Katholisch-orthodoxer Dialog: Die neue Normalität zwischen Moskau und Rom
Der russische Präsident
Dmitri Medwedew war an diesem Donnerstag im Vatikan. Dort traf er sich schon zum zweiten
Mal mit Papst Benedikt XVI.. Die beiden waren sich schon im Dezember 2009 in Rom begegnet.
Damals hatten sie sich darauf verständigt, volle diplomatische Beziehungen aufzunehmen;
zuvor hatte es nur – seit 1990 – „Sonderbeziehungen“ zwischen Russland und dem Vatikan
gegeben. Prälat Klaus Wyrwoll vom Ostkirchlichen Institut in Regensburg spricht im
Interview mit uns von einer neuen Normalität zwischen Rom und Moskau, und zwar auch
in kirchlicher Hinsicht. Mit keinem anderen mehrheitlich orthodoxen Land habe der
Vatikan inzwischen so gute Beziehungen.
„Einfach deswegen, weil in Russland
bei den frommen Leuten immer noch ganz stark der Gedanke da ist, dass der Kaiser der
Stellvertreter Christi ist – also in der Nachfolge von Konstantin, der ja (wie auch
seine Nachfolger) die ersten Konzilien einberufen hat. Und erst, als 1451 dann dieses
Kaiserreich aufhörte, hat Russland diese Aufgabe übernommen: Der Zar von Moskau kümmerte
sich um die Christen. Zweitens haben die Russen schon 1757 sich gegen die Griechen
gestellt, als die griechischen Patrarchen sagten: Alle Christen im Westen sind Heiden
und Ungetaufte. Die Russen haben dem entgegengehalten: Nein, wenn jemand aus dem Westen
zu uns kommt, dann muss er als Katholik nur laut das Glaubensbekenntnis rezitieren,
dann gehört er zu uns! Das wird jetzt langsam wieder bewußt.“
Überraschend,
aber für Prälat Wyrwoll immer deutlicher: Keine andere orthodoxe Kirche steht der
katholischen so nahe wie die russische. Kurzer Dienstweg, sozusagen, zwischen dem
Dritten Rom an der Moskwa und dem Ersten Rom am Tiber.
„Die Russen sind
die Einzigen, die – vor elf Jahren – eine Sozialethik herausgebracht haben, die doch
in weitesten Teilen mit unserer Sozialauffassung übereinstimmt. Der Metropolit Hilarion
(„Außenminister“ des Moskauer Patriarchats) ist gerade zum Titularprofessor an der
Katholischen Fakultät in Fribourg in der Schweiz ernannt worden, wo er sich vor sechs
Jahren habilitiert hat.“
Mehr noch: Die „Orthodoxia“, also das Verzeichnis
aller orthodoxen Bischöfe, wird jetzt mit einem Vorwort des vatikanischen Kardinalstaatssekretärs
Tarcisio Bertone herausgebracht.
„Weil eben die Orthodoxen ja eigentlich
genauso echte Teilkirchen sind wie wir auch: Es handelt sich nicht um zwei Kirchen,
die orthodoxe Kirche und die katholische Kirche, wie das von Konstantinopel aus immer
wieder gesagt wird, sondern wir sind eine Kirche, wenn auch noch mit Schwierigkeiten
in der Kommunikation. Daran halten die Russen ganz stark fest, im Gegensatz zu vielen
anderen Patriarchaten.“
Aber hat der Vatikan denn nicht ein geradezu demonstrativ
enges Verhältnis zum orthodoxen Patriarchen von Konstantinopel, Bartholomaios I.,
der in Istanbul residiert? Und war es nicht die russisch-orthodoxe Kirche, die immer
wieder Schwierigkeiten machte beim katholisch-orthodoxen Dialog?
„Ganz im
Gegenteil! In Belgrad zum Beispiel hat der russische Vertreter, Metropolit Hilarion,
als einziger deutlich gemacht: Es geht nicht an, dass wir jetzt zwei Primate aufrichten,
einen in Rom und einen in Konstantinopel. Es gibt nur diesen einen Primat in Rom.
Auch wenn wir den jetzt so nicht anerkennen, müssen wir doch schauen, wie wir zu einer
Lösung kommen, die das möglich macht.“
Dass Moskau versucht, mit dem älteren
Konstantinopel gleichzuziehen, ist nichts Neues. Aber Wyrwoll findet, die russischen
Orthodoxen hätten recht mit ihrer Kritik am Ehrenprimat von Konstantinopel:
„Der
existiert ja eigentlich überhaupt nicht, sondern nur in bestimmten Phantasievorstellungen,
allerdings im Osten wie im Westen. Es ist wichtig, dass die Ortskirche Rom und die
Ortskirche Konstantinopel in gutem Kontakt stehen – als „Schwesterkirchen“, wie ja
Benedikt immer wieder betont – aber es geht nicht an, dass man von zwei Kirchen spricht,
einer orthodoxen mit einem Oberhaupt in Konstantinopel und einer katholischen mit
einem Oberhaupt in Rom. Es gibt nur eine heilige Kirche!“
Allerdings: Die
Vorstellung, dass der Patriarch von Konstantinopel Ehrenoberhaupt der Orthodoxen in
aller Welt wäre, ist eine tiefverwurzelte. Was ist denn daran falsch?
„Richtig
ist, dass der Ehrenprimat jedenfalls eine Sekretariatsaufgabe ist, die Orthodoxen
zusammenzuhalten. Das ist dadurch entstanden, dass der Primas, der Bischof von Konstantinopel,
eben unter dem Kaiser war, der als Stellvertreter Christi für die Einheit aller zu
sorgen hatte, und diese Aufgabe nimmt auch der Patriarch wahr, jedenfalls im Blick
auf die Orthodoxen. Das ist sehr wichtig und auch gut, aber man muss immer aufpassen,
dass sich das nicht zu einer Primatsvorstellung entwickelt, die dann nicht mehr unseren
theologischen Vorstellungen entspricht!“
Große Nähe also zwischen Russland
und dem Vatikan, laut Prälat Wyrwoll aus Regensburg. Da fragt man sich doch, warum
es noch zu keinem offiziellen Treffen zwischen Papst Benedikt und dem russisch-orthodoxen
Patriarchen Kyrill I. gekommen ist? Wyrwoll sagt dazu: „Ein Treffen der beiden auf
sozusagen neutralem Boden könnte schon bald stattfinden.“ Aber:
„Eine Reise
des Papstes nach Moskau stelle ich mir insofern schwierig vor, weil dort noch eine
Mentalität lebendig – halb unbewußt, halb bewußt – die bei uns auch einmal herrschte.
Zum Beispiel durfte bei uns ein Weihbischof bei Strafe der Exkommunikation nicht den
Ort irgendwo in fernen Landen aufsuchen, dessen Titel er trug, weil dieser Ort ja
zu irgendeinem anderen Bistum gehörte, und das Auftauchen eines Bischofs ist schon
eine Besitzergreifung. Das ist im Osten unter den Menschen noch viel lebendiger, und
gerade weil der Papst mit Recht den Anspruch hat, für die Gesamtkirche verantwortlich
zu sein, würden viele Leute das als eine Besitzergreifung ansehen, die ja natürlich
überhaupt nicht so gemeint ist.“