Silja Walter ist tot.
Die Schweizer Ordensfrau und Dichterin starb am Montag; sie war 91 Jahre alt geworden.
Mit über sechzig Werken hat sie eines der reichsten Oeuvres der Schweizer Literaturgeschichte
vorzuweisen. Es umfasst nicht nur Lyrik und Prosabände, sondern auch Festspiele, Oratorien
und wichtige theologische Texte. Silja Walter wurde mehrfach ausgezeichnet, etwa mit
Literatur- und Kulturpreisen der Stadt Zürich, zweimal mit Gesamtwerkspreisen der
Schweizerischen Schillerstiftung und mit dem Kunstpreis des Kantons Solothurn. Zur
Biografie
Cécile „Silja“ Walter, Ordensname Maria Hedwig, wurde am
23. April 1919 in Rickenbach bei Olten geboren. Ihr Vater Otto war Verleger, Schriftsteller
und Nationalrat, ihre Mutter schrieb Stücke für den Hausgebrauch. Silja war die zweite
von acht Töchtern, ihr einziger Bruder war der Schriftsteller Otto F. Walter. Silja
Walter besuchte fünf Jahre das Lehrerinnenseminar und begann ein Literaturstudium
in Freiburg, das sie wegen einer lebensbedrohlichen Lungenkrankheit abbrechen musste.
1944 erschien ihr erster Lyrikband «Gedichte». Vier Jahre später - da war sie als
Lyrikerin schon vielen bekannt – entschied sie sich für den Eintritt in das Benediktinerinnenkloster
Fahr. Freie Rythmen Im Kloster wich der strenge, an Volkslieder
gemahnende Bau ihrer frühen Gedichte immer stärker moderneren, freieren Rhythmen.
Zum Vergleich eine frühe und eine späte Strophe: „Im Walde wiegt der Seidelbast/ Sich
leise her und hin./ Seitdem du mich vergessen hast,/ Vergess ich dass ich bin.“ („Der
Seidelbast“, 1944, eines der meistgenannten Liebesgedichte im Internet). Dagegen später:
„So geh doch/ geh/ du hast dich ja/ bei mir/ vergessen.“
Ihre erfolgreichsten
Bücher waren die „weltlichen“. Ein Bestseller war beispielsweise der Gesprächsband
„Eine Insel finden“ (1984). Er beruhte auf einer Radiosendung, die Silja Walter mit
ihrem Bruder Otto F. Walter, einem dezidierten Gesellschaftskritiker, konfrontierte.
Noch erfolgreicher war acht Jahre später Silja Walters Familiengeschichte „Der Wolkenbaum“.
Zu ihrem 90. Geburtstag erschien ihre Autobiografie „Das dreifarbene Meer“. Sie schrieb
sie vermutlich auf dem Computer, den sie zum 80. Geburtstag geschenkt bekommen hatte.
Zum Neunzigsten hatte sie sich Internetzugang gewünscht, den ihr die Priorin gerne
gewährte. Zentrales Thema: Gottsuche
Durch Silja Walters
Schaffen ziehen sich als Themen die Gottsuche und die Würde des Menschen. So nannte
sie auch als Antrieb für ihr Schaffen „Glaubens- und Gotteserfahrung“. Dahinter stand
gewiss auch das „Wallis-Erlebnis“ von 1947, von dem sie zitternd erzählte, der Moment
ihrer Berufung im morgendlichen Gletscherlicht: „Ich wurde einfach beschenkt.“ Die
Literatur, die sie am meisten prägte und band, war die Bibel. Für sie passte es zusammen,
Nonne im strengen Kloster und zugleich Schriftstellerin zu sein: „Das eine stört das
andere nicht. In dem Masse, wie ich kontemplativ lebe, kann ich schöpferisch sein.“ „Herr,
/ und jemand muss dich aushalten, / dich ertragen, / ohne davonzulaufen. / Deine Abwesenheit
aushalten / ohne an deinem Kommen / zu zweifeln. / Dein Schweigen aushalten/ und trotzdem
singen. / Dein Leiden, deinen Tod / mitaushalten / und daraus leben...“ schrieb sie
in ihrem berühmt gewordenen „Gebet des Klosters am Rande der Stadt“. Sie lebte in
Zwiesprache mit Gott in dem traditionsreichen Konvent, suchte ihn, rang mit ihm. Dabei
war sie überzeugt, dass es die heutige Jugend religiös schwerer hat als frühere Generationen.
„Wir früheren hatten es leichter mit Gott“, sagt sie. Er sei noch nicht so „sinn-
und geistlos herausmanipuliert aus Welt und Wissen und dem Menschen“.
Ein
Kloster der Literatur
Literatur im Kloster Fahr – das ist bereits zur
Tradition geworden: Die berühmte Mitschwester war den Fahrer Nonnen Anlass, eine Psalmen-Schreibzelle
für junge Leute einzurichten, die rege genutzt wird. Sie können zwei Tage im Kloster
verbringen und am „Fahrer Psalmenbuch“ mitschreiben. „Nicht die Entstehung eines besonders
schönen und perfekten Textes steht im Vordergrund, sondern die Erfahrung des Einzelnen“,
sagte Priorin Irene Gassmann kürzlich der Nachrichtenagentur Kipa. Schon mehrfach
hat das Kloster auch zu literarischen Jugendvespern eingeladen.
Zum Tod
von Schwester Hedwig (Silja) Walter hat die Priorin von Kloster Fahr, Irene Gassmann,
eine Erklärung veröffentlicht, die wir hier dokumentieren. "Gott suchen – in
seiner Gegenwart leben" Priorin Irene Gassmann, Kloster Fahr Am 31. Januar in
der Früh verstarb im Kloster Fahr die weit über die Schweizer Grenzen hinaus bekannte
Ordensfrau und Dichterin Schwester Hedwig (Silja) Walter in ihrem 92. Lebensjahr.
Die schreibende und dichtende Nonne aus dem Kanton Solothurn, Tochter der Verlegerfamilie
Walter und Schwester des Schriftstellers Otto F. Walter, lebte über sechzig Jahre
als Benediktinerin im Kloster am Rande der Stadt Zürich. Sie verfasste ein grosses
literarisches Werk, wurde mehrfach ausgezeichnet, unter anderem zweimal mit dem Preis
der Schweizerischen Schillerstiftung und dem Kunstpreis des Kantons Solothurn. Sie
war Ehrenbürgerin von Rickenbach (SO), Würenlos (AG) und Mümliswil (SO). Silja
(Cecile) Walter wurde am 23. April 1919 als zweites von neun Kindern in Rickenbach
bei Olten (SO) in die Verlegerfamilie Walter hineingeboren. Nach der Primarschule
in Rickenbach (1926-1932) besuchte sie die Bezirksschule in Hägendorf (1932-1933)
und danach das Lehrerinnenseminar in Menzingen (1933-1938). Das anschliessende Literaturstudium
in Freiburg i. Ü. und später in Basel musste sie wegen einer Lungenerkrankung unterbrechen
und schliesslich abbrechen. Noch während der Zeit ihrer Erkrankung erschien 1944 "Die
ersten Gedichte". "Der Seidelbast" aus diesen ersten Gedichten ist noch heute eines
der gefragtesten Gedichte auf Internet-Lyrik-Seiten. Silja Walters Arbeit in der
Blauring-Zentrale bot ihr Gelegenheit, Theaterstücke zu schreiben und aufzuführen.
In dieser frühen Zeit entstanden "Dornröschen" oder "Die Krone unserer lieben Frau
im Stein". Benediktinerin im Kloster Fahr Nach einem Berufungserlebnis 1947
am Schwarzsee bei Zermatt trat Silja Walter im März 1948 in das Benediktinerinnenpriorat
Kloster Fahr bei Unterengstringen ein. Hier legte sie am 11. Oktober 1949 ihre ersten
Gelübde ab und erhielt den Ordensnamen Schwester Maria Hedwig. Nach Jahren des nicht
einfachen Einlebens im Kloster schrieb sie einzelne Auftragswerke wie das "Wettinger
Sternsingerspiel", "Es singt die heil’ge Mitternacht", "Sie warten auf die Stadt"
und andere. Als poetische Antwort auf die Kirchenkonstitution des II. Vatikanischen
Konzils "Lumen gentium" dichtete sie unmittelbar nach dem Konzil das Kirchenlied "Eine
grosse Stadt ersteht". Anfang der siebziger Jahre arbeitete Silja Walter in der Poetischen
Kommission für liturgische Texte (POK) bei der Erarbeitung eines deutschsprachigen
Hymnars für die Stundenliturgie mit. Vierzehn dieser freien deutschen Hymnen wurden
1978 in das Stundenbuch aufgenommen, so zum Beispiel "Erwartet den Herrn", "Die Nacht
ist vergangen", "Du Wort, das der Vater spricht". In ihrem Werk "Der Tanz
des Gehorsams oder die Strohmatte" begann sie, ihre monastische Lebensform literarisch
zu deuten. In verschiedenen weiteren Werken wie "Ruf und Regel" und "Er pflückte sie
vom Lebensbaum" thematisierte und meditierte Schwester Hedwig ihre Erfahrungen mit
der Benediktsregel. Mit dem Schauspiel "Jan der Verrückte" schrieb sie erstmals ein
Schauspiel für Berufstheater. Fast zeitgleich entstand "Frau mit Rose", ein frühes
Chronik-, beziehungsweise Mysterienspiel. Im Laufe der Zeit schrieb sie weitere Mysterienspiele
für Gemeinden und religiöse Gemeinschaften; als letztes entstand "Haus der neuen Schöpfung"
welches 2006 als Festspiel zum 150-Jahr-Jubiläum des Klosters Ingenbohl aufgeführt
wurde. Im Spannungsfeld zwischen Glaube, Disziplin und künstlerischem Schaffen 1982
führte sie ein Radiogespräch nach längerer Schweigezeit wieder mit ihrem Bruder Otto
F. Walter zusammen; dieser Gesprächsband "Eine Insel finden" wurde ein Bestseller.
In der Folge entstanden zahlreiche weitere Schriften. Viele ihrer Texte inspirierten
Komponisten und Musiker. Ihre Kindheitserinnerungen "Der Wolkenbaum. Meine Kindheit
im alten Haus" (1991) sind ein erster literarischer Ansatz als Teil ihrer Autobiografie.
Ein wichtiges Thema war für die Nonne Silja Walter immer, wie sie in Gottes Gegenwart
leben und das Berufungserlebnis lebendig halten konnte. Während ihres Sabbatjahres
(1993 – 1994) setzte Silja Walter ihre Ideen auch mit Pastellkreiden in Bilder um.
Im Jahre 2008 verfasste sie ihre literarische Autobiografie "Das dreifarbene Meer".
Darin blickt die 90-Jährige auf ihr Leben zurück – ein Leben im Spannungsfeld zwischen
persönlichem Glaube, klösterlicher Disziplin und künstlerischem Schaffen. Verstärkt
entwickelte sie die Gattung des literarisch-spirituellen Tagebuchs in den Werken "Die
Beichte im Zeichen des Fisches" und "Ich habe meine Insel gefunden". Das vielschichtige
Werk der klausurierten Nonne wurde schliesslich zu einer Edition gesammelt und im
Paulusverlag, Freiburg, herausgegeben. Bis heute sind zehn Bände erschienen. Das Gesamtwerk
Silja Walters wurde ab 1997 in das Literaturarchiv, Bern, aufgenommen, unter anderem
Hauptwerke wie "Das Kloster am Rand der Stadt. Der Tag der benediktinischen Nonne",
"Ruf und Regel. Erfahrungen des Glaubens im benediktinischen Kloster", "Die Feuertaube.
Neue Gedichte. Für meinen Bruder", "Die sieben durchsichtigen Tage. Schöpfungsbericht
und Glaubenserfahrungen", "Das Wort ist Brot geworden. Kommunionpsalter", "Tarzisiuslied". Zur
sprudelnden Quelle geworden Anlässlich ihres 90. Geburtstages würdigte Bischof
Kurt Koch Schwester Hedwig mit den Worten: "Sie sind für die Kirche zur Quelle sprudelnden
Wassers ins ewige Leben geworden". Die Klostergemeinschaft ist dankbar, dass
Schwester Hedwig in ihrem reichen Werk, in Gebeten und Meditationen, Hymnen und Messtexten
bis hin zu Mysterienspielen, die sie der Welt und der Kirche von heute schenkte, weiterlebt
und die Quelle weiter fliesst. Schwester Hedwig (Silja) Walter verstarb in ihrem 92.
Lebensjahr und im 62. Jahr ihrer monastischen Profess.
Vor über zehn Jahren, 1999, führte unser Mitarbeiter Aldo
Parmeggiani für seine Sendereihe „Menschen in der Zeit“ ein ausführliches Gespräch
mit Silja Walter. Wenn Sie oben auf eines der Audio-Symbole klicken, können Sie sich
das in voller Länge (ca. 17 min) anhören.