2011-03-03 15:26:01

Ägypten: „Vieles könnte auch noch kippen“


RealAudioMP3 Der deutsche Seelsorger in Kairo, Monsignore Joachim Schroedel, ist optimistisch über den Fortgang der Revolution in Ägypten. Man spüre allenthalben, „dass wirklich eine neue Zeit begonnen hat“. Das sagte Schroedel an diesem Donnerstag im Gespräch mit Radio Vatikan. Allerdings frage er sich, ob das Militär wirklich bereit sei, von einigen seiner Privilegien zu lassen. Der Westen solle die Muslimbrüder nicht als „Schreckgestalt“ wahrnehmen; sie setzten sich „ja nicht aus irgendwelchen finsteren Gestalten zusammen“, sondern seien Ärzte, Architekten, Rechtsanwälte: „hochrenommierte Menschen“. Auf längere Sicht halte er es durchaus für möglich, dass der Religionswechsel in Ägypten nicht mehr für strafbar erklärt werde, so Schroedel. „Natürlich – es ist eine spannende Zeit, und vieles könnte unter Umständen auch noch kippen, das sage ich ganz ehrlich.“

Hier finden Sie den vollen Text des Interviews, das Stefan Kempis mit Msgr. Schroedel für die Sendung „Kreuzfeuer“ geführt hat.

Auf welchem Stand ist denn die ägyptische Revolution? Ist das Leben wieder fast wie vorher, fast wieder normal – oder gärt es weiter?

„Schöne Frage, ob es fast wieder normal ist! Ich würde darauf sagen: Hoffentlich wird es nicht wieder normal, so wie es vorher war – denn die Umwälzungen sind jetzt wirklich mit Händen zu greifen. Ich gebe Ihnen mal das Beispiel Presse: Die Presse hat sich um 180 Grad gewandelt, Sie können jetzt offenste Kritik lesen an der derzeitigen Militärregierung, Sie lesen die Forderungen, die die Jugend stellt.

Andererseits – ja, wir spüren einen Aufbruch und eine neue Normalität. Zur neuen Normalität gehört, dass man offen reden kann, und sehr viel Engagement von Jugendlichen. Auch da wieder ein ganz konkretes Beispiel: Kurz nach dem Rücktritt von Präsident Mubarak haben sich Jugendliche auch wieder über Facebook organisiert und ganze Straßenzüge gekehrt und sauber gemacht sowie die Randsteine neu bemalt, fast rührend zu sehen. Und wenn man dann gefragt hat, warum macht ihr das, dann haben sie gesagt: Das ist doch unser Ägypten, wir müssen uns doch engagieren! Sowas hat man vorher eigentlich gar nicht erwartet von einem „normalen“ Ägypter; man hat immer gedacht, naja, die warten halt ab, bis der Staat etwas macht, und wenn der Staat nichts macht, dann geschieht halt nichts. Aber nein, die jungen Leute zwischen 16 und 25 sind ganz, ganz engagiert dabei – und das zieht wiederum die Älteren mit. Auch hier – ich wohne ja etwas auf dem Lande – spürt man, dass wirklich eine neue Zeit begonnen hat.

Das Negative muss man natürlich auch sehen: Es gibt einige Fehlerquellen noch, zum Beispiel ist die Polizei noch nicht richtig da. Sie wurde ja vom Innenminister geleitet, da gab es sehr viel Korruption, und darum kann man sie nicht einfach wieder auf die Straßen schicken. Das bedeutet, wir haben leider eine etwas erhöhte Kriminalität, es gab sogar in letzter Zeit einige Raubüberfälle auf Autos. Das hat übrigens auch schon einige Deutsche getroffen. Da hoffen wir natürlich auf eine Normalität im guten Sinne!“

„Viele Christen sagen: Jetzt geht`s gegen uns“

Bei erhöhter Kriminalität könnte es natürlich auch wieder – wie in der Neujahrsnacht – zu Angriffen auf Kopten kommen. Der Innenminister unter Mubarak, den Sie eben erwähnt haben, wird in Presseberichten, die sich offenbar auf britische Geheimdienstinformationen stützen, mit dem Attentat von Alexandria, bei dem über zwanzig Kopten starben, in Verbindung gebracht. Wie ist da der Stand der Erkenntnisse?

„Ich denke, ab dem 15. März werden wir mehr wissen, denn an diesem Tag beginnt der Prozess gegen Habib el-Adli, den Innenminister, und die Gerüchte sind natürlich sehr, sehr groß, dass er hinter sehr vielem steckt. Zur Zeit, in der noch so vieles im Umbruch ist, ist natürlich die Gerüchteküche sehr aktiv, und man sollte alles mit sehr viel Vorsicht genießen. Ägypter erzählen auch gerne – ich sage das jetzt mal etwas locker – viele Geschichten, die spannend klingen, und das könnte jetzt natürlich auch eine Rolle spielen. Andererseits: Viele Muslime und Christen glauben, dass in der Tat wenigstens das Abziehen der Polizei vor dieser Kirche in Alexandria natürlich durch die höchsten Stellen initiiert war, also unter Umständen durch den Minister, um sozusagen dem Terror Raum zu geben. Die Sicherheitslage nach dem 25. Januar, also nach dem ersten Tag unserer neuen ägyptischen Revolution, war ja dann auch ganz schwierig, denn auf einen Schlag wurde die ganze Polizei abgezogen – „in Ferien geschickt“, wie das offiziell hieß. Drei Tage nach dem 25. Januar gab es keinen einzigen Polizisten mehr auf der Straße, und das war dann auch hart.

Okay – wir wissen nicht, wer dahintersteckt. Ich kann nur sagen: Was die Christen anbelangt, haben sie jetzt in der Regel gemischte Gefühle. Einige Bischöfe haben ja auch schon erklärt, sie sähen eine große Chance in der Revolution und hätten Hoffnung; sowohl Papst Shenuda III. hat das gesagt als auch der katholische Patriarch Naguib. Die normale christliche Bevölkerung ist aber noch immer sehr ängstlich, sicherlich beeinflusst durch die 15 Jahre andauernde Indoktrination, nach der es keine Alternative zu Mubarak gebe, es sei denn, die Muslimbrüder. In den letzten Tagen haben sich – aber wie immer – einige Attentate und schlimme Vorfälle ereignet in Ägypten, und dann kommen die Christen und sagen: Seht ihr, jetzt geht es los. Das habe ich wörtlich so gehört. Dann habe ich gesagt: Ja wieso, was geht denn los? Antwort: Ja, es war ja klar, wenn Mubarak nicht mehr da ist, dann geht`s gegen die Christen… Das ist eine sehr, sehr einseitige Sichtweise, und ich denke wirklich, es ist der Virus dieser Propaganda.

Im Effekt sieht man, dass die Muslimbrüder derzeit sehr, sehr zurückhaltend sind und (das war gerade vorgestern in den Medien) erklären, dass sie auch noch keine Partei gründen wollen, sondern dass sie mitarbeiten wollen an einem demokratischen Aufbau dieses Landes – was auch immer das dann bei einem Muslimbruder heißt. Aber jedenfalls, diese Schreckgestalt Muslimbruder, wie sie bei uns in Europa ankommt, existiert, glaube ich, in Ägypten nicht.“

Aber ist die Zurückhaltung der Muslimbrüder nicht auch etwas Taktisches? Man kann doch schon davon ausgehen, dass zwischen zwanzig und bis zu vierzig Prozent der Bevölkerung hinter ihnen steht. Wenn sie einmal an einer Regierung beteiligt sein sollten, und das könnte doch durchaus noch im Laufe dieses Jahres der Fall sein, wie sähe das denn dann für die Kopten aus? Haben die Kopten nicht recht, wenn sie sich fürchten?

„Ich denke, man sollte versuchen zu differenzieren und zunächst einmal fragen: Warum sind denn die Muslimbrüder so stark geworden in den letzten Jahren? Die Muslimbrüder haben das übernommen, was der Staat nicht leisten konnte, nämlich im sozialen Bereich und im Gesundheitsbereich aktiv zu werden. Sie haben also bei der Bevölkerung auch deswegen großen Anklang gefunden, weil sie geholfen haben, wo der Staat nicht einspringen konnte oder wollte. Und wer mir hilft, der ist mein Freund – den wähle ich auch.

„Muslimbrüder sind keine finsteren Gestalten“

Andererseits - wenn Sie einen durchschnittlichen Muslim fragen: Keiner sagt, oh ja, jetzt wäre doch mal wichtig, dass die Muslimbrüder drankommen. Dazu kommt ein Zweites: Die Muslimbrüder setzen sich ja nicht aus irgendwelchen finsteren Gestalten zusammen. Vielmehr sind das Ärzte, Architekten, Rechtsanwälte – hochrenommierte Menschen. Und die Forderung von dieser Gruppierung ist: Religion oder Gott soll in dieser Gesellschaft auch eine Rolle spielen. Aber auf die Frage, wollen wir einen Gottesstaat à la Iran, wird deutlich: Das wollen die Ägypter alle miteinander nicht. So glaube ich: Je später die Wahlen kommen, desto besser wäre das für den Aufbau eines demokratischen Systems; man spricht jetzt von etwa sechs Monaten, das würde bedeuten, Wahlen im August. Das ist schon kurz, denn es gibt ja außer den von staatlicher Seite erlaubten keine Parteien, die bilden sich ja gerade erst. Und die Muslimbrüder sollte man sehr genau im Auge behalten, aber sie sind nicht die Gefahr schlechthin.

Da würde ich eher jetzt noch eine gewisse Gefahr sehen, die von den Militärs ausgeht. Die Militärs hatten natürlich immer eine hervorragende Machtposition, haben sie aber nie richtig ausgespielt. Die Privilegien so peu à peu abzugeben, die das Militär hatte, fällt sicher nicht leicht. Also auch da: Aufpassen!“

Auch da aufpassen, nur bei den Muslimbrüdern nicht? Um das mal etwas pointiert zu sagen: Die Muslimbrüder werden mittlerweile fast als Mutter-Teresa-Schwestern dargestellt, dabei war es ein Muslimbruder, der den Friedensnobelpreisträger und Präsidenten Sadat ermordete, den Vorgänger Mubaraks. Haben die Kopten nicht mit Recht Angst vor Muslimbrüdern? Und sollten die Kopten vielleicht als Reaktion darauf eine politische Partei gründen?

„Ich habe in diesen Tagen auf dem Tahrir-Platz, wo ich fast täglich war, spüren dürfen, dass die jungen Leute nicht das eine System, nämlich das gewaltherrscherliche Mubaraks, durch religiöse Systeme ersetzt sehen wollen. Die sagen doch eher: Wir hätten gerne einen Staat, der sich an den westlichen Modellen orientiert. Manche – auch Muslime! – haben mir gesagt: Am liebsten wäre uns die Trennung zwischen „din“ und „daula“, also zwischen Staat und Religion. Aber das würde natürlich für den Islam die Quadratur des Kreises bedeuten…

Ich sehe nicht, dass man eine religiöse Partei gründen sollte: Das ist, glaube ich, nicht ganz im Sinne einer sich entwickelnden, ganz jungen Demokratie. Und ich sage noch einmal: Nachdem wir gehört haben, dass die Muslimbrüder nicht beabsichtigen, eine Partei zu gründen, sondern noch immer als einzelne Kandidaten zu agieren, solange ist da die Gefahr noch nicht so groß. Trotzdem: ganz genau hinschauen! Ich denke auch, man muss sehen, von wem genau unter den Muslimbrüdern man spricht. Da gibt es sehr, sehr liberale Vertreter, aber es gibt natürlich auch diejenigen, die letztlich viel mehr Religion in den Staat hineinhaben wollen. Ich könnte mir auch nicht vorstellen, dass etwa die Sharia noch eine breitere Bedeutung gewinnen könnte hier im Lande – andererseits aber auch nicht vorstellen, dass Paragraph 2 in der derzeitigen Situation geändert werden würde. Dieser Paragraph erklärt, dass die Sharia die Hauptquelle der Rechtsfindung sei. Natürlich – es ist eine spannende Zeit, und vieles könnte unter Umständen auch noch kippen, das sage ich ganz ehrlich.“

Später vielleicht Religionswechsel nicht mehr strafbar

Wenn der Artikel 2 der ägyptischen Verfassung nicht angetastet wird, dann würde das auch in einem neuen Ägypten bedeuten, dass z.B. der Übertritt vom Islam zum Christentum verboten und damit strafbar wäre. Ist nicht damit zu rechnen, dass sich da etwas ändert?

„Doch. Ich glaube, da können die Ägypter in typischer Weise nochmals differenzieren. Die Orientalen haben ja alle ihre Fähigkeit, zu sagen, das ist zwar die offizielle Version, dass die Sharia die Quelle der Rechtsfindung ist, aber wir hier in Ägypten sind ein modernes Land, und wir sehen vieles weiter differenziert. Ich glaube in der Tat bei dieser ganz konkreten Frage Übertritt von der einen Religion zur anderen: Da wird garantiert etwas passieren, wenn auch gegen einige Widerstände, und vor allem nicht innerhalb der ersten sechs Monate.

Man könnte natürlich sagen: Wenn nicht jetzt, wann dann? Aber wer sollte das tragen? Wir haben, wie gesagt, keine Parteien, die funktionabel sind: Man findet sich jetzt erst langsam zusammen, und ich denke, hier muss man durchatmen. Wahrscheinlich wird in wenigen Tagen ein erstes Referendum stattfinden über die Veränderung einiger Paragraphen in der Verfassung; die betreffen Fragen wie die Präsidentschaftskandidatur oder die Länge der Regentschaft eines Präsidenten etc.. – diese inhaltlich wichtigen Dinge muss man wahrscheinlich in einer zweiten Phase, wenn wieder ein richtiges Parlament da ist, angehen. Und ich glaube wirklich: Wenn freie Wahlen stattfinden, dann muss man auch Volkes Stimme akzeptieren. Ich erinnere mal a die Wahlen in Palästina vor einigen Jahren, als dann Hamas sehr viele Stimmen bekam und natürlich Amerika ganz verwundert sagte: So wollen wir das ja nicht…

Aber ich glaube, die Ägypter sind von anderem Schlage. Die Ägypter wollen jetzt nach dreißig Jahren mehr Freiheit haben, mehr Mitbestimmung und keine Knechtung unter was auch immer für Systemen, seien es religiöse oder andere weltanschauliche Systeme. Schauen Sie: Etwa die Hälfte der ägyptischen Bevölkerung ist unter 22 – das ist wirklich eine Riesengruppe. Die interessiert sich kaum mehr für spezifische religiöse Staatsformen, sondern für den Westen, die Modernität, Facebook – damit wollen sie leben.“

Sie haben in den letzten zwei Monaten eine Revolution wirklich hautnah miterlebt – wie war denn das, erzählen Sie mal!

„Wir fragten: Hattet ihr Angst vor den Schüssen?“

„Das war eine schwierige Situation! Das Ganze ging ja los am 25. Januar, und dieser Tag war die Initialzündung auch eines gewissen Exodus, denn in den Tagen darauf haben sehr viele Angehörige der Deutschen, die hier arbeiten, das Land verlassen, und auch jetzt noch. Wir hatten gestern Pastoralrats-Sitzung, und da haben wir festgestellt, dass viele unserer deutschen Gemeindemitglieder einfach noch nicht wieder da sind, manche sich sogar entschlossen haben, ganz wegzubleiben, weil sie einfach eine große Unsicherheit spüren und sagen, das hat keinen Sinn, mit Kindern etwa hierher ins Land zu kommen. Auch jetzt ist ja noch Revolutionszeit, das sollte man nicht verkennen! Es ist noch nicht alles at ease und ganz einfach und wieder normal, nein. Wir sind noch in einer Phase, die vielleicht nicht mehr so angespannt ist, aber doch eine Phase des Umbruchs.

Wir haben in der ersten Woche jeden Morgen die Menschen, die ja auch von Ausgangssperre etc. betroffen waren, morgens um neun Uhr gesammelt, haben die heilige Messe gefeiert und haben dann anschließend Kaffee getrunken und uns ausgetauscht: Wie war die Nacht? Habt ihr Angst gehabt vor den Schüssen? Denn überall waren in den ersten drei Wochen nachts Schüsse zu hören, ob Warnschüsse oder von wirklichen Gefechten. Gerade in den Stadtrandgebieten, wo ja Europäer eher leben, war es eine sehr, sehr schwierige Lage, nachdem dann die Polizei weg war. Wir mussten durch Telefonkette sehr viel Arbeit leisten, aber das wurde auch sehr gerne angenommen.

Es war dann für mich persönlich eine dramatische Situation, als ich am Sonntag vor dem Rücktritt des Präsidenten – bzw. vor der Erklärung, dass er zurückgetreten sei – die heilige Messe in der Innenstadt feierte, etwa dreihundert Meter vom Innenministerium entfernt. Über uns kreisten stets und ständig die Hubschrauber – also, dieses Geräusch kann man ja nicht abschalten, und es ist wirklich eine bedrohliche Sache. In dem Moment dachte ich auch: Wo bin ich jetzt eigentlich? Es war für die Deutschen dann eben immer gut, sich wieder um den Altar zu versammeln und zu sagen, der liebe Gott schützt uns schon.

Nach dem 11. Februar, dem Tag des Rücktritts, war dann eine große Freude spürbar. Wir haben dann mehrfach auf dem Tahrir-Platz zusammengestanden, und da kamen dann eben auch viele Deutsche, die hier ausgeharrt haben, und man umarmte sich und sagte: So, der erste Schritt wäre geschafft! Die Freiheit war wirklich mit Händen zu greifen. Für mich war das sozusagen die zweite Revolution nach 1989, als die Mauer gefallen ist – und vieles hat mich auch in bewegender Weise daran erinnert.“

Was hat Sie denn daran erinnert?

Mubarak, geh doch endlich, mein Arm wird müde!

„Zunächst einmal die Tatsache, dass sowohl 1989 als auch hier bei uns die Demonstrationen friedlich waren! Man hat natürlich vom Fernsehen her jetzt nur noch die Bilder der steinewerfenden Menschen in Erinnerung, oder die Bilder der Pferde und Kamele, die da mittelalterlich auf die friedlichen Demonstranten eingeritten sind, und das war auch wirklich eine blutige, blutige Nacht… Ich kann das nur insofern vergleichen, als sowohl am Anfang der Revolution als auch in den Tagen unmittelbar nach dieser schlimmen Attacke bis hin zum 11. Februar die Menschen in einer ägyptischen Gelassenheit demonstriert haben: Sie haben gewusst, der geht, der muss weggehen. Die Regierung wird sich ändern. Es war bewegend zu sehen, wie liebevoll da demonstriert wurde, sogar manchmal mit ägyptischem Humor versetzt. Ich kann mich gut an ein Schild erinnern, auf dem stand: Mubarak, geh doch jetzt endlich, mein Arm wird müde! Der Demonstrant konnte das Schild nicht mehr hochhalten.

Und dann die große Freude, wie sie auch damals 1989 spürbar war – ich bin damals extra nach Berlin gefahren, weil ich das einfach miterleben wollte, und hier bin ich jetzt auf den Tahrir gefahren und habe da, um das locker zu sagen, die Party mitgefeiert!“

Gibt es eine Bibelstelle, die Ihnen in der Zeit anders vorgekommen ist als sonst?

„Es gibt so eine schöne Aussage – ich weiß allerdings gar nicht, ob das wahr ist – dass in der Heiligen Schrift 365 mal vorkomme: Fürchte dich nicht! Dieses „Fürchte dich nicht“ hat eine tiefere Bedeutung gewonnen, weil ich mir auch angeschaut habe, wie die Menschen da auf dem Platz standen. Natürlich waren das fast alles Muslime, aber vorher hatte immer eine riesengroße Furcht vor dem Staat bestanden – man hat nie etwas über Mubarak sagen dürfen, und wenn die Polizei kam, hat man sich still verhalten, war freundlich-zurückhaltend und dachte innerlich: Geh schnell weg, ich will mit dir nichts zu tun haben, ich habe Angst! Und plötzlich: Fürchte dich nicht! Sie sind mit strahlenden Gesichtern aufeinander zugegangen, auch auf die Restpolizei, die noch da war; man hat die Soldaten, die dann mit Panzern kamen, freundlich winkend als Stabilisierungsfaktor begrüßt, und dieses „Fürchte dich nicht“ hat in der Tat – das war eine wichtige Frage, die Sie gerade gestellt haben – für mich eine neue Bedeutung gewonnen. Man braucht keine Angst zu haben, denn wie man hier auf arabisch sagt: Rabbina maugut, Gott ist da, der Herr ist da. Und dieser Spruch eint übrigens auch Muslime und Christen!“

(rv 03.03.2011 sk)








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