Umbruch in Nordafrika,
Revolution in der arabischen Welt – sollten wir davor eher Angst haben, oder dürfen
wir uns trotz aller Risiken darüber freuen? Ein Bischof aus Kairo hat darauf eine
ganz klare Antwort: Er heißt François Eid, und für ihn ist es „ein Wunder“, was er
in den letzten Wochen erlebt hat. Als maronitischer Bischof von Kairo hat Eid die
Umwälzungen vom Tahrir-Platz aus nächster Nähe miterlebt. Jetzt hofft er im Interview
mit uns, „dass sich nicht religiöse Parteien in den Änderungsprozess einklinken, um
diese Revolution der Jugend für ihre Zwecke auszunutzen“.
„Auf jeden Fall
ist der Wandel jetzt unwiderruflich! Den Jugendlichen, die ihn herbeigeführt haben,
geht es um einen Staat für alle Bürger, egal zu welcher Kultur, Religion oder Volksgruppe
sie gehören. Wir wissen, dass Länder wie Libyen oder der Jemen auf Stammesbasis funktionieren;
die jungen Ägypter hingegen fühlen sich als Einwohner eines nationalen und globalen
Dorfes, nicht als Angehörige von Stämmen.“
Aus dem Vatikan betont der
Sprecher von Papst Benedikt, Jesuitenpater Federico Lombardi, dass am Südrand des
Mittelmeers im Moment große Revolutionen im Gang seien. Die Jugendlichen, die auf
Wandel drängen, verdienten unsere Unterstützung – unsere vor allem moralische Unterstützung.
„Der Westen wurde von diesen Ereignissen überrascht. Doch alle wissen,
dass die Freiheit und Demokratie in den arabischen Ländern nur von ihnen selber kommen
kann. Es darf keine externe Einmischung geben. Viele haben verständlicherweise Angst.
Wir müssen aber unsere Hilfe anbieten, damit in Freundschaft und durch den Dialog
ein tiefer Wandel stattfinden kann.”
Aus der Sicht des Vatikans und aus
der Sicht von Pater Lombardi ist die Revolution auch ein indirekter Sieg der westlichen
Werte: Europa sei ganz offensichtllich ein Vorbild für die Jugendlichen in Nordafrika
und dem arabischen Raum; es gehe ihnen um Menschenrechte, Demokratie und Freiheit
– Werte, für die der Westen immer gestanden habe.
„Dank den neuen Kommunikationsmitteln
fühlen sich auch die arabischen Jugendlichen als Teil der internationalen Gemeinschaft.
Wie immer beweist dies, dass neue Technologien auch neue Gefahren bergen, doch wenn
man sie gut benützt, kann man viel Gutes hervorbringen.“
Ähnlich positiv
äußert sich einer der wichtigsten Islam-Berater des Vatikans: Es ist der ägyptische
Jesuit Samir Khalil Samir, Dozent für Islamwissenschaften in Beirut, Libanon. Samir
spielte eine wichtige Rolle bei der Sondersynode, die es letzten Herbst im Vatikan
zum Thema Nahost gab – und er gehört zu denen, die jetzt das päpstliche Schlußdokument
der Synode verfassen.
„Die arabische Welt erlebt gerade ihren arabischen
Frühling: Es gibt überall einen gemeinsamen Nenner. Die Menschen sind die Regierungen
oder Republiken leid, die seit Jahrzehnten andauern und der Demokratie, der Freiheit
und Gleichheit keinen Platz lassen. Vor allem sind sie auch die wirtschaftliche und
soziale Situation leid, mit der sehr viele Menschen unzufrieden waren. Und das steht
in Kontrast zu den Regierenden, die sich bereichern und alle Möglichkeiten haben.
Dies ist eine Bewegung, die sich jetzt nicht mehr aufhalten lässt.“
Man
könne die Situation in Nordafrika mit dem vergleichen, was sich in den 80er Jahren
in den Ostblockstaaten bis hin zur so genannten „Wende“ abgespielt habe, sagt Samir.
Allerdings gebe es auch einen entscheidenden Unterschied:
„In diesen Ländern
fehlt eine neue Führung. Die Angst, die den Westen umtreibt, ist doch die: Wer wird
der neue Anführer der Bewegung? Werden es die muslimischen Extremisten? Ich glaube
nicht, dass das möglich ist. Denn diese Bewegung ist gegen alles, was die Demokratie
erschwert. 90 Prozent der Menschen werden sagen, dass sie Muslime sind. Aber deswegen
möchten sie noch lange nicht so sein wie die extremistischen Gruppierungen. Die Menschen
möchten vielmehr sagen: Jeder soll seinem Gewissen folgen.“
Deutlich skeptischer
als Pater Samir ist ein anderer wichtiger Nahostexperte des Vatikans: Kapuzinerpater
David Jaeger. Aus seiner Sicht bergen die aktuellen Aufstände in Nordafrika konkrete
Gefahren. So sei bei den Kundgebungen der Kopten vor einer Woche in Kairo vor allem
die Gruppe der Moslembrüder aufgefallen. Diese wolle aus seiner Sicht einen islamischen
Staat einführen, so der Kapuzinerpater.
„Es gibt aber kein Land, das einen
theokratischen Staat will , wie es die Moslembrüder wollen. Für solche Projekte fehlt
derzeit eine Mehrheit der Bürger, die das ebenfalls möchte. Das war auch 1979 im Iran
so. Damals wollte das Volk den Schah umstürzen,aber nicht unbedingt einen islamischen
Staat einführen. Khomeini gelang es aber damals, die Situation zu seinen Gunsten auszunützen.“
Pater
Jaeger ist deshalb besorgt, dass islamistische Gruppen – ähnlich wie Khomeini im Iran
– ebenfalls die derzeitige Lage für ihre Zwecke ausnützen könnten.
„Damit
das aber in Ägypten nicht geschieht, muss eine islamische Bewegung entstehen, die
sich ganz klar für einen säkularen und demokratischen Staat einsetzt. Wenn es keine
Alternative zu den islamistischen Fundamentalisten gibt, dann wird das Volk keine
Wahl haben. Und das hätte verheerende Konsequenzen!“
Mit Besorgnis schaut
man im Vatikan natürlich vor allem auf Libyen: Die Vatikanzeitung L`Osservatore Romano
verurteilt es in diesen Tagen auf Seite eins, wie Gaddafi gegen sein eigenes Volk
vorgeht. „Gaddafi gnadenlos“ heißt eine Schlagzeile. Vatikan-Erzbischof Silvano Maria
Tomasi ist Beobachter beim UNO-Menschenrechtsrat in Genf – er wünscht sich eine internationale
Mission, die in Libyen vor Ort die Lage in Augenschein nehmen und weitere Menschenrechtsverletzungen
verhindern sollte.
„Diese Demonstrationen drücken den Willen des Volkes
aus, aktiv und demokratisch an der Gestaltung des Landes teilzuhaben. Der Heilige
Stuhl ist empört und bestürzt über die zahllosen Opfer dieser libyschen Krise. Er
versucht auch zu verstehen, was die internationale Gemeinschaft für die Bürger Libyens
effektiv tun könnte. Außerdem geht es ihm darum, einem Massen-Exodus vorzubeugen.
Ein solcher könnte unvermeidlich sein, wenn man für diese Krise keine einvernehmliche
Lösung findet.“
Die Päpstliche Nuntiatur in Libyen bekräftigt, alle im
Land tätigen Ordensleute wollten vor Ort „an der Seite der Leidenden bleiben“ und
nicht evakuiert werden. Die ausländischen Ordensfrauen, die in den apostolischen Vikariaten
von Tripolis und Bengasi arbeiten, stünden „weiterhin voll im Dienst an der Bevölkerung“.
Die meisten der 16 Frauenorden seien in Krankenhäusern tätig; auch die 15 Priester
und zwei Bischöfe in Libyen wollten jetzt nicht das Land verlassen, sondern „ihre
Mission fortsetzen“. Erzbischof Tommaso Caputo schätzt, dass in dem Krisenland rund
100.000 Katholiken leben. Fast alle sind Ausländer – Manager auf Ölfeldern oder Gastarbeiter
aus afrikanischen oder asiatischen Ländern.