In Libyen ist die
Lage nach wie vor angespannt. Nach Angaben von Menschenrechtsorganisationen sind bei
Auseinandersetzungen zwischen Demonstranten und Sicherheitskräften bisher mehrere
hundert Menschen ums Leben gekommen. Der libysche Staatschef Muammar al Gaddafi will
sich den Protesten noch nicht beugen. In einer langen Fernsehansprache hatte er gestern
versucht, Teile der Bevölkerung wieder hinter sich zu bringen. Der ägyptische Jesuit
Samir Khalil Samir ist Dozent für arabische Geschichte und Islamwissenschaften an
der Universität in Beirut. Er glaubt nicht an einen Sieg Gaddafis. Trotz der Unruhen
schätzt er die Lage in dem nordafrikanischen Land insgesamt positiv ein:
„Die
arabische Welt erlebt gerade ihren arabischen Frühling: Es gibt überall einen gemeinsamen
Nenner. Die Menschen sind die Regierungen oder Republiken leid, die seit Jahrzehnten
andauern und der Demokratie, der Freiheit und Gleichheit keinen Platz lassen. Vor
allem sind sie auch die wirtschaftliche und soziale Situation leid, mit der sehr viele
Menschen unzufrieden waren. Und das steht in Kontrast zu den Regierenden, die sich
bereichern und alle Möglichkeiten haben. Dies ist eine Bewegung, die sich jetzt nicht
mehr aufhalten lässt.“
Man könne die Situation in Nordafrika mit dem vergleichen,
was sich in den 80er Jahren in den Ostblockstaaten bis hin zur so genannten „Wende“
abgespielt habe, sagt Samir. Allerdings gebe es auch einen entscheidenden Unterschied:
„In
diesen Ländern fehlt eine neue Führung. Die Angst, die den Westen umtreibt, ist doch
die: Wer wird der neue Anführer der Bewegung? Werden es die muslimischen Extremisten?
Ich glaube nicht, dass das möglich ist. Denn diese Bewegung ist gegen alles, was die
Demokratie erschwert. 90 Prozent der Menschen werden sagen, dass sie Muslime sind.
Aber deswegen möchten sie noch lange nicht so sein wie die extremistischen Gruppierungen.
Die Menschen möchten vielmehr sagen: Jeder soll seinem Gewissen folgen.“