Nordafrika: „Noch nicht mal ein Wassertropfen im Meer“
Bischöfe aus Nordafrika
tagen ab diesem Samstag in Algier, der Hauptstadt Algeriens. Bei ihren Beratungen
geht es natürlich auch um die derzeitigen Erschütterungen in Tunesien und anderen
Staaten der Region. Die Bischöfe kommen aus Algerien selbst, aus Libyien, Marokko,
Mauretanien und Tunesien; aus Ägypten ist keiner dabei. Vincent Landel ist Erzbischof
von Rabat in Marokko und leitet die nordafrikanische Bischofskonferenz: „Von den
derzeitigen Ereignissen ausgehend, werden wir versuchen, uns ein etwas klareres Bild
zu verschaffen, um die Lage besser zu verstehen. Ich denke da vor allem an Tunesien,
wo die Bischöfe in den letzten Wochen eine sehr wichtige Rolle gespielt haben. Wir
werden also über diese Ereignisse reden und dann nachdenken: Was sollte unsere Haltung
als Christen dazu sein? Wir sind ja de fakto allesamt Christen aus dem Ausland und
müssen uns deswegen etwas diskret verhalten in allem, was unser jeweiliges Gastland
betrifft.“ Welche Rolle haben die Christen also bei den derzeitigen Umwälzungen
in Nahost? Erzbischof Landel: „Ich würde sagen, die Rolle der Christen gibt es
gar nicht: Ausländer nehmen ja nicht an solchen Demonstrationen teil, sie defilieren
nicht hinter Fahnen her – sonst könnte man sie zwingen, das Land zu verlassen. Die
Rolle des Ausländers ist es, einfach in einem Geist der Brüderlichkeit weiter unter
unseren islamischen Freunden zu leben, mit ihnen zu sprechen, aber sich nicht an ihre
Stelle zu setzen, wenn es um politische oder gar sozial relevante Entscheidungen geht.“ Heißt
das: Christen bleiben besser neutral, wenn sie mit Tunesiern, mit Algeriern usw. sprechen? „Wir
hören ihnen zu, wir versichern ihnen, dass wir an ihrer Seite stehen – aber wir können
ihnen nicht sagen, dass wir auf dieser oder jener Seite stehen. Vor allem bringen
wir in diesen Ländern ja fast gar kein Gewicht auf die Waage: In Marokko zum Beispiel
stellen wir ja gerade mal 25.000 Menschen, bei einer Bevölkerung von 35 Millionen
Personen. Das ist noch nicht mal ein Wassertropfen im Meer! Außerdem sind wir sozusagen
auf der Durchreise; in Tunesien etwa gibt es bei den Priestern oder Ordensleuten wohl
kaum noch jemanden, der sich etwa an die Zeit von Präsident Bourguiba erinnern könnte.
Wir müssen also diskret sein...“ An diesem Sonntag kehrt der Islamistenführer Rached
Ghannouchi nach Tunesien zurück: Mehr als zwanzig Jahre Exil in London gehen für ihn
zu Ende. Erzbischof Landel glaubt eher nicht, dass der Mann sich zu einem zweiten
Khomeini entwickeln wird: „Der Fundamentalist, vor dem man sich in Tunesien fürchtet,
sagt, er habe nicht im geringsten die Absicht, eine islamistische Regierung zu bilden;
mir scheint auch, er habe gesagt, dass er auch nicht Teil einer Regierung sein will.
Ich habe den starken Eindruck, vor allem wenn ich an Europa denke, dass man eine übertriebene
Angst hat vor dem Islam, und dass man deswegen immer gleich Islamismus wittert. Der
Islam ist eine Religion, die von Männern und von Frauen gelebt wird.“ Trotzdem
läßt sich doch nicht leugnen, dass es immer wieder Terroranschläge gibt, die islamisch
motiviert sind. „Ja, natürlich gibt es einige Fundamentalisten und Extremisten,
aber das ist doch nur eine sehr kleine Minderheit! Ich glaube, man sollte in Europa
lernen, einzusehen, dass Muslim nicht gleich Teufel bedeutet. Hören wir endlich auf
damit, Angst vor Fundamentalisten zu haben. Was in Ägypten oder im Irak passiert –
da würde ich nicht gleich sagen, dass es da um Moslems gegen Christen geht: Da geht
es doch vielmehr um kleine Gruppen von Muslimen, die sich gegen die Christen richten.
Auch Muslime sind unter den Terroropfern, und zwar täglich. Ich persönlich habe sehr
offene und freundschaftliche Beziehungen zu Muslimen – ich bin sicher, meinen Mitbrüdern
in Tunesien und in Algerien geht es genauso!“ (rv 30.01.2011 sk)