Pakistan: Mord am Minister, Anschlag auf den Dialog
Vier bewaffnete Attentäter
haben in der Hauptstadt Islamabad den einzigen christlichen Minister Pakistans ermordet.
Der 35-jährige Katholik Shahbaz Bhatti war der Minister für religiöse Minderheiten;
er wurde erschossen, als er von seinem Haus ins Büro aufbrach. Der Polizeichef erklärt,
Bhatti sei von zehn Kugeln getroffen worden. Wahrscheinlich musste er sterben, weil
er für eine Änderung des umstrittenen Blasphemiegesetzes eintrat. Aus demselben Grund
hatten Attentäter schon zu Jahresbeginn einen weiteren hochrangigen Politiker der
regierenden Volkspartei umgebracht, nämlich den Gouverneur der Punjab-Provinz. Nach
Angaben des pakistanischen Fernsehens wurden am Anschlagsort Flugblätter pakistanischer
Taliban gefunden. Ein pakistanischer Taliban-Führer bekannte sich in einem Telefonat
zu der Bluttat.
Bhatti stand auf Todesliste von Islam-Fanatikern
„Das
ist für uns eine sehr, sehr traurige Nachricht“, sagt uns der Generalvikar des Bistums
Islamabad-Rawalpindi in einer ersten Reaktion. „Wir sind tief bestürzt, und unser
Gefühl, nicht in Sicherheit zu sein, wird stärker. Die ganze christliche Gemeinschaft
ist betroffen und hofft darauf, dass die Regierung dazu imstande ist, uns mehr Sicherheit
zugarantieren.“ Immer wieder hatten in den letzten Monaten Islamisten Drohungen
gegen Bhatti ausgesprochen. Das Blasphemiegesetz, das der einzige Christ im pakistanischen
Kabinett bekämpfte, wird immer wieder von Radikalen gegen Angehörige der christlichen
Minderheit eingesetzt. Die Christin Asia Bibi sitzt wegen angeblicher Beleidigung
des Propheten Mohammed bzw. des Korans seit Sommer 2009 in der Todeszelle.
„Der
Blasphemie-Paragraph wird immer wieder von Fanatikern dazu missbraucht, weitere Gewalt
zu schüren.“ Das ist eine Archivaufnahme des ermordeten Ministers Bhatti – ein Interview,
das wir vor kurzem telefonisch mit ihm führten. „Aus meiner Sicht ist es völlig klar,
dass die Regierung den Paragraphen neu fassen muss. Klar ist aber auch, dass die Extremisten
völlig gegen jede Änderung dieses Gesetzes sind. Es gibt eine heftige Debatte in allen
Teilen der Gesellschaft, und wir müssen alles tun, damit die Extremisten nicht die
Oberhand im Land bekommen. Die Gründerväter sind deutlich für ein modernes, aufgeklärtes
Pakistan eingetreten, und diese Extremisten wollen ein destabilisiertes, archaisches
Land!“
Vatikan bestürzt über Bluttat
Der Sprecher des Papstes
hat den Mord an Bhatti scharf verurteilt. In einer Erklärung von diesem Mittwoch spricht
Jesuitenpater Federico Lombardi von „einer außerordentlich schwerwiegenden Gewalttat“.
Es zeige sich erneut, „wie recht der Papst mit seinen häufigen Wortmeldungen zum Thema
Gewalt gegen Christen und allgemein für die Religionsfreiheit hat“. Lombardi erinnert
daran, dass Benedikt XVI. Bhatti im vergangenen September im Vatikan zu einem Gespräch
empfangen hatte. Der Papst sei den „so sehr von Hass verfolgten Christen in Pakistan“
nahe und hoffe, „dass sich jetzt alle klar werden, wie dramatisch wichtig der Schutz
der Religionsfreiheit und der Schutz von Christen ist“. Benedikt XVI. hatte zu Jahresbeginn
vor Diplomaten ausdrücklich die Abschaffung des Blasphemie-Gesetzes in Pakistan gefordert.
Die Regierung in Islamabad hatte das mit scharfen Worten zurückgewiesen; Fundamentalisten
demonstrierten in mehreren pakistanischen Städten gegen den Papst.
Die pakistanischen
Bischöfe planen eine Krisensitzung. In einer Erklärung sprechen sie von einem „Klima
der Intoleranz“ im Land. Sie wollen überlegen, was sie tun können, „um dieses Thema
entschlossen anzugehen“. Von einem „schwarzen Tag für die Christen in Pakistan“ spricht
der zweiteVorsitzende der katholischen Bischofskonferenz des Landes, Bischof Joseph
Coutts von Faisalabad. Die Christen seien jetzt „nicht nur traurig, sondern auch wütend“.
Der Bischof wörtlich: „Wir müssen uns dringend etwas einfallen lassen, um uns allein
zu organisieren.“ Der Mord zeige ja, dass „noch nicht einmal ein Minister sicher ist“.
Die Regierung sei offenbar nicht in der Lage, den Fundamentalismus in Schranken zu
halten.
„Jetzt sollte EU handeln"
Die vatikanische Missions-Nachrichtenagentur
Fides fragt sich, „weshalb der Minister ohne Leibwache unterwegs war“. Pakistanische
Priester und Ordensschwestern bezeichneten den Minister bereist als „Märtyrer“. „Die
zur Sicherheit des Ministers abgestellten Kräfte waren zum Zeitpunkt der Ermordung
abgezogen worden“, erklärt die „Internationale Gesellschaft für Menschenrechte“. Der
Sekretär der bischöflichen Kommission für „Gerechtigkeit und Frieden“, Peter Jacob,
sagt: „Wir brauchen nun eine Zeit der Trauer - und danach werden wir überlegen, was
wir als Christen tun können... Wir fühlen uns angreifbar.“
Der italienische
Außenminister Franco Frattini war einer der ersten westlichen Politiker, die die Bluttat
von Islamabad verurteilten. Er fordert die Europäische Union auf, „sofort einen konkreten
Aktionsplan zum Schutz bedrohter christlicher Minderheiten in die Tat umzusetzen“.
Der Mord an Minister Shahbaz Bhatti richte sich gegen alle, „die eine Gesellschaft
auf Dialog und Toleranz gründen wollen und die an Menschen- und Minderheitenrechte
glauben“. Vor allem auf Betreiben Frattinis hatten die EU-Außenminister kürzlich die
Diskriminierung und Gewalt gegen Christen in mehreren Teilen der Welt beklagt und
zur Religionsfreiheit aufgerufen.
Hintergrund Bhatti war erst vor
kurzem als Minister für religiöse Minderheiten bei einer Regierungsumbildung im Amt
bestätigt worden. Er hatte dieses Amt seit 2008 inne. Er stammte ursprünglich aus
dem Dorf Khushpur in der Nähe von Faisalabad in Punjab, das auch als „der Vatikan
Pakistans“ bezeichnet wird und von Dominikaner Missionaren gegründet wurde. Viele
pakistanische Priester und Ordensleute kommen aus diesem Dorf.