2011-02-06 10:01:04

Vatikanberater: „EU-Asylpolitik ist Politik der Abschottung“


RealAudioMP3 In Punkto Asylpolitik betreibt die EU eine Politik der Abschottung. Das meint der neue Berater des Päpstlichen Migrantenrates, Christopher Hein, im Gespräch mit Radio Vatikan. Als Beispiel nennt der gebürtige Deutsche und Direktor des Italienischen Flüchtlingsdienstes (CIR) das Schicksal afrikanischer Flüchtlinge, die seit Monaten auf der Sinai-Halbinsel festsitzen. Auf ihrer Flucht nach Europa wurden sie im Grenzgebiet zwischen Ägypten und Israel gekidnappt. Es handelt sich um gut 100 Flüchtlinge vor allem aus Eritrea sowie Somalia und Äthiopien, darunter auch Frauen und Jugendliche. Sie werden von Beduinen unter schrecklichen Bedingungen gefangengehalten; einige von ihnen starben durch Hand der Entführer.

„Wir wissen über die Telefongespräche, die hier von einem eritreischen Priester, Don Mosé, in einer der beiden Sprachen Eritreas geführt werden, von der Lage dieser Menschen. Sie werden nicht nur einfach festgehalten, sondern sie sind angekettet, sie werden geschlagen, sie werden vor allem dann geschlagen, wenn sie Telefongespräche haben mit Familienangehörigen, die in Europa oder Nordamerika ansässig sind. Denn der Sinn von Seiten der Entführer ist der, Geld rauszupressen und zwar 8.000 Dollar pro Person. In der Tat sind mehrere Dutzend in diesen Wochen freigelassen worden, aber nur aufgrund der Bezahlung dieser 8.000 Dollar.“

Seit dem letzten Abkommen zwischen Italien und Libyen vom Mai 2009 werden Mittelmeerflüchtlinge noch auf hoher See nach Libyen abgeschoben. Vorher landeten sie in italienischen Auffanglagern und hatten dort zumindest noch die Chance, als politische Flüchtlinge einen Asylantrag zu stellen. Wenn zum Beispiel junge Männer aus Eritrea auf der Flucht vor dem Militärdienst in ihr Heimatland zurückgeschoben werden, droht ihnen dort nicht selten der Tod; Fahnenflucht wird dort hart bestraft. Wie hat sich Italiens letzter Pakt mit Libyen auf das Schicksal solcher afrikanischer Flüchtlinge ausgewirkt?

„Über die Einrichtung der Grenzagentur Frontex und über die Abkommen mit Drittstaaten seitens der EU, wird die Lage immer schwieriger für Asylbewerber und für Flüchtlinge, physisch in das Gebiet der EU-Staaten hineinzukommen. Das heißt die Kontrolle an den Außengrenzen verlagert sich in diese Drittstaaten hinein. Das hat natürlich auch zu tun mit der Schengen-Regelung: Die gemeinsame Visumspolitik hat dazu geführt, dass über 90 Prozent aller Asylbewerber in den EU-Staaten dazu gezwungen sind, illegal einzureisen, weil es keine legalen Möglichkeiten gibt. Wir meinen, das illustriert eine EU-Politik der Abschottung der Außengrenzen der EU, so dass die Flüchtlinge gar keine andere Wahl haben als diese außerordentlich gefährliche Route einzuschlagen.“

In der Tat ist der Strom der Flüchtlinge über das Mittelmeer – also von Afrika Richtung Italien sowie über die Türkei Richtung Griechenland – in den letzten Monaten zurückgegangen...

„Das ist richtig. Wir haben in Italien zum Beispiel ein Herabsinken der Zahl der Asylbewerber von 31.000 in 2008 auf nur noch 17.000 in 2009 und weniger als 10.000 im Jahr 2010 – nicht etwa weil die Gründe für die Flucht nicht mehr da sind aus Eritrea, Somalia, Sudan, Irak oder Afghanistan, wo sich die Lage nicht fundamental verändert hat, im Gegenteil, sondern weil es eben diese Unmöglichkeit gibt, überhaupt hier anzukommen.“

Die Sinai-Halbinsel ist ja seit dem Abkommen von Camp David (Rahmenvereinbarung zum Frieden zwischen Ägypten und Israel vom 17.09.1978) weitgehend entmilitarisiert. Ägypten hat zur Zeit andere Sorgen, als in der Wüste Patrouille zu fahren, und Israel schließt seine Grenze zu Ägypten gerade jetzt hermetisch ab. Wie kann den Flüchtlingen auf der Sinai-Halbinsel also geholfen werden?

„Wir meinen, was passieren müsste, ist ein stärkeres Engagement der EU und der EU-Staaten, um gegenüber Ägypten zu sagen, seht zu, dass die befreit werden, aber wir übernehmen dann diese Flüchtlinge und verteilen sie in verschiedene europäische Länder, denn es ist nicht denkbar im Augenblick, dass sie in Ägypten bleiben können und daher eine Geste der internationalen Verantwortung, der Teilung der Verantwortung mit der ägyptischen Behörden. Das könnte in der Tat dazu führen, dass die Ägypter sich vielleicht mehr bewegen in Hinblick auf die Befreiung der Flüchtlinge als das bisher geschehen ist.“

Christopher Hein arbeitete für Amnesty International und das Flüchtlingskommissariat der Vereinten Nationen (UNHCR). 1990 gründete er den Italienischen Flüchtlingsdienst (CIR), dem er bis heute als Direktor vorsteht. Im Jahr 2003 wurde er zum Präsidenten des Europäischen Flüchtlingsrates (ECRE - European Council on Refugees and Exiles) gewählt. Am vergangenen Wochenende wurde er von Papst Benedikt XVI. zum Berater des Päpstlichen Rates für die Seelsorge für Migranten und Menschen unterwegs ernannt.
Das Interview führte Anne Preckel.


(rv 05.02.2011 pr)








All the contents on this site are copyrighted ©.