2011-02-01 10:37:08

In memoriam Silja Walter


RealAudioMP3 Silja Walter ist tot. Die Schweizer Ordensfrau und Dichterin starb am Montag; sie war 91 Jahre alt geworden. Mit über sechzig Werken hat sie eines der reichsten Oeuvres der Schweizer Literaturgeschichte vorzuweisen. Es umfasst nicht nur Lyrik und Prosabände, sondern auch Festspiele, Oratorien und wichtige theologische Texte. Silja Walter wurde mehrfach ausgezeichnet, etwa mit Literatur- und Kulturpreisen der Stadt Zürich, zweimal mit Gesamtwerkspreisen der Schweizerischen Schillerstiftung und mit dem Kunstpreis des Kantons Solothurn.
Zur Biografie

Cécile „Silja“ Walter, Ordensname Maria Hedwig, wurde am 23. April 1919 in Rickenbach bei Olten geboren. Ihr Vater Otto war Verleger, Schriftsteller und Nationalrat, ihre Mutter schrieb Stücke für den Hausgebrauch. Silja war die zweite von acht Töchtern, ihr einziger Bruder war der Schriftsteller Otto F. Walter. Silja Walter besuchte fünf Jahre das Lehrerinnenseminar und begann ein Literaturstudium in Freiburg, das sie wegen einer lebensbedrohlichen Lungenkrankheit abbrechen musste. 1944 erschien ihr erster Lyrikband «Gedichte». Vier Jahre später - da war sie als Lyrikerin schon vielen bekannt – entschied sie sich für den Eintritt in das Benediktinerinnenkloster Fahr.
Freie Rythmen
Im Kloster wich der strenge, an Volkslieder gemahnende Bau ihrer frühen Gedichte immer stärker moderneren, freieren Rhythmen. Zum Vergleich eine frühe und eine späte Strophe: „Im Walde wiegt der Seidelbast/ Sich leise her und hin./ Seitdem du mich vergessen hast,/ Vergess ich dass ich bin.“ („Der Seidelbast“, 1944, eines der meistgenannten Liebesgedichte im Internet). Dagegen später: „So geh doch/ geh/ du hast dich ja/ bei mir/ vergessen.“

Ihre erfolgreichsten Bücher waren die „weltlichen“. Ein Bestseller war beispielsweise der Gesprächsband „Eine Insel finden“ (1984). Er beruhte auf einer Radiosendung, die Silja Walter mit ihrem Bruder Otto F. Walter, einem dezidierten Gesellschaftskritiker, konfrontierte. Noch erfolgreicher war acht Jahre später Silja Walters Familiengeschichte „Der Wolkenbaum“. Zu ihrem 90. Geburtstag erschien ihre Autobiografie „Das dreifarbene Meer“. Sie schrieb sie vermutlich auf dem Computer, den sie zum 80. Geburtstag geschenkt bekommen hatte. Zum Neunzigsten hatte sie sich Internetzugang gewünscht, den ihr die Priorin gerne gewährte.
Zentrales Thema: Gottsuche

Durch Silja Walters Schaffen ziehen sich als Themen die Gottsuche und die Würde des Menschen. So nannte sie auch als Antrieb für ihr Schaffen „Glaubens- und Gotteserfahrung“. Dahinter stand gewiss auch das „Wallis-Erlebnis“ von 1947, von dem sie zitternd erzählte, der Moment ihrer Berufung im morgendlichen Gletscherlicht: „Ich wurde einfach beschenkt.“ Die Literatur, die sie am meisten prägte und band, war die Bibel. Für sie passte es zusammen, Nonne im strengen Kloster und zugleich Schriftstellerin zu sein: „Das eine stört das andere nicht. In dem Masse, wie ich kontemplativ lebe, kann ich schöpferisch sein.“
„Herr, / und jemand muss dich aushalten, / dich ertragen, / ohne davonzulaufen. / Deine Abwesenheit aushalten / ohne an deinem Kommen / zu zweifeln. / Dein Schweigen aushalten/ und trotzdem singen. / Dein Leiden, deinen Tod / mitaushalten / und daraus leben...“ schrieb sie in ihrem berühmt gewordenen „Gebet des Klosters am Rande der Stadt“. Sie lebte in Zwiesprache mit Gott in dem traditionsreichen Konvent, suchte ihn, rang mit ihm. Dabei war sie überzeugt, dass es die heutige Jugend religiös schwerer hat als frühere Generationen. „Wir früheren hatten es leichter mit Gott“, sagt sie. Er sei noch nicht so „sinn- und geistlos herausmanipuliert aus Welt und Wissen und dem Menschen“.

Ein Kloster der Literatur

Literatur im Kloster Fahr – das ist bereits zur Tradition geworden: Die berühmte Mitschwester war den Fahrer Nonnen Anlass, eine Psalmen-Schreibzelle für junge Leute einzurichten, die rege genutzt wird. Sie können zwei Tage im Kloster verbringen und am „Fahrer Psalmenbuch“ mitschreiben. „Nicht die Entstehung eines besonders schönen und perfekten Textes steht im Vordergrund, sondern die Erfahrung des Einzelnen“, sagte Priorin Irene Gassmann kürzlich der Nachrichtenagentur Kipa. Schon mehrfach hat das Kloster auch zu literarischen Jugendvespern eingeladen.

Zum Tod von Schwester Hedwig (Silja) Walter hat die Priorin von Kloster Fahr, Irene Gassmann, eine Erklärung veröffentlicht, die wir hier dokumentieren.
"Gott suchen – in seiner Gegenwart leben"
Priorin Irene Gassmann, Kloster Fahr
Am 31. Januar in der Früh verstarb im Kloster Fahr die weit über die Schweizer Grenzen hinaus bekannte Ordensfrau und Dichterin Schwester Hedwig (Silja) Walter in ihrem 92. Lebensjahr. Die schreibende und dichtende Nonne aus dem Kanton Solothurn, Tochter der Verlegerfamilie Walter und Schwester des Schriftstellers Otto F. Walter, lebte über sechzig Jahre als Benediktinerin im Kloster am Rande der Stadt Zürich. Sie verfasste ein grosses literarisches Werk, wurde mehrfach ausgezeichnet, unter anderem zweimal mit dem Preis der Schweizerischen Schillerstiftung und dem Kunstpreis des Kantons Solothurn. Sie war Ehrenbürgerin von Rickenbach (SO), Würenlos (AG) und Mümliswil (SO).
Silja (Cecile) Walter wurde am 23. April 1919 als zweites von neun Kindern in Rickenbach bei Olten (SO) in die Verlegerfamilie Walter hineingeboren. Nach der Primarschule in Rickenbach (1926-1932) besuchte sie die Bezirksschule in Hägendorf (1932-1933) und danach das Lehrerinnenseminar in Menzingen (1933-1938). Das anschliessende Literaturstudium in Freiburg i. Ü. und später in Basel musste sie wegen einer Lungenerkrankung unterbrechen und schliesslich abbrechen. Noch während der Zeit ihrer Erkrankung erschien 1944 "Die ersten Gedichte". "Der Seidelbast" aus diesen ersten Gedichten ist noch heute eines der gefragtesten Gedichte auf Internet-Lyrik-Seiten.
Silja Walters Arbeit in der Blauring-Zentrale bot ihr Gelegenheit, Theaterstücke zu schreiben und aufzuführen. In dieser frühen Zeit entstanden "Dornröschen" oder "Die Krone unserer lieben Frau im Stein".
Benediktinerin im Kloster Fahr
Nach einem Berufungserlebnis 1947 am Schwarzsee bei Zermatt trat Silja Walter im März 1948 in das Benediktinerinnenpriorat Kloster Fahr bei Unterengstringen ein. Hier legte sie am 11. Oktober 1949 ihre ersten Gelübde ab und erhielt den Ordensnamen Schwester Maria Hedwig. Nach Jahren des nicht einfachen Einlebens im Kloster schrieb sie einzelne Auftragswerke wie das "Wettinger Sternsingerspiel", "Es singt die heil’ge Mitternacht", "Sie warten auf die Stadt" und andere.
Als poetische Antwort auf die Kirchenkonstitution des II. Vatikanischen Konzils "Lumen gentium" dichtete sie unmittelbar nach dem Konzil das Kirchenlied "Eine grosse Stadt ersteht". Anfang der siebziger Jahre arbeitete Silja Walter in der Poetischen Kommission für liturgische Texte (POK) bei der Erarbeitung eines deutschsprachigen Hymnars für die Stundenliturgie mit. Vierzehn dieser freien deutschen Hymnen wurden 1978 in das Stundenbuch aufgenommen, so zum Beispiel "Erwartet den Herrn", "Die Nacht ist vergangen", "Du Wort, das der Vater spricht".
In ihrem Werk "Der Tanz des Gehorsams oder die Strohmatte" begann sie, ihre monastische Lebensform literarisch zu deuten. In verschiedenen weiteren Werken wie "Ruf und Regel" und "Er pflückte sie vom Lebensbaum" thematisierte und meditierte Schwester Hedwig ihre Erfahrungen mit der Benediktsregel. Mit dem Schauspiel "Jan der Verrückte" schrieb sie erstmals ein Schauspiel für Berufstheater. Fast zeitgleich entstand "Frau mit Rose", ein frühes Chronik-, beziehungsweise Mysterienspiel. Im Laufe der Zeit schrieb sie weitere Mysterienspiele für Gemeinden und religiöse Gemeinschaften; als letztes entstand "Haus der neuen Schöpfung" welches 2006 als Festspiel zum 150-Jahr-Jubiläum des Klosters Ingenbohl aufgeführt wurde.
Im Spannungsfeld zwischen Glaube, Disziplin und künstlerischem Schaffen
1982 führte sie ein Radiogespräch nach längerer Schweigezeit wieder mit ihrem Bruder Otto F. Walter zusammen; dieser Gesprächsband "Eine Insel finden" wurde ein Bestseller.
In der Folge entstanden zahlreiche weitere Schriften. Viele ihrer Texte inspirierten Komponisten und Musiker. Ihre Kindheitserinnerungen "Der Wolkenbaum. Meine Kindheit im alten Haus" (1991) sind ein erster literarischer Ansatz als Teil ihrer Autobiografie.
Ein wichtiges Thema war für die Nonne Silja Walter immer, wie sie in Gottes Gegenwart leben und das Berufungserlebnis lebendig halten konnte. Während ihres Sabbatjahres (1993 – 1994) setzte Silja Walter ihre Ideen auch mit Pastellkreiden in Bilder um.
Im Jahre 2008 verfasste sie ihre literarische Autobiografie "Das dreifarbene Meer". Darin blickt die 90-Jährige auf ihr Leben zurück – ein Leben im Spannungsfeld zwischen persönlichem Glaube, klösterlicher Disziplin und künstlerischem Schaffen. Verstärkt entwickelte sie die Gattung des literarisch-spirituellen Tagebuchs in den Werken "Die Beichte im Zeichen des Fisches" und "Ich habe meine Insel gefunden".
Das vielschichtige Werk der klausurierten Nonne wurde schliesslich zu einer Edition gesammelt und im Paulusverlag, Freiburg, herausgegeben. Bis heute sind zehn Bände erschienen. Das Gesamtwerk Silja Walters wurde ab 1997 in das Literaturarchiv, Bern, aufgenommen, unter anderem Hauptwerke wie "Das Kloster am Rand der Stadt. Der Tag der benediktinischen Nonne", "Ruf und Regel. Erfahrungen des Glaubens im benediktinischen Kloster", "Die Feuertaube. Neue Gedichte. Für meinen Bruder", "Die sieben durchsichtigen Tage. Schöpfungsbericht und Glaubenserfahrungen", "Das Wort ist Brot geworden. Kommunionpsalter", "Tarzisiuslied".
Zur sprudelnden Quelle geworden
Anlässlich ihres 90. Geburtstages würdigte Bischof Kurt Koch Schwester Hedwig mit den Worten: "Sie sind für die Kirche zur Quelle sprudelnden Wassers ins ewige Leben geworden".
Die Klostergemeinschaft ist dankbar, dass Schwester Hedwig in ihrem reichen Werk, in Gebeten und Meditationen, Hymnen und Messtexten bis hin zu Mysterienspielen, die sie der Welt und der Kirche von heute schenkte, weiterlebt und die Quelle weiter fliesst. Schwester Hedwig (Silja) Walter verstarb in ihrem 92. Lebensjahr und im 62. Jahr ihrer monastischen Profess.

(rv/kipa/kloster fahr/tagesanzeiger/rv-archiv 01.02.2011 sk)

Vor über zehn Jahren, 1999, führte unser Mitarbeiter Aldo Parmeggiani für seine Sendereihe „Menschen in der Zeit“ ein ausführliches Gespräch mit Silja Walter. Wenn Sie oben auf eines der Audio-Symbole klicken, können Sie sich das in voller Länge (ca. 17 min) anhören.








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