Gibt es einen Zusammenhang zwischen dem Kirchensteuersystem eines Landes und der Qualität
der Kirchenmusik? Natürlich, würde man sagen, denn professionelle Kirchenmusiker wollen
auch bezahlt werden. Allerdings spielen auch kulturelle Faktoren eine ganz wesentliche
Rolle. Ein Ländervergleich:
Zwischengesang ohne
Musik. In Italien ist das der Standard. Wenn überhaupt ein Instrument im Gottesdienst
erklingt, ist es meist eine Gitarre oder ein Keyboard. Die wenigsten italienischen
Pfarreien leisten sich einen Organisten: Nach Angaben der Erzdiözese Rom gibt es in
der ewigen Stadt nur knapp 30 Titularorganisten – Organisten also, die einer Kirche
oder Pfarrei fest zugeordnet sind: Zum Vergleich: In der Stadt München, die ebenfalls
traditionell katholisch geprägt ist, aber nur halb so viele Einwohner hat, sind es
etwa 80 - nicht gezählt die vielen nebenberuflichen Organisten.
Orgelmusik
ist teuer. Nicht nur die Anstellung eines Organisten verlangt einer Pfarrei viel Geld
ab, sondern zunächst einmal der Kauf des wuchtigen Instruments. Viele italienische
Pfarreien leisten sich keine Orgel, weil sie wissen, dass sie sich keinen Organisten
leisten können. Denn nach italienischem Kirchensteuersystem müssen die Gemeinden für
solche „Kulturausgaben“ selbst aufkommen. Lediglich um die Kirchengebäude sowie die
Priestergehälter kümmern sich die Diözesen.
Giandomenico Piermarini ist Titularorganist
der römischen Lateranbasilika. Er meint:
„Vor allem in kleineren Kirchen
ist das so, wo die Pfarreien sich mit vielen wirtschaftlichen Problemen herumschlagen.
Ich verstehe, dass da die Orgel eher zu den kritischen Ausgaben gehört. Wenn ein
Pfarrer, der 100 Arme hat, die ihn um Hilfe bitten, vor der Entscheidung steht: Gebe
ich denen zu Essen oder lasse ich eine Orgel bauen, dann ist doch klar, dass er sich
eher für die pastorale Aktivität entscheidet.“
Dennoch: Die Qualität und
Quantität der Kirchenmusik hängt nicht nur vom Kirchensteuersystem eines Landes ab.
Bestes Beispiel dafür ist Frankreich. Hier sind Kirche und Staat seit 1905 voneinander
getrennt. Die Kirche finanziert sich faktisch nur aus den freiwilligen Spenden der
Gläubigen. Trotzdem hat kaum ein anderes Land im 20. Jahrhundert so viele renommierte
Kirchenmusiker hervorgebracht. Noch heute sind amtierende Organisten von Pariser Kirchen
international angesehene Orgelstars. Oivier Cagny achtet darauf, dass das auch so
bleibt. Er ist zuständig für die Besetzung der Organistenstellen in der Pariser Erzdiözese:
„Ich
wähle eine Jury aus und dann organisieren wir ein bis zweimal im Jahr ein Auswahlverfahren
für Organisten. Dabei gibt es drei Stufen: Zunächst überprüfen wir in einem Gespräch,
ob der Organist eine gute Kenntnis der Liturgie hat. Dann gibt es eine musikalische
Prüfung. Da muss der Organist in einer ersten Runde improvisieren und Gesang begleiten.
Die zweite Runde besteht aus einer Interpretationsprüfung, das heißt, er muss Musikstücke
vorspielen: drei Stücke geben wir vor und das vierte darf er selbst auswählen. Wenn
er alle Stufen des Auswahlverfahrens bestanden hat, dann bekommt er eine Berufsurkunde
und darf von den Pariser Pfarreien angestellt werden.“
Der Andrang junger
Organisten auf die Pariser Organistenstellen ist hoch. Bis zu fünfzig exzellent ausgebildete
Kandidaten würden sich auf einen vakanten Posten bewerben, sagt Cagny. Und das, obwohl
der Job so schlecht bezahlt ist, dass niemand davon leben kann.
„Ich glaube,
das liegt an unserer Geschichte. Es gibt renommierte Orgelschulen in Frankreich und
es gibt große Komponisten, die die Orgelgeschichte Frankreichs geprägt haben – und
zwar kontinuierlich, da gibt es kaum Unterbrechungen. Besonders in Paris gibt es diese
Tradition der Orgeltribüne und der großen Organisten und Komponisten. Die jungen Leute
wissen das. Sie wissen, dass sie in dieser Geschichte einen Platz einnehmen können.“
Vincent
Warnier ist einer von diesen jungen Organisten. Mit weniger als 30 Jahren ergatterte
er seinen jetzigen Posten als Titularorganist in der Kirche St. Etienne Du Mont, direkt
neben dem Pariser Pantheon auf dem Genoveva-Hügel. Dort ist er Nachfolger von Maurice
Duruflé, einem bekannten Organisten und Komponisten des 20. Jahrhunderts.
„Man
fühlt sich wie ein Erbe dieser großen Persönlichkeiten. Diese Kirche, St. Etienne
du Mont, ist natürlich vom Geist Maurice Duruflés geprägt. Aber auch von dem seiner
Frau, Marie-Madelaine Duruflé, die auch eine große Organistin war und die ich sogar
selbst noch kennengelernt habe – und sie hat mir auch ihr Wissen vermittelt. Und ich
fühle mich also wie ein Erbe all dessen und dazu gerufen, fortzufahren, dieses Instrument
zum Strahlen zu bringen aber auch die französische Musik, die Orgelmusik im Allgemeinen.“
Etwa
45 Euro brutto bekommt Warnier für die Begleitung eines Gottesdienstes. Der Satz ist
von der Erzdiözese tariflich festgelegt und gilt für alle Organisten in der Région
Parisienne. Trotz dieses geringen Satzes ist das Privileg, einen gut ausgebildeten
Organisten anzustellen, nur etwa der Hälfte aller Pfarreien in der Erzdiözese Paris
vorbehalten. Alain le Saux ist katholischer Pfarrer in der östlichen Pariser Banlieue
und leitet dort einen Pfarrverband, zu dem acht Kirchen gehören:
„Das waren
hier früher kleine Dorfkirchen, natürlich mit wenigen finanziellen Mitteln. Und deshalb
gibt es in keiner der Kirchen eine Orgel. Heute ist die Bevölkerung zwar gewachsen,
aber das Geld für eine Orgel haben wir trotzdem nicht. Und während des Gottesdienstes
gibt es entweder gar keine Musik, nur eine Person, die vorsingt, aber a capella, ohne
Begleitung. Und manchmal machen einige der Gemeindemitglieder Musik, mit der Querflöte
oder mit der Gitarre, vor allem bei größeren Anlässen. Bei Hochzeiten und Beerdigungen
kommt die Musik dann meist aus der Konserve, CDs, die die Familien mitbringen. Musiker
kommen da nur sehr selten.“
Leidet die Spiritualität unter solchen Zuständen,
wie sie ähnlich auch in Italien herrschen? Le Saux sieht darin jedenfalls nicht nur
Nachteile.
„Ich glaube, der kleine Vorteil ist, dass die Situation uns
zwingt, sich zu organisieren. Die Leute raffen sich auf und sagen, komm, wir treffen
uns und machen ein bisschen Musik. Das verbindet die Freiwilligen, sie sind für die
Funktion der Gemeinde zuständig. Man kann sich nicht auf einem Profi ausruhen, sondern
jeder fühlt sich ein bisschen verantwortlich.“
Einen anderen Blickwinkel
nimmt der Kirchenmusiker Robert Scheingraber ein. Der Einsatz von Freiwilligen ist
nicht falsch, sagt er und notfalls darf auch neue geistliche Gitarrenmusik gespielt
werden, aber:
„Ich denke, wenn man Kirchenmusik macht und jeden Sonntag
Gottesdienst feiert – und man feiert ja nicht irgendetwas, man feiert ja nicht sich
selber – sondern man feiert das höchste Sein, das was wir Gott bezeichnen – dann muss
auch das Instrumentarium der Musik das höchste an Qualität haben, was uns nur zur
Verfügung stehen kann. Und da habe ich halt hin und wieder bei dem neuen geistlichen
Liedgut schon meine Probleme.“
Scheingraber ist Organist und Chorleiter
in der Münchner Gemeinde St. Anna. Wie in Deutschland üblich, hat er eine unbefristete
Festanstellung in der Pfarrei. Das ist möglich dank eines Kirchensteuersystems, das
die Gläubigen zu einer Abgabe verpflichtet, die bei 8 bis 9 Prozent der Einkommenssteuer
liegt. Doch mit höheren Kirchenaustrittszahlen gehen auch hier die kirchlichen Einnahmen
zurück. Dazu Scheingraber:
„Ich sehe natürlich, dass auch die katholische
Kirche einem gewissen Sparzwang unterliegt. Das hat natürlich zur Folge, dass auch
Kirchenmusiketats gekürzt werden müssen. Und dass die Gestaltung der Liturgie auch
Sparzwängen unterworfen ist. Wenn man also professionelle Kirchenmusiker an die Kirche
binden will, ist das nicht mehr so einfach. Und wie das in 20, 30 oder 50 Jahren ausschauen
wir – da wage ich keine Prognose.“
Deutschland hat eine starke kirchenmusikalische
Tradition. Es ist daher - wie in Frankreich - unwahrscheinlich, dass die Orgelmusik
aus finanziellen Gründen ganz zum Erliegen kommt. Wahrscheinlich ist aber, dass zumindest
die Organisten sich breiter aufstellen werden müssen. So ähnlich, wie es heute
schon der französische Organist Vincent Warnier macht:
„Man kann in Frankreich
nicht vom Orgelberuf allein leben. Da müsste man schon drei bis vier Messen pro Tag
spielen, um über die Runden zu kommen. Deshalb haben wir alle noch andere Berufe.
Wir unterrichten an der Schule, am Konservatorium oder an der Universität und wir
spielen Konzerte. Ich pflege immer zu sagen, dass ich drei Berufe habe: Ich bin Organist
in der Pfarrei, Musikprofessor und Konzertorganist.“