Der deutsche Seelsorger
in Kairo, Monsignore Joachim Schroedel, ist optimistisch über den Fortgang der Revolution
in Ägypten. Man spüre allenthalben, „dass wirklich eine neue Zeit begonnen hat“. Das
sagte Schroedel an diesem Donnerstag im Gespräch mit Radio Vatikan. Allerdings frage
er sich, ob das Militär wirklich bereit sei, von einigen seiner Privilegien zu lassen.
Der Westen solle die Muslimbrüder nicht als „Schreckgestalt“ wahrnehmen; sie setzten
sich „ja nicht aus irgendwelchen finsteren Gestalten zusammen“, sondern seien Ärzte,
Architekten, Rechtsanwälte: „hochrenommierte Menschen“. Auf längere Sicht halte er
es durchaus für möglich, dass der Religionswechsel in Ägypten nicht mehr für strafbar
erklärt werde, so Schroedel. „Natürlich – es ist eine spannende Zeit, und vieles könnte
unter Umständen auch noch kippen, das sage ich ganz ehrlich.“
Hier finden
Sie den vollen Text des Interviews, das Stefan Kempis mit Msgr. Schroedel für die
Sendung „Kreuzfeuer“ geführt hat.
Auf welchem Stand ist denn die ägyptische
Revolution? Ist das Leben wieder fast wie vorher, fast wieder normal – oder gärt es
weiter?
„Schöne Frage, ob es fast wieder normal ist! Ich würde darauf sagen:
Hoffentlich wird es nicht wieder normal, so wie es vorher war – denn die Umwälzungen
sind jetzt wirklich mit Händen zu greifen. Ich gebe Ihnen mal das Beispiel Presse:
Die Presse hat sich um 180 Grad gewandelt, Sie können jetzt offenste Kritik lesen
an der derzeitigen Militärregierung, Sie lesen die Forderungen, die die Jugend stellt.
Andererseits
– ja, wir spüren einen Aufbruch und eine neue Normalität. Zur neuen Normalität gehört,
dass man offen reden kann, und sehr viel Engagement von Jugendlichen. Auch da wieder
ein ganz konkretes Beispiel: Kurz nach dem Rücktritt von Präsident Mubarak haben sich
Jugendliche auch wieder über Facebook organisiert und ganze Straßenzüge gekehrt und
sauber gemacht sowie die Randsteine neu bemalt, fast rührend zu sehen. Und wenn man
dann gefragt hat, warum macht ihr das, dann haben sie gesagt: Das ist doch unser Ägypten,
wir müssen uns doch engagieren! Sowas hat man vorher eigentlich gar nicht erwartet
von einem „normalen“ Ägypter; man hat immer gedacht, naja, die warten halt ab, bis
der Staat etwas macht, und wenn der Staat nichts macht, dann geschieht halt nichts.
Aber nein, die jungen Leute zwischen 16 und 25 sind ganz, ganz engagiert dabei – und
das zieht wiederum die Älteren mit. Auch hier – ich wohne ja etwas auf dem Lande –
spürt man, dass wirklich eine neue Zeit begonnen hat.
Das Negative muss man
natürlich auch sehen: Es gibt einige Fehlerquellen noch, zum Beispiel ist die Polizei
noch nicht richtig da. Sie wurde ja vom Innenminister geleitet, da gab es sehr viel
Korruption, und darum kann man sie nicht einfach wieder auf die Straßen schicken.
Das bedeutet, wir haben leider eine etwas erhöhte Kriminalität, es gab sogar in letzter
Zeit einige Raubüberfälle auf Autos. Das hat übrigens auch schon einige Deutsche getroffen.
Da hoffen wir natürlich auf eine Normalität im guten Sinne!“
„Viele Christen
sagen: Jetzt geht`s gegen uns“
Bei erhöhter Kriminalität könnte es natürlich
auch wieder – wie in der Neujahrsnacht – zu Angriffen auf Kopten kommen. Der Innenminister
unter Mubarak, den Sie eben erwähnt haben, wird in Presseberichten, die sich offenbar
auf britische Geheimdienstinformationen stützen, mit dem Attentat von Alexandria,
bei dem über zwanzig Kopten starben, in Verbindung gebracht. Wie ist da der Stand
der Erkenntnisse?
„Ich denke, ab dem 15. März werden wir mehr wissen, denn
an diesem Tag beginnt der Prozess gegen Habib el-Adli, den Innenminister, und die
Gerüchte sind natürlich sehr, sehr groß, dass er hinter sehr vielem steckt. Zur Zeit,
in der noch so vieles im Umbruch ist, ist natürlich die Gerüchteküche sehr aktiv,
und man sollte alles mit sehr viel Vorsicht genießen. Ägypter erzählen auch gerne
– ich sage das jetzt mal etwas locker – viele Geschichten, die spannend klingen, und
das könnte jetzt natürlich auch eine Rolle spielen. Andererseits: Viele Muslime und
Christen glauben, dass in der Tat wenigstens das Abziehen der Polizei vor dieser Kirche
in Alexandria natürlich durch die höchsten Stellen initiiert war, also unter Umständen
durch den Minister, um sozusagen dem Terror Raum zu geben. Die Sicherheitslage nach
dem 25. Januar, also nach dem ersten Tag unserer neuen ägyptischen Revolution, war
ja dann auch ganz schwierig, denn auf einen Schlag wurde die ganze Polizei abgezogen
– „in Ferien geschickt“, wie das offiziell hieß. Drei Tage nach dem 25. Januar gab
es keinen einzigen Polizisten mehr auf der Straße, und das war dann auch hart.
Okay
– wir wissen nicht, wer dahintersteckt. Ich kann nur sagen: Was die Christen anbelangt,
haben sie jetzt in der Regel gemischte Gefühle. Einige Bischöfe haben ja auch schon
erklärt, sie sähen eine große Chance in der Revolution und hätten Hoffnung; sowohl
Papst Shenuda III. hat das gesagt als auch der katholische Patriarch Naguib. Die normale
christliche Bevölkerung ist aber noch immer sehr ängstlich, sicherlich beeinflusst
durch die 15 Jahre andauernde Indoktrination, nach der es keine Alternative zu Mubarak
gebe, es sei denn, die Muslimbrüder. In den letzten Tagen haben sich – aber wie immer
– einige Attentate und schlimme Vorfälle ereignet in Ägypten, und dann kommen die
Christen und sagen: Seht ihr, jetzt geht es los. Das habe ich wörtlich so gehört.
Dann habe ich gesagt: Ja wieso, was geht denn los? Antwort: Ja, es war ja klar, wenn
Mubarak nicht mehr da ist, dann geht`s gegen die Christen… Das ist eine sehr, sehr
einseitige Sichtweise, und ich denke wirklich, es ist der Virus dieser Propaganda.
Im Effekt sieht man, dass die Muslimbrüder derzeit sehr, sehr zurückhaltend
sind und (das war gerade vorgestern in den Medien) erklären, dass sie auch noch keine
Partei gründen wollen, sondern dass sie mitarbeiten wollen an einem demokratischen
Aufbau dieses Landes – was auch immer das dann bei einem Muslimbruder heißt. Aber
jedenfalls, diese Schreckgestalt Muslimbruder, wie sie bei uns in Europa ankommt,
existiert, glaube ich, in Ägypten nicht.“
Aber ist die Zurückhaltung der
Muslimbrüder nicht auch etwas Taktisches? Man kann doch schon davon ausgehen, dass
zwischen zwanzig und bis zu vierzig Prozent der Bevölkerung hinter ihnen steht. Wenn
sie einmal an einer Regierung beteiligt sein sollten, und das könnte doch durchaus
noch im Laufe dieses Jahres der Fall sein, wie sähe das denn dann für die Kopten aus?
Haben die Kopten nicht recht, wenn sie sich fürchten?
„Ich denke, man sollte
versuchen zu differenzieren und zunächst einmal fragen: Warum sind denn die Muslimbrüder
so stark geworden in den letzten Jahren? Die Muslimbrüder haben das übernommen, was
der Staat nicht leisten konnte, nämlich im sozialen Bereich und im Gesundheitsbereich
aktiv zu werden. Sie haben also bei der Bevölkerung auch deswegen großen Anklang gefunden,
weil sie geholfen haben, wo der Staat nicht einspringen konnte oder wollte. Und wer
mir hilft, der ist mein Freund – den wähle ich auch.
„Muslimbrüder sind
keine finsteren Gestalten“
Andererseits - wenn Sie einen durchschnittlichen
Muslim fragen: Keiner sagt, oh ja, jetzt wäre doch mal wichtig, dass die Muslimbrüder
drankommen. Dazu kommt ein Zweites: Die Muslimbrüder setzen sich ja nicht aus irgendwelchen
finsteren Gestalten zusammen. Vielmehr sind das Ärzte, Architekten, Rechtsanwälte
– hochrenommierte Menschen. Und die Forderung von dieser Gruppierung ist: Religion
oder Gott soll in dieser Gesellschaft auch eine Rolle spielen. Aber auf die Frage,
wollen wir einen Gottesstaat à la Iran, wird deutlich: Das wollen die Ägypter alle
miteinander nicht. So glaube ich: Je später die Wahlen kommen, desto besser wäre das
für den Aufbau eines demokratischen Systems; man spricht jetzt von etwa sechs Monaten,
das würde bedeuten, Wahlen im August. Das ist schon kurz, denn es gibt ja außer den
von staatlicher Seite erlaubten keine Parteien, die bilden sich ja gerade erst. Und
die Muslimbrüder sollte man sehr genau im Auge behalten, aber sie sind nicht die Gefahr
schlechthin.
Da würde ich eher jetzt noch eine gewisse Gefahr sehen, die von
den Militärs ausgeht. Die Militärs hatten natürlich immer eine hervorragende Machtposition,
haben sie aber nie richtig ausgespielt. Die Privilegien so peu à peu abzugeben, die
das Militär hatte, fällt sicher nicht leicht. Also auch da: Aufpassen!“
Auch
da aufpassen, nur bei den Muslimbrüdern nicht? Um das mal etwas pointiert zu sagen:
Die Muslimbrüder werden mittlerweile fast als Mutter-Teresa-Schwestern dargestellt,
dabei war es ein Muslimbruder, der den Friedensnobelpreisträger und Präsidenten Sadat
ermordete, den Vorgänger Mubaraks. Haben die Kopten nicht mit Recht Angst vor Muslimbrüdern?
Und sollten die Kopten vielleicht als Reaktion darauf eine politische Partei gründen?
„Ich
habe in diesen Tagen auf dem Tahrir-Platz, wo ich fast täglich war, spüren dürfen,
dass die jungen Leute nicht das eine System, nämlich das gewaltherrscherliche Mubaraks,
durch religiöse Systeme ersetzt sehen wollen. Die sagen doch eher: Wir hätten gerne
einen Staat, der sich an den westlichen Modellen orientiert. Manche – auch Muslime!
– haben mir gesagt: Am liebsten wäre uns die Trennung zwischen „din“ und „daula“,
also zwischen Staat und Religion. Aber das würde natürlich für den Islam die Quadratur
des Kreises bedeuten…
Ich sehe nicht, dass man eine religiöse Partei gründen
sollte: Das ist, glaube ich, nicht ganz im Sinne einer sich entwickelnden, ganz jungen
Demokratie. Und ich sage noch einmal: Nachdem wir gehört haben, dass die Muslimbrüder
nicht beabsichtigen, eine Partei zu gründen, sondern noch immer als einzelne Kandidaten
zu agieren, solange ist da die Gefahr noch nicht so groß. Trotzdem: ganz genau hinschauen!
Ich denke auch, man muss sehen, von wem genau unter den Muslimbrüdern man spricht.
Da gibt es sehr, sehr liberale Vertreter, aber es gibt natürlich auch diejenigen,
die letztlich viel mehr Religion in den Staat hineinhaben wollen. Ich könnte mir auch
nicht vorstellen, dass etwa die Sharia noch eine breitere Bedeutung gewinnen könnte
hier im Lande – andererseits aber auch nicht vorstellen, dass Paragraph 2 in der derzeitigen
Situation geändert werden würde. Dieser Paragraph erklärt, dass die Sharia die Hauptquelle
der Rechtsfindung sei. Natürlich – es ist eine spannende Zeit, und vieles könnte unter
Umständen auch noch kippen, das sage ich ganz ehrlich.“
Später vielleicht
Religionswechsel nicht mehr strafbar
Wenn der Artikel 2 der ägyptischen
Verfassung nicht angetastet wird, dann würde das auch in einem neuen Ägypten bedeuten,
dass z.B. der Übertritt vom Islam zum Christentum verboten und damit strafbar wäre.
Ist nicht damit zu rechnen, dass sich da etwas ändert?
„Doch. Ich glaube,
da können die Ägypter in typischer Weise nochmals differenzieren. Die Orientalen haben
ja alle ihre Fähigkeit, zu sagen, das ist zwar die offizielle Version, dass die Sharia
die Quelle der Rechtsfindung ist, aber wir hier in Ägypten sind ein modernes Land,
und wir sehen vieles weiter differenziert. Ich glaube in der Tat bei dieser ganz konkreten
Frage Übertritt von der einen Religion zur anderen: Da wird garantiert etwas passieren,
wenn auch gegen einige Widerstände, und vor allem nicht innerhalb der ersten sechs
Monate.
Man könnte natürlich sagen: Wenn nicht jetzt, wann dann? Aber wer sollte
das tragen? Wir haben, wie gesagt, keine Parteien, die funktionabel sind: Man findet
sich jetzt erst langsam zusammen, und ich denke, hier muss man durchatmen. Wahrscheinlich
wird in wenigen Tagen ein erstes Referendum stattfinden über die Veränderung einiger
Paragraphen in der Verfassung; die betreffen Fragen wie die Präsidentschaftskandidatur
oder die Länge der Regentschaft eines Präsidenten etc.. – diese inhaltlich wichtigen
Dinge muss man wahrscheinlich in einer zweiten Phase, wenn wieder ein richtiges Parlament
da ist, angehen. Und ich glaube wirklich: Wenn freie Wahlen stattfinden, dann muss
man auch Volkes Stimme akzeptieren. Ich erinnere mal a die Wahlen in Palästina vor
einigen Jahren, als dann Hamas sehr viele Stimmen bekam und natürlich Amerika ganz
verwundert sagte: So wollen wir das ja nicht…
Aber ich glaube, die Ägypter
sind von anderem Schlage. Die Ägypter wollen jetzt nach dreißig Jahren mehr Freiheit
haben, mehr Mitbestimmung und keine Knechtung unter was auch immer für Systemen, seien
es religiöse oder andere weltanschauliche Systeme. Schauen Sie: Etwa die Hälfte der
ägyptischen Bevölkerung ist unter 22 – das ist wirklich eine Riesengruppe. Die interessiert
sich kaum mehr für spezifische religiöse Staatsformen, sondern für den Westen, die
Modernität, Facebook – damit wollen sie leben.“
Sie haben in den letzten
zwei Monaten eine Revolution wirklich hautnah miterlebt – wie war denn das, erzählen
Sie mal!
„Wir fragten: Hattet ihr Angst vor den Schüssen?“
„Das
war eine schwierige Situation! Das Ganze ging ja los am 25. Januar, und dieser Tag
war die Initialzündung auch eines gewissen Exodus, denn in den Tagen darauf haben
sehr viele Angehörige der Deutschen, die hier arbeiten, das Land verlassen, und auch
jetzt noch. Wir hatten gestern Pastoralrats-Sitzung, und da haben wir festgestellt,
dass viele unserer deutschen Gemeindemitglieder einfach noch nicht wieder da sind,
manche sich sogar entschlossen haben, ganz wegzubleiben, weil sie einfach eine große
Unsicherheit spüren und sagen, das hat keinen Sinn, mit Kindern etwa hierher ins Land
zu kommen. Auch jetzt ist ja noch Revolutionszeit, das sollte man nicht verkennen!
Es ist noch nicht alles at ease und ganz einfach und wieder normal, nein. Wir sind
noch in einer Phase, die vielleicht nicht mehr so angespannt ist, aber doch eine Phase
des Umbruchs.
Wir haben in der ersten Woche jeden Morgen die Menschen, die
ja auch von Ausgangssperre etc. betroffen waren, morgens um neun Uhr gesammelt, haben
die heilige Messe gefeiert und haben dann anschließend Kaffee getrunken und uns ausgetauscht:
Wie war die Nacht? Habt ihr Angst gehabt vor den Schüssen? Denn überall waren in den
ersten drei Wochen nachts Schüsse zu hören, ob Warnschüsse oder von wirklichen Gefechten.
Gerade in den Stadtrandgebieten, wo ja Europäer eher leben, war es eine sehr, sehr
schwierige Lage, nachdem dann die Polizei weg war. Wir mussten durch Telefonkette
sehr viel Arbeit leisten, aber das wurde auch sehr gerne angenommen.
Es war
dann für mich persönlich eine dramatische Situation, als ich am Sonntag vor dem Rücktritt
des Präsidenten – bzw. vor der Erklärung, dass er zurückgetreten sei – die heilige
Messe in der Innenstadt feierte, etwa dreihundert Meter vom Innenministerium entfernt.
Über uns kreisten stets und ständig die Hubschrauber – also, dieses Geräusch kann
man ja nicht abschalten, und es ist wirklich eine bedrohliche Sache. In dem Moment
dachte ich auch: Wo bin ich jetzt eigentlich? Es war für die Deutschen dann eben immer
gut, sich wieder um den Altar zu versammeln und zu sagen, der liebe Gott schützt uns
schon.
Nach dem 11. Februar, dem Tag des Rücktritts, war dann eine große Freude
spürbar. Wir haben dann mehrfach auf dem Tahrir-Platz zusammengestanden, und da kamen
dann eben auch viele Deutsche, die hier ausgeharrt haben, und man umarmte sich und
sagte: So, der erste Schritt wäre geschafft! Die Freiheit war wirklich mit Händen
zu greifen. Für mich war das sozusagen die zweite Revolution nach 1989, als die Mauer
gefallen ist – und vieles hat mich auch in bewegender Weise daran erinnert.“
Was
hat Sie denn daran erinnert?
Mubarak, geh doch endlich, mein Arm wird
müde!
„Zunächst einmal die Tatsache, dass sowohl 1989 als auch hier bei
uns die Demonstrationen friedlich waren! Man hat natürlich vom Fernsehen her jetzt
nur noch die Bilder der steinewerfenden Menschen in Erinnerung, oder die Bilder der
Pferde und Kamele, die da mittelalterlich auf die friedlichen Demonstranten eingeritten
sind, und das war auch wirklich eine blutige, blutige Nacht… Ich kann das nur insofern
vergleichen, als sowohl am Anfang der Revolution als auch in den Tagen unmittelbar
nach dieser schlimmen Attacke bis hin zum 11. Februar die Menschen in einer ägyptischen
Gelassenheit demonstriert haben: Sie haben gewusst, der geht, der muss weggehen. Die
Regierung wird sich ändern. Es war bewegend zu sehen, wie liebevoll da demonstriert
wurde, sogar manchmal mit ägyptischem Humor versetzt. Ich kann mich gut an ein Schild
erinnern, auf dem stand: Mubarak, geh doch jetzt endlich, mein Arm wird müde! Der
Demonstrant konnte das Schild nicht mehr hochhalten.
Und dann die große Freude,
wie sie auch damals 1989 spürbar war – ich bin damals extra nach Berlin gefahren,
weil ich das einfach miterleben wollte, und hier bin ich jetzt auf den Tahrir gefahren
und habe da, um das locker zu sagen, die Party mitgefeiert!“
Gibt es eine
Bibelstelle, die Ihnen in der Zeit anders vorgekommen ist als sonst?
„Es
gibt so eine schöne Aussage – ich weiß allerdings gar nicht, ob das wahr ist – dass
in der Heiligen Schrift 365 mal vorkomme: Fürchte dich nicht! Dieses „Fürchte dich
nicht“ hat eine tiefere Bedeutung gewonnen, weil ich mir auch angeschaut habe, wie
die Menschen da auf dem Platz standen. Natürlich waren das fast alles Muslime, aber
vorher hatte immer eine riesengroße Furcht vor dem Staat bestanden – man hat nie etwas
über Mubarak sagen dürfen, und wenn die Polizei kam, hat man sich still verhalten,
war freundlich-zurückhaltend und dachte innerlich: Geh schnell weg, ich will mit dir
nichts zu tun haben, ich habe Angst! Und plötzlich: Fürchte dich nicht! Sie sind mit
strahlenden Gesichtern aufeinander zugegangen, auch auf die Restpolizei, die noch
da war; man hat die Soldaten, die dann mit Panzern kamen, freundlich winkend als Stabilisierungsfaktor
begrüßt, und dieses „Fürchte dich nicht“ hat in der Tat – das war eine wichtige Frage,
die Sie gerade gestellt haben – für mich eine neue Bedeutung gewonnen. Man braucht
keine Angst zu haben, denn wie man hier auf arabisch sagt: Rabbina maugut, Gott ist
da, der Herr ist da. Und dieser Spruch eint übrigens auch Muslime und Christen!“