2011-01-29 11:20:41

Unser Buchtipp


Bernard McGinn: Die Mystik im Abendland, ein Buchtipp von Stefan von Kempis

Der US-Autor Bernard McGinn ist einer der großen Namen in der Mystik- und Spiritualitätsforschung unserer Tage; seine großangelegte „Mystik im Abendland“, mit der er zu Beginn der neunziger Jahre begann, liegt jetzt in vier Bänden auch in deutscher Übersetzung vor. Ein Standardwerk – das kann man ohne Umschweife sagen. Der emeritierte Kirchen- und Theologiehistoriker von der „Trinity School“ der Universität Chicago nähert sich dem Thema Mystik nicht als Text- oder Literaturwissenschaftler, sondern von der historischen Warte aus. Und er zeichnet das Phänomen in die Geistes-, die Theologie- und Philosophiegeschichte der jeweiligen Zeit ein: Personen wie Hildegard von Bingen oder Meister Eckhart erscheinen so als Teil des dichten Denkgewebes ihrer Zeit und nicht als versponnene Einzelgänger. Vor allem aber vermag McGinn komplizierte Sachverhalte einfach und verständlich darzustellen – schon das ist bemerkenswert.

Behutsam, aber deutlich bricht der Autor eine Lanze für die Interpretation, dass Mystik ein religiöses Phänomen ist und zum Wesen des Christentums gehört. Dennoch läßt er im jeweiligen Kontext der Zeit auch immer das politisch Brisante an mystischen Erfahrungen erkennen. McGinn verweigert sich zum Glück einer Unterscheidung zwischen „echter“ und „falscher“ Mystik; er deutet die Texte der Mystiker (und Mystikerinnen!) nicht sozusagen vom Ergebnis her und kann auch Kategorisierungen wie „rheinische Mystik“ oder „dominikanische Mystik“ nicht viel abgewinnen. Stattdessen öffnet er Mystik von der Zeit der Kirchenväter bis an die Schwelle der Reformationszeit auf eine Vielzahl von Kontexten hin... und er deutet auch andersherum große Denker wie etwa Nikolaus von Kues zunächst einmal als Mystiker.

Vor allem, wenn McGinn über weibliche Mystik räsonniert, kommen sein Gespür und sein Einfühlungsvermögen zum Tragen; den sattsam bekannten Namen der „großen“ Mystikerinnen fügt er einen ganzen Reigen weiterer Namen und Einzeldarstellungen hinzu. Man kann nur hoffen (und der Schluß des vierten Bandes läßt es auch vermuten), dass der Forscher noch einen fünften Band vorlegen wird – so dass seine Mystikdarstellung nicht mit dem Mittelalter endet, sondern in die Neuzeit weitergeschrieben wird.

Das Werk ist in vier Bänden im Herder Verlag erschienen.

(rv 29.01.2011 sk)







All the contents on this site are copyrighted ©.