Menschen in der Zeit: Zubin Mehta zum 75. Geburtstag
Ein Name von Welt – und nicht nur für Musikliebhaber: Zubin Mehta, vor 75 Jahren
in Bombay geboren. Der vielseitige und auf der ganzen Welt tätige Künstler wuchs in
einer zoroastrischen Musikerfamilie Zentralindiens auf. Schon sein Vater Mehli Mehta
war ein prominenter Konzertgeiger, Geigenlehrer und Dirigent. Zubin Mehta ist in allen
großen Opernhäusern der Welt zu Hause: New York, Florenz, Montreal, Wien, München,
London, Mailand, Chicago. Unermüdlich und immer auf höchstem Niveau. Trotz der kurz
bemessenen Freizeit stand er für ein Gespräch mit Radio Vatikan zur Verfügung. Freizeit?
Das ist für Zubin Mehta ein Fremdwort. Ich brauche keine Ferien, sagt er, mein Urlaub
ist zum Beispiel die Ouvertüre zu Don Giovanni von Wolfgang Amadeus Mozart.
Die
meiste Zeit Ihres Lebens, Maestro, haben Sie in den großen Opernhäusern, in den Konzertsälen
und Theatern der Welt verbracht. Welchem dieser Häuser gehört Ihre besondere Sympathie,
wo, in welcher Stadt der Welt dirigieren Sie am liebsten?
„In Europa habe
ich hauptsächlich in Wien angefangen. So muss ich sagen: Wien und die Wiener Oper
liegen mir natürlich sehr am Herzen. Dann habe ich natürlich die ganzen Opernhäuser
in der Welt kennen gelernt, das Opernhaus in Buenos Aires, das Theater Colon, etwas
ganz Wunderbares. Und die neuen Häuser wie etwa das Opernhaus Calatravas in Valencia.
Und wir bauen jetzt in Florenz ein Theater, das hoffentlich auch unter den modernen
Theatern Anerkennung finden wird.“
Sie bauen in Florenz ein Theater? Trotz
Kulturkrise?
„Ja, Ja! Die Regierung hat bis jetzt dieses Versprechen nicht
gebrochen.“
Sie sind gebürtiger Inder. Pflegen Sie immer noch enge Verbindungen
zu Ihrer Heimat?
„Ja, sehr.“
Haben Sie noch Verwandte in Indien?
„Ja,
sehr viele und ich gehe jetzt schon wieder mit dem Orchester des ‘Maggio Fiorentino’
Ende März nach Bombay und dirigiere für die Stiftung meines Vaters. Wir spielen westliche
Musik für talentierte, junge Inder.“
Sie haben sich an vielen Benefizkonzerten
beteiligt. Was bedeutet für Sie soziales Engagement?
„Wir helfen zum Beispiel
den Menschen nach Naturkatastrophen. Ich kann mich erinnern, nach dem großen Erdbeben
in Indien haben wir ein Benefizkonzert gegeben. Ich war sehr berührt.“
Ich
komme auf meine vorherige Frage zurück: Welches andere Land außer Indien ist Ihnen
zur zweiten Heimat geworden?
„Natürlich, die zweite Heimat sind auch die
Vereinigten Staaten. Ich wohne in Kalifornien. Amerika ist meine zweite Heimat geworden,
obwohl ich auch sehr viel in Israel arbeite. Ich fühle mich sehr zu Hause dort. Also
Bombay, Wien, Los Angeles, Tel Aviv, Florenz und Valencia. Das sind meine Heimatstädte.“
Sie
sind ein authentischer Weltbürger. Wem gilt – im Rückblick auf Ihre glänzende Karriere
– Ihr besonderer Dank?
„Meiner Erziehung durch meinen Vater in Indien, musikalisch
gesprochen. Und dann: zehn Jahre habe ich die Jesuitenschule in Bombay besucht. Diese
Erziehung kann man nicht mit etwas anderem tauschen. Es ist ein so hoher Grad von
Bildung in Indien – Universität und Schule. Zum Beispiel war Präsident Obama jetzt
in Bombay und hat in meiner Universität gesprochen. Das hat mich sehr gefreut.“
Was,
Maestro Mehta, ist das Wichtigste und zugleich Schwierigste für einen guten Dirigenten?
„Die
Musik interpretieren, die ungefähr 450 Jahre umspannt. Vom frühen Barock zur modernen
Musik. Wir müssen uns in jedem Stil wirklich zu Hause fühlen, um so viele Leute im
Orchester von der Interpretation zu überzeugen. Man muss die Handschrift des Komponisten
kennen. Es ist nicht nur wichtig, eine Partitur von Mozart auswendig zu lernen, man
muss Mozart auch persönlich kennen – durch seine Briefe. Genauso wie Beethoven und
so weiter.“
Der Dirigent konzentriert ja in seiner Person – denke ich –
Macht und zugleich künstlerische Kompetenz, nämlich musikalische Gestaltungshoheit.
Müssen Dirigenten einen Hang zum Machtmenschen haben?
„Nein. Es ist eine
Mischung zwischen Autorität und vollkommener Demokratie! Man muss beides in die Waagschale
legen. Ein Dirigent muss musikalische Autorität üben, auch natürlich musikalische
Disziplin von seinen Musikern verlangen. Aber in einem demokratischen Sinn. Die Musiker
sind auch denkende Menschen. Man muss ihnen auch eine Freiheit geben, sich gegen die
Interpretation des Dirigenten auch auszusprechen.“
Dirigieren ist eine
traditionsgemäß männliche Domäne, bis heute ist es erst wenigen Frauen gelungen, sich
als Dirigentinnen durchzusetzen….
„Aber das kommt jetzt! Die Emanzipation
der Frauen geht durch die Geschichte. Wir haben jetzt sehr viele talentierte Frauen,
die dirigieren. Zum Beispiel hat ein wichtiges Orchester in Amerika schon eine Frau
als Dirigentin, nämlich in Baltimore. Ich glaube, die nächste Generation wird noch
mehr haben.“
Überall, wo Sie auftreten, werden Sie mit Spannung erwartet.
Wie schwierig ist das für Sie, was spielt sich da im psychologischen Bereich bei Ihnen
ab?
„Ja, es ist schon eine Verantwortung, die man Abend für Abend trägt.
Besonders, wenn man auf Tournee geht, von einer Metropole zur anderen. Da gibt es
jeweils andere akustische Verhältnisse, man muss aber immer das gleiche Niveau halten.
Das ist schon eine Verantwortung. Die Orchestermusiker verstehen das sehr gut.“
Wenn
Sie nach einer Aufführung stürmisch gefeiert werden, und das ist bei Ihnen oft der
Fall, was geht da in Ihnen innerlich vor?
„Wissen Sie, bei diesen Ovationen
verbleibt noch immer in mir die Symphonie, die ich eben interpretiert habe. Ich bin
noch ganz von dem Werk gefangen, so dass das Publikum und die Anerkennung wirklich
erst an zweiter Stelle kommen. Was wir eben gespielt haben, das geht die ganze Zeit
während des Applauses durch meinen Kopf, glauben Sie mir.“
Sie haben in
allen großen Operhäusern der Welt dirigiert. Was ist der fundamentale Unterschied
zwischen der großen Dirigentengeneration eines – sagen wir – Toscanini, Herbert von
Karajan, Bruno Walters und Ihrer Generation?
„Wir haben wirklich so viel
gelernt von diesen Meistern, die Sie eben genannt haben. Ich habe mit Bruno Walter
oft studiert in meinen acht Jahren in Los Angeles. Und mit Karajan auch. Toscanini
habe ich leider nicht erlebt, aber durch Platten kenne ich ihn auch sehr gut. Wir
leben von Toscaninis Philosophie. Er hat die klassischen Werke in ihrer Urfassung
wirklich vollkommen neu gemacht. Er hat die Werke wirklich gereinigt von der Romantik.
Und davon leben wir heute. Das haben wir nur Toscanini zu verdanken.“
Welches
musikalische Werk ist für einen Dirigenten eine besonders große Herausforderung? Ist
es zum Beispiel der Ring von Wagner, sind es die neun Symphonien von Beethoven oder
sind es die modernen Werke?
„Wissen Sie, die frühesten Symphonien von Mozart
verlangen genauso viel Wertschätzung und Konzentration wie Wagners Siegfried. Nur
ist es manchmal komplizierter in den Details, natürlich. Aus einer Haydn-Symphonie,
Haydn hat 104 Symphonien geschrieben, lernen wir immer wieder neue Symphonien. Da
muss man genauso viel analysieren, die Handschrift des Komponisten analysieren, wie
bei der Götterdämmerung“.
Sie haben einmal gesagt, wer keinen Johann Strauß
dirigieren kann, der ist kein vollwertiger Dirigent…
„Nein, nein, das habe
ich nicht gesagt (lacht). Aber die, die in Wien aufgewachsen sind, kennen diese musikalische
Sprache von Johann Strauß natürlich sehr gut. Die, die von außen kommen, kennen das
einfach nicht. Man muss in Wien leben, um Johann Strauß kennen zu lernen.“
Und
jetzt als Laie eine ziemlich banale Frage: Wer ist für Zubin Mehta der absolut größte
Musiker aller Zeiten?
„Für mich liegt dies zwischen Bach und Mozart. Diese
beiden Männer haben unser Leben reich gemacht: Ich glaube, ohne Bach und Mozart könnten
wir heute nicht leben. Dann kommt natürlich auch Beethoven.“
Und welches
Orchester ist das absolut Beste der Welt?
„Das kann man gar nicht sagen.
Wir haben zehn oder fünfzehn wirklich erstklassige Orchester weltweit. Und es kommt
darauf an, wer sie dirigiert. Jedes Orchester hat mal einen sehr guten Tag und manchmal
einen nicht sehr guten Tag. Wir sind alle nur Menschen. Manchmal sind wir nicht so
inspiriert. Wie bei den Vögeln bei schlechtem Wetter: da singen sie nicht so schön.“
Würden
Sie die menschliche Stimme als Königin aller Instrumente bezeichnen?
„Wenn
sie so ausgebildet ist, wie bei den großen Sängern, dann ja. Aber es gibt Instrumentalisten,
Geiger und Cellisten, die die Instrumente so spielen wie menschliche Stimmen.“
Wir
haben vorher von dem großen Einfluss der Musik gesprochen. Kann die Musik auch Einfluss
auf die Politik haben?
„Nicht auf die Politik, aber auf die Menschen. Menschen
, die in Krisen leben, so wie im Mittleren Osten. Wir machen Konzerte für Araber und
Juden, die zusammensitzen und Beethoven hören. Und wenigstens während dieser Zeit
herrscht Frieden.“
Unbestritten hat die Musik ja auch die Religionen beeinflusst.
Ist das auch umgekehrt der Fall?
„Sicher. Besonders in Europa. Das Christentum
hat die Malerei, Musik, Philosophie – alles beeinflusst.“
Haben Sie schon
einmal vor einem Papst dirigiert?
„Ja, vor Papst Paul VI. Ich würde so gerne
einmal auch vor Papst Benedikt XVI. dirigieren. Ich habe ihn einmal getroffen, in
München. Da habe ich in der Kirche eine Messe dirigiert, bei der Trauerfeier von Frau
Sawallisch. Ich möchte sehr gerne vor Papst Benedikt dirigieren. Heute in der Zeitung
gibt es ein Bild von ihm – von Papst Benedikt, wie er am Klavier spielt!“
Ich
teile ihren Wunsch, vor dem Papst dirigieren zu können...
„Wir haben in
München immer die Regensburger Domspatzen für das Staatsorchester eingesetzt, die
sein Bruder lange geleitet hat. Ob die dritte Mahlermusik oder Weihnachtskonzerte
– er war immer dabei!“
Welche Beziehung haben Sie zur katholischen Kirche?
„Ich
bin als Nichtchrist in Bombay von den Jesuiten erzogen worden. In meiner Klasse waren
sechs Religionen vertreten. Und es herrschte eine vollkommene Demokratie. Ich habe
Matthäus und Markus studiert und die Apostelgeschichte auch. Wir waren in einer Klasse
Katholiken, Protestanten, Hindus und Moslems – ich selbst bin Parsi, und wir waren
zu dreißig.“
Das könnte man auch die Globalisierung der Ökumene nennen…
„Ja,
genau! Es war wunderbar. Ich habe religiösen Hass in meiner Jugend überhaupt nicht
gekannt. Es gab nie irgendetwas Negatives.“
Was würden Sie Papst Benedikt
gerne fragen, wenn es dazu eine Möglichkeit gäbe?
„Ich hätte so viele Fragen!
Sein Einfluss ist so beutend: Ich hoffe, er ist sich bewusst, wie viel Einfluss er
auf der Welt hat. Und wie viel seine Worte überall helfen.“