2011-02-25 16:27:32

Italien/D: Kirche, Kunst und Kirchensteuer


Gibt es einen Zusammenhang zwischen dem Kirchensteuersystem eines Landes und der Qualität der Kirchenmusik? Natürlich, würde man sagen, denn professionelle Kirchenmusiker wollen auch bezahlt werden. Allerdings spielen auch kulturelle Faktoren eine ganz wesentliche Rolle. Ein Ländervergleich:

RealAudioMP3 Zwischengesang ohne Musik. In Italien ist das der Standard. Wenn überhaupt ein Instrument im Gottesdienst erklingt, ist es meist eine Gitarre oder ein Keyboard. Die wenigsten italienischen Pfarreien leisten sich einen Organisten: Nach Angaben der Erzdiözese Rom gibt es in der ewigen Stadt nur knapp 30 Titularorganisten – Organisten also, die einer Kirche oder Pfarrei fest zugeordnet sind: Zum Vergleich: In der Stadt München, die ebenfalls traditionell katholisch geprägt ist, aber nur halb so viele Einwohner hat, sind es etwa 80 - nicht gezählt die vielen nebenberuflichen Organisten.

Orgelmusik ist teuer. Nicht nur die Anstellung eines Organisten verlangt einer Pfarrei viel Geld ab, sondern zunächst einmal der Kauf des wuchtigen Instruments. Viele italienische Pfarreien leisten sich keine Orgel, weil sie wissen, dass sie sich keinen Organisten leisten können. Denn nach italienischem Kirchensteuersystem müssen die Gemeinden für solche „Kulturausgaben“ selbst aufkommen. Lediglich um die Kirchengebäude sowie die Priestergehälter kümmern sich die Diözesen.

Giandomenico Piermarini ist Titularorganist der römischen Lateranbasilika. Er meint:

„Vor allem in kleineren Kirchen ist das so, wo die Pfarreien sich mit vielen wirtschaftlichen Problemen herumschlagen. Ich verstehe, dass da die Orgel eher zu den kritischen Ausgaben gehört. Wenn ein Pfarrer, der 100 Arme hat, die ihn um Hilfe bitten, vor der Entscheidung steht: Gebe ich denen zu Essen oder lasse ich eine Orgel bauen, dann ist doch klar, dass er sich eher für die pastorale Aktivität entscheidet.“

Dennoch: Die Qualität und Quantität der Kirchenmusik hängt nicht nur vom Kirchensteuersystem eines Landes ab. Bestes Beispiel dafür ist Frankreich. Hier sind Kirche und Staat seit 1905 voneinander getrennt. Die Kirche finanziert sich faktisch nur aus den freiwilligen Spenden der Gläubigen. Trotzdem hat kaum ein anderes Land im 20. Jahrhundert so viele renommierte Kirchenmusiker hervorgebracht. Noch heute sind amtierende Organisten von Pariser Kirchen international angesehene Orgelstars. Oivier Cagny achtet darauf, dass das auch so bleibt. Er ist zuständig für die Besetzung der Organistenstellen in der Pariser Erzdiözese:

„Ich wähle eine Jury aus und dann organisieren wir ein bis zweimal im Jahr ein Auswahlverfahren für Organisten. Dabei gibt es drei Stufen: Zunächst überprüfen wir in einem Gespräch, ob der Organist eine gute Kenntnis der Liturgie hat. Dann gibt es eine musikalische Prüfung. Da muss der Organist in einer ersten Runde improvisieren und Gesang begleiten. Die zweite Runde besteht aus einer Interpretationsprüfung, das heißt, er muss Musikstücke vorspielen: drei Stücke geben wir vor und das vierte darf er selbst auswählen. Wenn er alle Stufen des Auswahlverfahrens bestanden hat, dann bekommt er eine Berufsurkunde und darf von den Pariser Pfarreien angestellt werden.“

Der Andrang junger Organisten auf die Pariser Organistenstellen ist hoch. Bis zu fünfzig exzellent ausgebildete Kandidaten würden sich auf einen vakanten Posten bewerben, sagt Cagny. Und das, obwohl der Job so schlecht bezahlt ist, dass niemand davon leben kann.

„Ich glaube, das liegt an unserer Geschichte. Es gibt renommierte Orgelschulen in Frankreich und es gibt große Komponisten, die die Orgelgeschichte Frankreichs geprägt haben – und zwar kontinuierlich, da gibt es kaum Unterbrechungen. Besonders in Paris gibt es diese Tradition der Orgeltribüne und der großen Organisten und Komponisten. Die jungen Leute wissen das. Sie wissen, dass sie in dieser Geschichte einen Platz einnehmen können.“

Vincent Warnier ist einer von diesen jungen Organisten. Mit weniger als 30 Jahren ergatterte er seinen jetzigen Posten als Titularorganist in der Kirche St. Etienne Du Mont, direkt neben dem Pariser Pantheon auf dem Genoveva-Hügel. Dort ist er Nachfolger von Maurice Duruflé, einem bekannten Organisten und Komponisten des 20. Jahrhunderts.

„Man fühlt sich wie ein Erbe dieser großen Persönlichkeiten. Diese Kirche, St. Etienne du Mont, ist natürlich vom Geist Maurice Duruflés geprägt. Aber auch von dem seiner Frau, Marie-Madelaine Duruflé, die auch eine große Organistin war und die ich sogar selbst noch kennengelernt habe – und sie hat mir auch ihr Wissen vermittelt. Und ich fühle mich also wie ein Erbe all dessen und dazu gerufen, fortzufahren, dieses Instrument zum Strahlen zu bringen aber auch die französische Musik, die Orgelmusik im Allgemeinen.“

Etwa 45 Euro brutto bekommt Warnier für die Begleitung eines Gottesdienstes. Der Satz ist von der Erzdiözese tariflich festgelegt und gilt für alle Organisten in der Région Parisienne. Trotz dieses geringen Satzes ist das Privileg, einen gut ausgebildeten Organisten anzustellen, nur etwa der Hälfte aller Pfarreien in der Erzdiözese Paris vorbehalten. Alain le Saux ist katholischer Pfarrer in der östlichen Pariser Banlieue und leitet dort einen Pfarrverband, zu dem acht Kirchen gehören:

„Das waren hier früher kleine Dorfkirchen, natürlich mit wenigen finanziellen Mitteln. Und deshalb gibt es in keiner der Kirchen eine Orgel. Heute ist die Bevölkerung zwar gewachsen, aber das Geld für eine Orgel haben wir trotzdem nicht. Und während des Gottesdienstes gibt es entweder gar keine Musik, nur eine Person, die vorsingt, aber a capella, ohne Begleitung. Und manchmal machen einige der Gemeindemitglieder Musik, mit der Querflöte oder mit der Gitarre, vor allem bei größeren Anlässen. Bei Hochzeiten und Beerdigungen kommt die Musik dann meist aus der Konserve, CDs, die die Familien mitbringen. Musiker kommen da nur sehr selten.“

Leidet die Spiritualität unter solchen Zuständen, wie sie ähnlich auch in Italien herrschen? Le Saux sieht darin jedenfalls nicht nur Nachteile.

„Ich glaube, der kleine Vorteil ist, dass die Situation uns zwingt, sich zu organisieren. Die Leute raffen sich auf und sagen, komm, wir treffen uns und machen ein bisschen Musik. Das verbindet die Freiwilligen, sie sind für die Funktion der Gemeinde zuständig. Man kann sich nicht auf einem Profi ausruhen, sondern jeder fühlt sich ein bisschen verantwortlich.“

Einen anderen Blickwinkel nimmt der Kirchenmusiker Robert Scheingraber ein. Der Einsatz von Freiwilligen ist nicht falsch, sagt er und notfalls darf auch neue geistliche Gitarrenmusik gespielt werden, aber:

„Ich denke, wenn man Kirchenmusik macht und jeden Sonntag Gottesdienst feiert – und man feiert ja nicht irgendetwas, man feiert ja nicht sich selber – sondern man feiert das höchste Sein, das was wir Gott bezeichnen – dann muss auch das Instrumentarium der Musik das höchste an Qualität haben, was uns nur zur Verfügung stehen kann. Und da habe ich halt hin und wieder bei dem neuen geistlichen Liedgut schon meine Probleme.“

Scheingraber ist Organist und Chorleiter in der Münchner Gemeinde St. Anna. Wie in Deutschland üblich, hat er eine unbefristete Festanstellung in der Pfarrei. Das ist möglich dank eines Kirchensteuersystems, das die Gläubigen zu einer Abgabe verpflichtet, die bei 8 bis 9 Prozent der Einkommenssteuer liegt. Doch mit höheren Kirchenaustrittszahlen gehen auch hier die kirchlichen Einnahmen zurück. Dazu Scheingraber:

„Ich sehe natürlich, dass auch die katholische Kirche einem gewissen Sparzwang unterliegt. Das hat natürlich zur Folge, dass auch Kirchenmusiketats gekürzt werden müssen. Und dass die Gestaltung der Liturgie auch Sparzwängen unterworfen ist. Wenn man also professionelle Kirchenmusiker an die Kirche binden will, ist das nicht mehr so einfach. Und wie das in 20, 30 oder 50 Jahren ausschauen wir – da wage ich keine Prognose.“

Deutschland hat eine starke kirchenmusikalische Tradition. Es ist daher - wie in Frankreich - unwahrscheinlich, dass die Orgelmusik aus finanziellen Gründen ganz zum Erliegen kommt. Wahrscheinlich ist aber, dass zumindest die Organisten sich breiter aufstellen werden müssen.
So ähnlich, wie es heute schon der französische Organist Vincent Warnier macht:

„Man kann in Frankreich nicht vom Orgelberuf allein leben. Da müsste man schon drei bis vier Messen pro Tag spielen, um über die Runden zu kommen. Deshalb haben wir alle noch andere Berufe. Wir unterrichten an der Schule, am Konservatorium oder an der Universität und wir spielen Konzerte. Ich pflege immer zu sagen, dass ich drei Berufe habe: Ich bin Organist in der Pfarrei, Musikprofessor und Konzertorganist.“

(rv 25.02.2011 ag)








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