sei ein Märtyrer gewesen, sagte Kardinal Tauran
im Gespräch mit Radio Vatikan:
„Denn er wurde ermordet, weil er Christ
war. Ich habe Bhatti in Rom getroffen und dann vergangenen November in Pakistan. Das
letzte Mal sah ich ihn auf dem Flughafen von Lahore, kurz bevor ich in die Maschine
nach Rom stieg; es war gegen Mitternacht. Und zum Abschied sagte er mir: Ich weiß,
dass ich als Mordopfer sterben werde, aber ich gebe mein Leben als Zeugnis für Jesus
und für den interreligiösen Dialog. Gleichzeitig hat er niemals ein Wort des Hasses
geäußert. Er hatte das Evangelium wirklich auf herausragende Weise verinnerlicht.“
Ob
beim Heiligen Stuhl ein Antrag auf die Proklamation Bhattis als „Märtyrer“ eingereicht
wird, wollen die pakistanischen Bischöfe bei ihrer nächsten Konferenz Ende März prüfen.
Kardinal Tauran hat sich vom spirituellen Leben des Ministers sehr beeindruckt gezeigt.
Er habe „auf gewisse Weise wie ein Priester gelebt, ohne es zu sein.“ Die internationale
Gemeinschaft forderte der päpstliche Verantwortliche für den interreligiösen Dialog
auf, in Bezug auf die Religionsfreiheit in Pakistan klar Stellung zu beziehen.
Nach
der Trauerfeier hat ein Hubschrauber die Leiche des Politikers in seinen Heimatort
Khushphur in der Diözese Faisalabad geflogen. Das Dorf gilt lokal als der „pakistanische
Vatikan“, weil eine Reihe von Bischöfen und Ordensleuten hier geboren wurden. Der
Beerdigungsgottesdienst war eine ökumenische Feier - zahlreiche Hindus, Sikhs und
Moslems nahmen daran teil.
Warum musste Shahbaz Bhatti sterben? Immer mehr
Details sind inzwischen zu dem Mordanschlag bekannt geworden. Demnach dürften die
Täter den persönlichen Tagesablauf des Mannes genau gekannt haben. Sie lauerten dem
Minister nämlich nicht an seiner offiziellen Wohnadresse in Islamabad auf, sondern
vor einer privaten Mietwohnung in einem anderen Viertel der Hauptstadt. Außerdem berichten
Augenzeugen des Anschlags, dass zum Tatzeitpunkt keine der sonst üblichen Sicherheitsleute
anwesend waren.
Auch wenn die Täter bisher nicht gefasst sind - über das Motiv
des Mordes gibt es keinen Zweifel. Es war eindeutig Bhattis ablehnende Haltung zum
“Blasphemie-Gesetz”, das ihm das Leben gekostet hat. Dieses sieht für eine Beleidigung
des Propheten Mohammed die Todesstrafe vor. Problematisch ist das Gesetz, weil es
leicht instrumentalisiert werden kann. Religiöse Fundamentalisten in Pakistan versuchen
damit jede noch so leise Kritik an ihrer Religion auszuschalten. Diese Gefahr sieht
auch Harald Suermann, Referent für Pakistan beim internationalen katholischen Missionswerk
missio, und nennt folgendes Beispiel:
„Es gab auch einen Fall, wo sich jemand
nicht ausreichend die Hände gewaschen hat, als er einen Koran anfasste. Es hieß, das
sei schon eine Beleidigung des Korans. Also man kann diese Sache beliebig ausweiten.
Und es nicht mal nötig, genauere Untersuchungen durchzuführen, was denn jetzt wirklich
geschehen ist. Denn häufig ist der Mob schon vorweg und ermordet den Angeklagten,
bevor überhaupt ein Urteil gesprochen wird. Also es ist ein Gummi-Paragraph, der beliebig
eingesetzt werden kann.“
Dieses Gesetz verletzt moralische Grundsätze sowie
die Religionsfreiheit, es ist also selbst Blasphemie. Das sagte Vatikansprecher Federico
Lombardi als Reaktion auf den Mord. Lombardi erinnert an den Mut des Ministers:
„Vor
einigen Wochen sagte Bhatti: ‘Betet für mich. Ich habe alle Brücken hinter mir abgebrochen.
Ich kann und will nicht umkehren auf meinem Weg. Ich werde den Extremismus bekämpfen
und ich werde bis zum Tod für die Verteidigung der Christen kämpfen.’ Heute schon
erscheint seine Figur in der Größe eines gültigen Zeugen des Glaubens und der Gerechtigkeit.“
Doch Lombardi spricht nicht nur vom Mord an Minister Bhatti. Er spricht
genauso den Mord an dem muslimischen Politiker Salman Taseer vor wenigen Wochen. Wie
Bhatti musste auch der ehemalige Gouverneur der pakistanischen Provinz Punjab wegen
seines Einsatzes für die Religionsfreiheit in Pakistan sterben. Ein Muslim und ein
Christ, die mit ihrem offenen Vorgehen gegen das Blasphemiegesetz sozusagen das eigene
Todesurteil unterschrieben haben. Beide haben wegen ihres Mutes den „höchsten Preis“
bezahlt, so Lombardi:
„Während diese beiden Morde uns mit Schrecken und
Angst erfüllen, wenn wir an das Schicksal der Christen in Pakistan denken, erfüllen
sie uns paradoxerweise aber zugleich mit einem Hauch von Hoffnung. Denn sie verbinden
einen Christen und einen Muslim durch Blut, das für eine gemeinsame Sache vergossen
wurde. Es gibt nicht nur den Dialog des gegenseitigen Verstehens und des gemeinsamen
Einsatzes für das Gemeinwohl. Vom Dialog des Lebens geht man zum Dialog der Zeugenschaft
im Tod über, der eigenes Blut fordert, damit der Name Gottes nicht als Instrument
der Ungerechtigkeit missbraucht wird.“
Papst Benedikt XVI. hatte in seiner
großen Ansprache an das diplomatische Corps im Vatikan Anfang diesen Jahres Taseers
Einsatz für die Religionsfreiheit gewürdigt. Und er hatte für den kommenden Oktober
ein neues Friedensgebet der Religionen im italienischen Assisi angekündigt und damit
die Initiative seines Vorgängers Papst Johannes Paul II. aufgegriffen. Der Mord am
Muslim Taseer und am Christen Bhatti trägt nach Ansicht von Vatikansprecher Lombardi
dazu bei, dieses – in der Vergangenheit teilweise skeptisch beäugtes – Projekt mit
neuem Mut fortzusetzen:
„In Erinnerung an Taseer und Bhatti, in Dankbarkeit
für ihr Leben und ihr Sterben, werden die wahren Verehrer Gottes weiterkämpfen – und
wenn nötig sterben, für die Religionsfreiheit, die Gerechtigkeit und den Frieden.
Gibt es eine stärkere Ermutigung, um uns gemeinsam nach Assisi aufzumachen?“
Es
bleibt abzuwarten, welche Folgen der Tod Bhattis auf die Religionsfreiheit in Pakistan
haben wird. Seine Regierungskollegen haben es bisher stets abgelehnt, den umstrittenen
Blasphemie-Paragrafen auch nur geringfügig abzuändern. Auch Harald Suermann vom Missionsdienst
missio ist wenig optimistisch:
„Es wäre ein wichtiger Schritt in diese Richtung,
aber ich habe nicht die Hoffnung, dass das in nächster Zeit geschehen kann. Dafür
ist die Stimmung zu islamistisch und der Staat im Moment noch zu schwach. Die
Radikalisierung ist sicherlich eine Auseinandersetzung zwischen den Islamisten, die
in der Region stärker geworden sind – Afghanistan liegt ja nicht weit – und dem Staat
auf der anderen Seite. Der Staat ist ja eigentlich ein wichtiger Verbündeter gegen
die radikalen Islamisten und steht auf der Seite Amerikas. Wobei gleichzeitig gesagt
werden muss, dass der Staat Kompromisse sucht und nicht mit aller Klarheit gegen diese
Attentäter vorgegangen ist. Der Attentäter des Gouverneurs von Punjab ist ja als ein
Held gefeiert worden. Und letztendlich hat der Staat versäumt, dort klar durchzugreifen
und zu verurteilen. Man macht da einen Zickzacklauf und das gibt den Islamisten natürlich
immer mehr Spielraum.“ “
Auch internationalen Beobachtern zufolge
dürfte sich an diesem Zustand in naher Zukunft nur wenig ändern. Denn von einer starken
politischen Kraft, die sich den islamistischen Extremisten entgegenstellen könnte,
sei in der Atommacht Pakistan derzeit keine Spur.