2011-03-05 15:31:07

Menschen in der Zeit: Zubin Mehta zum 75. Geburtstag


Ein Name von Welt – und nicht nur für Musikliebhaber: Zubin Mehta, vor 75 Jahren in Bombay geboren. Der vielseitige und auf der ganzen Welt tätige Künstler wuchs in einer zoroastrischen Musikerfamilie Zentralindiens auf. Schon sein Vater Mehli Mehta war ein prominenter Konzertgeiger, Geigenlehrer und Dirigent. Zubin Mehta ist in allen großen Opernhäusern der Welt zu Hause: New York, Florenz, Montreal, Wien, München, London, Mailand, Chicago. Unermüdlich und immer auf höchstem Niveau. Trotz der kurz bemessenen Freizeit stand er für ein Gespräch mit Radio Vatikan zur Verfügung. Freizeit? Das ist für Zubin Mehta ein Fremdwort. Ich brauche keine Ferien, sagt er, mein Urlaub ist zum Beispiel die Ouvertüre zu Don Giovanni von Wolfgang Amadeus Mozart.

Die meiste Zeit Ihres Lebens, Maestro, haben Sie in den großen Opernhäusern, in den Konzertsälen und Theatern der Welt verbracht. Welchem dieser Häuser gehört Ihre besondere Sympathie, wo, in welcher Stadt der Welt dirigieren Sie am liebsten?

„In Europa habe ich hauptsächlich in Wien angefangen. So muss ich sagen: Wien und die Wiener Oper liegen mir natürlich sehr am Herzen. Dann habe ich natürlich die ganzen Opernhäuser in der Welt kennen gelernt, das Opernhaus in Buenos Aires, das Theater Colon, etwas ganz Wunderbares. Und die neuen Häuser wie etwa das Opernhaus Calatravas in Valencia. Und wir bauen jetzt in Florenz ein Theater, das hoffentlich auch unter den modernen Theatern Anerkennung finden wird.“

Sie bauen in Florenz ein Theater? Trotz Kulturkrise?

„Ja, Ja! Die Regierung hat bis jetzt dieses Versprechen nicht gebrochen.“

Sie sind gebürtiger Inder. Pflegen Sie immer noch enge Verbindungen zu Ihrer Heimat?

„Ja, sehr.“

Haben Sie noch Verwandte in Indien?

„Ja, sehr viele und ich gehe jetzt schon wieder mit dem Orchester des ‘Maggio Fiorentino’ Ende März nach Bombay und dirigiere für die Stiftung meines Vaters. Wir spielen westliche Musik für talentierte, junge Inder.“

Sie haben sich an vielen Benefizkonzerten beteiligt. Was bedeutet für Sie soziales Engagement?

„Wir helfen zum Beispiel den Menschen nach Naturkatastrophen. Ich kann mich erinnern, nach dem großen Erdbeben in Indien haben wir ein Benefizkonzert gegeben. Ich war sehr berührt.“

Ich komme auf meine vorherige Frage zurück: Welches andere Land außer Indien ist Ihnen zur zweiten Heimat geworden?

„Natürlich, die zweite Heimat sind auch die Vereinigten Staaten. Ich wohne in Kalifornien. Amerika ist meine zweite Heimat geworden, obwohl ich auch sehr viel in Israel arbeite. Ich fühle mich sehr zu Hause dort. Also Bombay, Wien, Los Angeles, Tel Aviv, Florenz und Valencia. Das sind meine Heimatstädte.“

Sie sind ein authentischer Weltbürger. Wem gilt – im Rückblick auf Ihre glänzende Karriere – Ihr besonderer Dank?

„Meiner Erziehung durch meinen Vater in Indien, musikalisch gesprochen. Und dann: zehn Jahre habe ich die Jesuitenschule in Bombay besucht. Diese Erziehung kann man nicht mit etwas anderem tauschen. Es ist ein so hoher Grad von Bildung in Indien – Universität und Schule. Zum Beispiel war Präsident Obama jetzt in Bombay und hat in meiner Universität gesprochen. Das hat mich sehr gefreut.“

Was, Maestro Mehta, ist das Wichtigste und zugleich Schwierigste für einen guten Dirigenten?

„Die Musik interpretieren, die ungefähr 450 Jahre umspannt. Vom frühen Barock zur modernen Musik. Wir müssen uns in jedem Stil wirklich zu Hause fühlen, um so viele Leute im Orchester von der Interpretation zu überzeugen. Man muss die Handschrift des Komponisten kennen. Es ist nicht nur wichtig, eine Partitur von Mozart auswendig zu lernen, man muss Mozart auch persönlich kennen – durch seine Briefe. Genauso wie Beethoven und so weiter.“

Der Dirigent konzentriert ja in seiner Person – denke ich – Macht und zugleich künstlerische Kompetenz, nämlich musikalische Gestaltungshoheit. Müssen Dirigenten einen Hang zum Machtmenschen haben?

„Nein. Es ist eine Mischung zwischen Autorität und vollkommener Demokratie! Man muss beides in die Waagschale legen. Ein Dirigent muss musikalische Autorität üben, auch natürlich musikalische Disziplin von seinen Musikern verlangen. Aber in einem demokratischen Sinn. Die Musiker sind auch denkende Menschen. Man muss ihnen auch eine Freiheit geben, sich gegen die Interpretation des Dirigenten auch auszusprechen.“

Dirigieren ist eine traditionsgemäß männliche Domäne, bis heute ist es erst wenigen Frauen gelungen, sich als Dirigentinnen durchzusetzen….

„Aber das kommt jetzt! Die Emanzipation der Frauen geht durch die Geschichte. Wir haben jetzt sehr viele talentierte Frauen, die dirigieren. Zum Beispiel hat ein wichtiges Orchester in Amerika schon eine Frau als Dirigentin, nämlich in Baltimore. Ich glaube, die nächste Generation wird noch mehr haben.“

Überall, wo Sie auftreten, werden Sie mit Spannung erwartet. Wie schwierig ist das für Sie, was spielt sich da im psychologischen Bereich bei Ihnen ab?

„Ja, es ist schon eine Verantwortung, die man Abend für Abend trägt. Besonders, wenn man auf Tournee geht, von einer Metropole zur anderen. Da gibt es jeweils andere akustische Verhältnisse, man muss aber immer das gleiche Niveau halten. Das ist schon eine Verantwortung. Die Orchestermusiker verstehen das sehr gut.“

Wenn Sie nach einer Aufführung stürmisch gefeiert werden, und das ist bei Ihnen oft der Fall, was geht da in Ihnen innerlich vor?

„Wissen Sie, bei diesen Ovationen verbleibt noch immer in mir die Symphonie, die ich eben interpretiert habe. Ich bin noch ganz von dem Werk gefangen, so dass das Publikum und die Anerkennung wirklich erst an zweiter Stelle kommen. Was wir eben gespielt haben, das geht die ganze Zeit während des Applauses durch meinen Kopf, glauben Sie mir.“

Sie haben in allen großen Operhäusern der Welt dirigiert. Was ist der fundamentale Unterschied zwischen der großen Dirigentengeneration eines – sagen wir – Toscanini, Herbert von Karajan, Bruno Walters und Ihrer Generation?

„Wir haben wirklich so viel gelernt von diesen Meistern, die Sie eben genannt haben. Ich habe mit Bruno Walter oft studiert in meinen acht Jahren in Los Angeles. Und mit Karajan auch. Toscanini habe ich leider nicht erlebt, aber durch Platten kenne ich ihn auch sehr gut. Wir leben von Toscaninis Philosophie. Er hat die klassischen Werke in ihrer Urfassung wirklich vollkommen neu gemacht. Er hat die Werke wirklich gereinigt von der Romantik. Und davon leben wir heute. Das haben wir nur Toscanini zu verdanken.“

Welches musikalische Werk ist für einen Dirigenten eine besonders große Herausforderung? Ist es zum Beispiel der Ring von Wagner, sind es die neun Symphonien von Beethoven oder sind es die modernen Werke?

„Wissen Sie, die frühesten Symphonien von Mozart verlangen genauso viel Wertschätzung und Konzentration wie Wagners Siegfried. Nur ist es manchmal komplizierter in den Details, natürlich. Aus einer Haydn-Symphonie, Haydn hat 104 Symphonien geschrieben, lernen wir immer wieder neue Symphonien. Da muss man genauso viel analysieren, die Handschrift des Komponisten analysieren, wie bei der Götterdämmerung“.

Sie haben einmal gesagt, wer keinen Johann Strauß dirigieren kann, der ist kein vollwertiger Dirigent…

„Nein, nein, das habe ich nicht gesagt (lacht). Aber die, die in Wien aufgewachsen sind, kennen diese musikalische Sprache von Johann Strauß natürlich sehr gut. Die, die von außen kommen, kennen das einfach nicht. Man muss in Wien leben, um Johann Strauß kennen zu lernen.“

Und jetzt als Laie eine ziemlich banale Frage: Wer ist für Zubin Mehta der absolut größte Musiker aller Zeiten?

„Für mich liegt dies zwischen Bach und Mozart. Diese beiden Männer haben unser Leben reich gemacht: Ich glaube, ohne Bach und Mozart könnten wir heute nicht leben. Dann kommt natürlich auch Beethoven.“

Und welches Orchester ist das absolut Beste der Welt?

„Das kann man gar nicht sagen. Wir haben zehn oder fünfzehn wirklich erstklassige Orchester weltweit. Und es kommt darauf an, wer sie dirigiert. Jedes Orchester hat mal einen sehr guten Tag und manchmal einen nicht sehr guten Tag. Wir sind alle nur Menschen. Manchmal sind wir nicht so inspiriert. Wie bei den Vögeln bei schlechtem Wetter: da singen sie nicht so schön.“

Würden Sie die menschliche Stimme als Königin aller Instrumente bezeichnen?

„Wenn sie so ausgebildet ist, wie bei den großen Sängern, dann ja. Aber es gibt Instrumentalisten, Geiger und Cellisten, die die Instrumente so spielen wie menschliche Stimmen.“

Wir haben vorher von dem großen Einfluss der Musik gesprochen. Kann die Musik auch Einfluss auf die Politik haben?

„Nicht auf die Politik, aber auf die Menschen. Menschen , die in Krisen leben, so wie im Mittleren Osten. Wir machen Konzerte für Araber und Juden, die zusammensitzen und Beethoven hören. Und wenigstens während dieser Zeit herrscht Frieden.“

Unbestritten hat die Musik ja auch die Religionen beeinflusst. Ist das auch umgekehrt der Fall?

„Sicher. Besonders in Europa. Das Christentum hat die Malerei, Musik, Philosophie – alles beeinflusst.“

Haben Sie schon einmal vor einem Papst dirigiert?

„Ja, vor Papst Paul VI. Ich würde so gerne einmal auch vor Papst Benedikt XVI. dirigieren. Ich habe ihn einmal getroffen, in München. Da habe ich in der Kirche eine Messe dirigiert, bei der Trauerfeier von Frau Sawallisch. Ich möchte sehr gerne vor Papst Benedikt dirigieren. Heute in der Zeitung gibt es ein Bild von ihm – von Papst Benedikt, wie er am Klavier spielt!“

Ich teile ihren Wunsch, vor dem Papst dirigieren zu können...

„Wir haben in München immer die Regensburger Domspatzen für das Staatsorchester eingesetzt, die sein Bruder lange geleitet hat. Ob die dritte Mahlermusik oder Weihnachtskonzerte – er war immer dabei!“

Welche Beziehung haben Sie zur katholischen Kirche?

„Ich bin als Nichtchrist in Bombay von den Jesuiten erzogen worden. In meiner Klasse waren sechs Religionen vertreten. Und es herrschte eine vollkommene Demokratie. Ich habe Matthäus und Markus studiert und die Apostelgeschichte auch. Wir waren in einer Klasse Katholiken, Protestanten, Hindus und Moslems – ich selbst bin Parsi, und wir waren zu dreißig.“

Das könnte man auch die Globalisierung der Ökumene nennen…

„Ja, genau! Es war wunderbar. Ich habe religiösen Hass in meiner Jugend überhaupt nicht gekannt. Es gab nie irgendetwas Negatives.“

Was würden Sie Papst Benedikt gerne fragen, wenn es dazu eine Möglichkeit gäbe?

„Ich hätte so viele Fragen! Sein Einfluss ist so beutend: Ich hoffe, er ist sich bewusst, wie viel Einfluss er auf der Welt hat. Und wie viel seine Worte überall helfen.“

(rv 06.03.2011 ap)








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