Österreich: Auch Geschiedenen Barmherzigkeit vermitteln
Die Ehe ist ein hohes und schützenswertes Gut, gerade auch in der heutigen Zeit. Scheitern
ist aber Realität, und gerade in diesem Fall sollten die Kirchen die Barmherzigkeit
Gottes vermitteln. Das war der Tenor bei einer ökumenischen Tagung zum kirchlichen
Umgang mit Ehe, Scheidung und Wiederheirat, die am Wochenende in Wien stattfand. Für
den Wiener emeritierten Weihbischof Helmut Krätzl gehört die Frage des Sakramentenempfangs
für wiederverheiratete Geschiedene zu den großen ungelösten Problemen der katholischen
Kirche. Krätzl betonte in seinen Ausführungen, dass es eine dringende Aufgabe seiner
Kirche sei, Lösungen für diese pastorale Not zu schaffen. Er erinnerte daran, dass
Joseph Ratzinger – heute Papst Benedikt – in seiner Zeit als Dogmatikprofessor Anfang
der 1970er Jahre als einer der ersten konkrete Kriterien für die Ermöglichung eines
neuerlichen Sakramentenempfangs genannt habe. Dazu zählte Ratzinger damals, dass nach
der Trennung „die Dinge der ersten Ehe soweit wie möglich gut gemacht worden sind“,
so Krätzl.
Ebenso müsse der Tatsache einer beständigen Zweitehe Rechnung getragen
werden, wenn „durch Treue zu Partner und Kind neue Verpflichtungen entstanden sind“,
ein dringender „religiöser Wunsch“ nach Sakramentenempfang besteht und „kein öffentliches
Ärgernis droht“.Später habe Ratzinger jedoch seine Position revidiert; das päpstliche
Schreiben „Familiaris consortio“ Johannes Pauls II. habe den Sakramentenempfang nur
mehr bei sexueller Enthaltsamkeit in der Zweitehe zugestanden. Für Krätzl enthält
diese offizielle Lehrmeinung Defizite: „Wenn man Wiederverheirateten zwar erlaubt,
zusammen zu leben, aber nur in Enthaltsamkeit, dann ist das ein absurdes Verständnis
von Liebe.“
Der Schweizer Neutestamentler Walter Kirchschläger sprach in diesem
Zusammenhang von einem „minimalistischen Eheverständnis“, denn: „Wird die eheliche
Beziehung nur durch sexuelle Akte verletzt und nicht auch durch die allgemeine Alltagsvertrautheit
und Beziehung mit einem neuen Partner?“
Weihbischof Krätzl verwies auch auf
ein Pastoralschreiben des verstorbenen Bozener Bischofs Wilhelm Egger. Dieser habe
beim Kommunionempfang für wiederverheiratete Geschiedene eine Einzelfallprüfung, die
Gewissensentscheidung sowie die Respektierung dieser Gewissensentscheidung gefordert.
Defacto geschehe genau das in vielen Pfarrgemeinden. Allerdings erlebe er auch immer
wieder Pfarrer, die sich hinter dem Kirchenrecht verstecken und ihre persönliche Verantwortung
nicht wahrnehmen würden, so Krätzl. Der Ausschluss von der Eucharistie vermittle ein
sehr problematisches Gottesbild, wonach Gott nach einem Scheitern keinen Neuanfang
mehr möglich mache, warnte Krätzl: „Die Kirche kann über den barmherzigen Gott nur
dann glaubwürdig reden, wenn sie ihn auch in ihrem Tun erfahrbar macht.“ Wenn kirchliche
Gesetze diesbezüglich ein Hindernis darstellen, müssten sie geprüft werden, ob sie
vor Gott noch bestehen können.
Genau diese Möglichkeit eines geschenkten echten
Neuanfangs hob die evangelische Pfarrerin Christine Hubka hervor. Wenn die evangelische
Kirche die Möglichkeit einer zweiten kirchlich geschlossenen Ehe kenne, dann stehe
dahinter die theologische Überzeugung, dass Gott nach jedem Scheitern einen Neuanfang
schenke. Davon sei kein Bereich des Lebens ausgenommen.
Die rumänisch-orthodoxe
Theologin Alina Patru erklärte, auch in der orthodoxen Kirche sei die Ehe - wie in
der katholischen Kirche - ein Sakrament. Die Verbindung der Eheleute und die damit
verbundene Gnade Gottes bestehe bzw. wirke auch über den Tod hinaus. Orthodoxe Seelsorger
seien auch immer sehr bestrebt mitzuhelfen, dass Eheleute Krisensituationen überwinden
können. Dabei könnte es von Vorteil sein, so Patru, dass die orthodoxen Seelsorger
in der Regel selbst verheiratet sind. Trotzdem seien Scheidung und Scheitern Realität.
Die Kirche verstehe dies so, dass der Mensch zu einem bestimmten Zeitpunkt einfach
nicht fähig gewesen sei, die an ihn gestellten Herausforderungen zu meistern. Das
müsse akzeptiert werden. In Folge sehe es die orthodoxe Kirche auf jeden Fall als
besser an, wenn Geschiedene wieder heiraten, bevor sie in wilder Ehe zusammenleben.
Beziehungen ohne Trauschein seien problematisch: Solche Personen seien nicht zur Eucharistie
zugelassen. Wer hingegen wieder heiratet, sei voll in die Kirche integriert; sogar
ein dritte kirchliche Eheschließung sei noch möglich. Bei solchen Trauungszeremonien
würden vor allem Texte verwendet, die die Barmherzigkeit Gottes und die Möglichkeit
eines echten Neuanfangs in den Mittelpunkt stellen.
Der Neutestamentler Walter
Kirchschläger plädierte abschließend dafür, dass sich die katholischen Kirche ernsthaft
damit auseinandersetzen müsse, dass in anderen Kirchen – „aus einer ehrlichen Überzeugung
heraus“ - die Möglichkeit einer kirchlichen Zweitehe besteht. Es brauche mehr „Demut
gegenüber der Wahrheit“, so Kirchschläger.