2011-03-07 14:28:40

Shahbaz Bhatti: Ein Leben für die Minderheiten


Shahbaz Bhatti, Minister für religiöse Minderheiten in Pakistan, ist am vergangenen Mittwoch im Alter von 42 Jahren Opfer eines Mordanschlags geworden. Zu dem Attentat bekannte sich eine Gruppe der radikal-islamischen Taliban. So brutal dieser Verbrechen war, überraschend kam es nicht einmal für das Opfer selbst: Bhatti hatte schon früh geahnt, keines natürlichen Todes zu sterben, wie er in einem Interview kurz nach Amtsantritt gestanden hat:

„Die Kräfte der Gewalt, militante Organisationen wie die Taliban und al Qaida, wollen ihre radikale Philosophie in Pakistan verbreiten. Trotz ihrer Drohungen werde ich die Kampagne gegen das Blasphemie-Gesetz anführen und für die Minderheiten sprechen, die unterdrückt und verfolgt werden. Ich glaube an Jesus Christus, der sein Leben für uns gegeben hat. Ich weiß, welche Bedeutung das Kreuz hat, und ich werde ihm folgen. Ich bin bereit, für das Kreuz zu sterben. Ich lebe für meine Gemeinschaft und die leidenden Menschen, und ich werde sterben, weil ich für ihre Rechte kämpfe. Drohungen können mich nicht von meiner Überzeugung und meinen Prinzipien abbringen. Eher will ich sterben, als Kompromisse einzugehen und meinen Überzeugungen wie der Gerechtigkeit untreu zu werden.“

Die politische Karriere Bhattis hatte mit seinem Einsatz für die Menschenrechte begonnen. Als Anwalt war er 1985 einer der Mitbegründer der Vereinigung der pakistanischen Minderheiten. 2002 trat Bhatti der pakistanischen Volkspartei bei, nur sechs Jahre später wurde er im Alter von 38 Jahren Minister zum Schutz der Minderheiten. In diesem Amt setzte sich Bhatti speziell für den Schutz aller religiösen Minderheiten in Pakistan ein. Von ihm stammt der Vorschlag einer „Quote“ für Nicht-Moslems in Regierung und Parlament.

Mit allen staatlichen Ehren und tausenden Trauergästen ist Bhatti am vergangenen Freitag in der Kathedrale der pakistanischen Hauptstadt Islamabad verabschiedet worden. Seit dem Mord haben tausende Menschen auf den Straßen gegen Gewalt und Terrorismus und für Gerechtigkeit demonstriert. Papst Benedikt XVI. ist am vergangenen Sonntag beim Angelusgebet auf den Mord an Bhatti eingegangen:

„Ich verfolge kontinuierlich und mit großer Sorge die Spannungen, die in diesen Tagen in verschiedenen Ländern Afrikas und Asiens zu beobachten sind. Ich bitte Jesus, unseren Herrn, darum, dass das bewegende Opfer des pakistanischen Ministers Shahbaz Bhatti im Bewusstsein der Menschen Mut und Einsatz weckt, um die Religionsfreiheit aller Menschen zu schützen und damit ihre gleiche Würde zu fördern.“

In Pakistan selbst sehen Christen einen Silberstreifen am Horizont. Trotz des brutalen Mordes an dem 42-jährigen Minister gebe es Hoffnung, so der Präsident der bischöflichen Kommission für Interreligiösen Dialog in Pakistan, Bischof Andrew Francis von Multan. Sein Opfer werde Früchte für alle tragen, und die Kirche in Pakistan werde unermüdlich den Dialog als Instrument des Friedens und des gegenseitigen Respekts weiter fördern.

Auch die russisch-orthodoxe Kirche ist tief betroffen, so der „Außenamtschef“ des Moskauer Patriarchats, Metropolit Hilarion, in einem Brief an den pakistanischen Premier Yousaf Raza Gilani. Als Politiker habe Bhatti viel getan, um die religiösen Spannungen in der pakistanischen Gesellschaft abzubauen. Er habe auch keine Angst gehabt, sich offen gegen die Initiativen der Extremisten auszusprechen.

Der vatikanische Verantwortliche für den interreligiösen Dialog, Kardinal Jean-Louis Tauran, hielt am Sonntag in Rom eine Gedenkmesse für Bhatti, den er auch persönlich kannte. Der Minister sei ein Märtyrer gewesen, sagte Kardinal Tauran im Gespräch mit Radio Vatikan:

„Denn er wurde ermordet, weil er Christ war. Ich habe Bhatti in Rom getroffen und dann vergangenen November in Pakistan. Das letzte Mal sah ich ihn auf dem Flughafen von Lahore, kurz bevor ich in die Maschine nach Rom stieg; es war gegen Mitternacht. Und zum Abschied sagte er mir: Ich weiß, dass ich als Mordopfer sterben werde, aber ich gebe mein Leben als Zeugnis für Jesus und für den interreligiösen Dialog. Gleichzeitig hat er niemals ein Wort des Hasses geäußert. Er hatte das Evangelium wirklich auf herausragende Weise verinnerlicht.“

Ob beim Heiligen Stuhl ein Antrag auf die Proklamation Bhattis als „Märtyrer“ eingereicht wird, wollen die pakistanischen Bischöfe bei ihrer nächsten Konferenz Ende März prüfen. Kardinal Tauran hat sich vom spirituellen Leben des Ministers sehr beeindruckt gezeigt. Er habe „auf gewisse Weise wie ein Priester gelebt, ohne es zu sein.“ Die internationale Gemeinschaft forderte der päpstliche Verantwortliche für den interreligiösen Dialog auf, in Bezug auf die Religionsfreiheit in Pakistan klar Stellung zu beziehen.

Nach der Trauerfeier hat ein Hubschrauber die Leiche des Politikers in seinen Heimatort Khushphur in der Diözese Faisalabad geflogen. Das Dorf gilt lokal als der „pakistanische Vatikan“, weil eine Reihe von Bischöfen und Ordensleuten hier geboren wurden. Der Beerdigungsgottesdienst war eine ökumenische Feier - zahlreiche Hindus, Sikhs und Moslems nahmen daran teil.

Warum musste Shahbaz Bhatti sterben? Immer mehr Details sind inzwischen zu dem Mordanschlag bekannt geworden. Demnach dürften die Täter den persönlichen Tagesablauf des Mannes genau gekannt haben. Sie lauerten dem Minister nämlich nicht an seiner offiziellen Wohnadresse in Islamabad auf, sondern vor einer privaten Mietwohnung in einem anderen Viertel der Hauptstadt. Außerdem berichten Augenzeugen des Anschlags, dass zum Tatzeitpunkt keine der sonst üblichen Sicherheitsleute anwesend waren.

Auch wenn die Täter bisher nicht gefasst sind - über das Motiv des Mordes gibt es keinen Zweifel. Es war eindeutig Bhattis ablehnende Haltung zum “Blasphemie-Gesetz”, das ihm das Leben gekostet hat. Dieses sieht für eine Beleidigung des Propheten Mohammed die Todesstrafe vor. Problematisch ist das Gesetz, weil es leicht instrumentalisiert werden kann. Religiöse Fundamentalisten in Pakistan versuchen damit jede noch so leise Kritik an ihrer Religion auszuschalten. Diese Gefahr sieht auch Harald Suermann, Referent für Pakistan beim internationalen katholischen Missionswerk missio, und nennt folgendes Beispiel:

„Es gab auch einen Fall, wo sich jemand nicht ausreichend die Hände gewaschen hat, als er einen Koran anfasste. Es hieß, das sei schon eine Beleidigung des Korans. Also man kann diese Sache beliebig ausweiten. Und es nicht mal nötig, genauere Untersuchungen durchzuführen, was denn jetzt wirklich geschehen ist. Denn häufig ist der Mob schon vorweg und ermordet den Angeklagten, bevor überhaupt ein Urteil gesprochen wird. Also es ist ein Gummi-Paragraph, der beliebig eingesetzt werden kann.“

Dieses Gesetz verletzt moralische Grundsätze sowie die Religionsfreiheit, es ist also selbst Blasphemie. Das sagte Vatikansprecher Federico Lombardi als Reaktion auf den Mord. Lombardi erinnert an den Mut des Ministers:

„Vor einigen Wochen sagte Bhatti: ‘Betet für mich. Ich habe alle Brücken hinter mir abgebrochen. Ich kann und will nicht umkehren auf meinem Weg. Ich werde den Extremismus bekämpfen und ich werde bis zum Tod für die Verteidigung der Christen kämpfen.’ Heute schon erscheint seine Figur in der Größe eines gültigen Zeugen des Glaubens und der Gerechtigkeit.“

Doch Lombardi spricht nicht nur vom Mord an Minister Bhatti. Er spricht genauso den Mord an dem muslimischen Politiker Salman Taseer vor wenigen Wochen. Wie Bhatti musste auch der ehemalige Gouverneur der pakistanischen Provinz Punjab wegen seines Einsatzes für die Religionsfreiheit in Pakistan sterben. Ein Muslim und ein Christ, die mit ihrem offenen Vorgehen gegen das Blasphemiegesetz sozusagen das eigene Todesurteil unterschrieben haben. Beide haben wegen ihres Mutes den „höchsten Preis“ bezahlt, so Lombardi:

„Während diese beiden Morde uns mit Schrecken und Angst erfüllen, wenn wir an das Schicksal der Christen in Pakistan denken, erfüllen sie uns paradoxerweise aber zugleich mit einem Hauch von Hoffnung. Denn sie verbinden einen Christen und einen Muslim durch Blut, das für eine gemeinsame Sache vergossen wurde. Es gibt nicht nur den Dialog des gegenseitigen Verstehens und des gemeinsamen Einsatzes für das Gemeinwohl. Vom Dialog des Lebens geht man zum Dialog der Zeugenschaft im Tod über, der eigenes Blut fordert, damit der Name Gottes nicht als Instrument der Ungerechtigkeit missbraucht wird.“

Papst Benedikt XVI. hatte in seiner großen Ansprache an das diplomatische Corps im Vatikan Anfang diesen Jahres Taseers Einsatz für die Religionsfreiheit gewürdigt. Und er hatte für den kommenden Oktober ein neues Friedensgebet der Religionen im italienischen Assisi angekündigt und damit die Initiative seines Vorgängers Papst Johannes Paul II. aufgegriffen. Der Mord am Muslim Taseer und am Christen Bhatti trägt nach Ansicht von Vatikansprecher Lombardi dazu bei, dieses – in der Vergangenheit teilweise skeptisch beäugtes – Projekt mit neuem Mut fortzusetzen:

„In Erinnerung an Taseer und Bhatti, in Dankbarkeit für ihr Leben und ihr Sterben, werden die wahren Verehrer Gottes weiterkämpfen – und wenn nötig sterben, für die Religionsfreiheit, die Gerechtigkeit und den Frieden. Gibt es eine stärkere Ermutigung, um uns gemeinsam nach Assisi aufzumachen?“

Es bleibt abzuwarten, welche Folgen der Tod Bhattis auf die Religionsfreiheit in Pakistan haben wird. Seine Regierungskollegen haben es bisher stets abgelehnt, den umstrittenen Blasphemie-Paragrafen auch nur geringfügig abzuändern. Auch Harald Suermann vom Missionsdienst missio ist wenig optimistisch:

„Es wäre ein wichtiger Schritt in diese Richtung, aber ich habe nicht die Hoffnung, dass das in nächster Zeit geschehen kann. Dafür ist die Stimmung zu islamistisch und der Staat im Moment noch zu schwach. Die Radikalisierung ist sicherlich eine Auseinandersetzung zwischen den Islamisten, die in der Region stärker geworden sind – Afghanistan liegt ja nicht weit – und dem Staat auf der anderen Seite. Der Staat ist ja eigentlich ein wichtiger Verbündeter gegen die radikalen Islamisten und steht auf der Seite Amerikas. Wobei gleichzeitig gesagt werden muss, dass der Staat Kompromisse sucht und nicht mit aller Klarheit gegen diese Attentäter vorgegangen ist. Der Attentäter des Gouverneurs von Punjab ist ja als ein Held gefeiert worden. Und letztendlich hat der Staat versäumt, dort klar durchzugreifen und zu verurteilen. Man macht da einen Zickzacklauf und das gibt den Islamisten natürlich immer mehr Spielraum.“

Auch internationalen Beobachtern zufolge dürfte sich an diesem Zustand in naher Zukunft nur wenig ändern. Denn von einer starken politischen Kraft, die sich den islamistischen Extremisten entgegenstellen könnte, sei in der Atommacht Pakistan derzeit keine Spur.

(rv 07.03.2011 ak)








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