2011-02-28 13:59:12

Wer hat Angst vor der Revolution?


RealAudioMP3 Umbruch in Nordafrika, Revolution in der arabischen Welt – sollten wir davor eher Angst haben, oder dürfen wir uns trotz aller Risiken darüber freuen? Ein Bischof aus Kairo hat darauf eine ganz klare Antwort: Er heißt François Eid, und für ihn ist es „ein Wunder“, was er in den letzten Wochen erlebt hat. Als maronitischer Bischof von Kairo hat Eid die Umwälzungen vom Tahrir-Platz aus nächster Nähe miterlebt. Jetzt hofft er im Interview mit uns, „dass sich nicht religiöse Parteien in den Änderungsprozess einklinken, um diese Revolution der Jugend für ihre Zwecke auszunutzen“.

„Auf jeden Fall ist der Wandel jetzt unwiderruflich! Den Jugendlichen, die ihn herbeigeführt haben, geht es um einen Staat für alle Bürger, egal zu welcher Kultur, Religion oder Volksgruppe sie gehören. Wir wissen, dass Länder wie Libyen oder der Jemen auf Stammesbasis funktionieren; die jungen Ägypter hingegen fühlen sich als Einwohner eines nationalen und globalen Dorfes, nicht als Angehörige von Stämmen.“

Aus dem Vatikan betont der Sprecher von Papst Benedikt, Jesuitenpater Federico Lombardi, dass am Südrand des Mittelmeers im Moment große Revolutionen im Gang seien. Die Jugendlichen, die auf Wandel drängen, verdienten unsere Unterstützung – unsere vor allem moralische Unterstützung.

„Der Westen wurde von diesen Ereignissen überrascht. Doch alle wissen, dass die Freiheit und Demokratie in den arabischen Ländern nur von ihnen selber kommen kann. Es darf keine externe Einmischung geben. Viele haben verständlicherweise Angst. Wir müssen aber unsere Hilfe anbieten, damit in Freundschaft und durch den Dialog ein tiefer Wandel stattfinden kann.”

Aus der Sicht des Vatikans und aus der Sicht von Pater Lombardi ist die Revolution auch ein indirekter Sieg der westlichen Werte: Europa sei ganz offensichtllich ein Vorbild für die Jugendlichen in Nordafrika und dem arabischen Raum; es gehe ihnen um Menschenrechte, Demokratie und Freiheit – Werte, für die der Westen immer gestanden habe.

„Dank den neuen Kommunikationsmitteln fühlen sich auch die arabischen Jugendlichen als Teil der internationalen Gemeinschaft. Wie immer beweist dies, dass neue Technologien auch neue Gefahren bergen, doch wenn man sie gut benützt, kann man viel Gutes hervorbringen.“

Ähnlich positiv äußert sich einer der wichtigsten Islam-Berater des Vatikans: Es ist der ägyptische Jesuit Samir Khalil Samir, Dozent für Islamwissenschaften in Beirut, Libanon. Samir spielte eine wichtige Rolle bei der Sondersynode, die es letzten Herbst im Vatikan zum Thema Nahost gab – und er gehört zu denen, die jetzt das päpstliche Schlußdokument der Synode verfassen.

„Die arabische Welt erlebt gerade ihren arabischen Frühling: Es gibt überall einen gemeinsamen Nenner. Die Menschen sind die Regierungen oder Republiken leid, die seit Jahrzehnten andauern und der Demokratie, der Freiheit und Gleichheit keinen Platz lassen. Vor allem sind sie auch die wirtschaftliche und soziale Situation leid, mit der sehr viele Menschen unzufrieden waren. Und das steht in Kontrast zu den Regierenden, die sich bereichern und alle Möglichkeiten haben. Dies ist eine Bewegung, die sich jetzt nicht mehr aufhalten lässt.“

Man könne die Situation in Nordafrika mit dem vergleichen, was sich in den 80er Jahren in den Ostblockstaaten bis hin zur so genannten „Wende“ abgespielt habe, sagt Samir. Allerdings gebe es auch einen entscheidenden Unterschied:

„In diesen Ländern fehlt eine neue Führung. Die Angst, die den Westen umtreibt, ist doch die: Wer wird der neue Anführer der Bewegung? Werden es die muslimischen Extremisten? Ich glaube nicht, dass das möglich ist. Denn diese Bewegung ist gegen alles, was die Demokratie erschwert. 90 Prozent der Menschen werden sagen, dass sie Muslime sind. Aber deswegen möchten sie noch lange nicht so sein wie die extremistischen Gruppierungen. Die Menschen möchten vielmehr sagen: Jeder soll seinem Gewissen folgen.“

Deutlich skeptischer als Pater Samir ist ein anderer wichtiger Nahostexperte des Vatikans: Kapuzinerpater David Jaeger. Aus seiner Sicht bergen die aktuellen Aufstände in Nordafrika konkrete Gefahren. So sei bei den Kundgebungen der Kopten vor einer Woche in Kairo vor allem die Gruppe der Moslembrüder aufgefallen. Diese wolle aus seiner Sicht einen islamischen Staat einführen, so der Kapuzinerpater.

„Es gibt aber kein Land, das einen theokratischen Staat will , wie es die Moslembrüder wollen. Für solche Projekte fehlt derzeit eine Mehrheit der Bürger, die das ebenfalls möchte. Das war auch 1979 im Iran so. Damals wollte das Volk den Schah umstürzen,aber nicht unbedingt einen islamischen Staat einführen. Khomeini gelang es aber damals, die Situation zu seinen Gunsten auszunützen.“

Pater Jaeger ist deshalb besorgt, dass islamistische Gruppen – ähnlich wie Khomeini im Iran – ebenfalls die derzeitige Lage für ihre Zwecke ausnützen könnten.

„Damit das aber in Ägypten nicht geschieht, muss eine islamische Bewegung entstehen, die sich ganz klar für einen säkularen und demokratischen Staat einsetzt. Wenn es keine Alternative zu den islamistischen Fundamentalisten gibt, dann wird das Volk keine Wahl haben. Und das hätte verheerende Konsequenzen!“

Mit Besorgnis schaut man im Vatikan natürlich vor allem auf Libyen: Die Vatikanzeitung L`Osservatore Romano verurteilt es in diesen Tagen auf Seite eins, wie Gaddafi gegen sein eigenes Volk vorgeht. „Gaddafi gnadenlos“ heißt eine Schlagzeile. Vatikan-Erzbischof Silvano Maria Tomasi ist Beobachter beim UNO-Menschenrechtsrat in Genf – er wünscht sich eine internationale Mission, die in Libyen vor Ort die Lage in Augenschein nehmen und weitere Menschenrechtsverletzungen verhindern sollte.

„Diese Demonstrationen drücken den Willen des Volkes aus, aktiv und demokratisch an der Gestaltung des Landes teilzuhaben. Der Heilige Stuhl ist empört und bestürzt über die zahllosen Opfer dieser libyschen Krise. Er versucht auch zu verstehen, was die internationale Gemeinschaft für die Bürger Libyens effektiv tun könnte. Außerdem geht es ihm darum, einem Massen-Exodus vorzubeugen. Ein solcher könnte unvermeidlich sein, wenn man für diese Krise keine einvernehmliche Lösung findet.“

Die Päpstliche Nuntiatur in Libyen bekräftigt, alle im Land tätigen Ordensleute wollten vor Ort „an der Seite der Leidenden bleiben“ und nicht evakuiert werden. Die ausländischen Ordensfrauen, die in den apostolischen Vikariaten von Tripolis und Bengasi arbeiten, stünden „weiterhin voll im Dienst an der Bevölkerung“. Die meisten der 16 Frauenorden seien in Krankenhäusern tätig; auch die 15 Priester und zwei Bischöfe in Libyen wollten jetzt nicht das Land verlassen, sondern „ihre Mission fortsetzen“. Erzbischof Tommaso Caputo schätzt, dass in dem Krisenland rund 100.000 Katholiken leben. Fast alle sind Ausländer – Manager auf Ölfeldern oder Gastarbeiter aus afrikanischen oder asiatischen Ländern.

(rv 28.02.2011 sk)








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