Bernard McGinn: Die Mystik im Abendland, ein Buchtipp von Stefan von Kempis
Der
US-Autor Bernard McGinn ist einer der großen Namen in der Mystik- und Spiritualitätsforschung
unserer Tage; seine großangelegte „Mystik im Abendland“, mit der er zu Beginn der
neunziger Jahre begann, liegt jetzt in vier Bänden auch in deutscher Übersetzung vor.
Ein Standardwerk – das kann man ohne Umschweife sagen. Der emeritierte Kirchen- und
Theologiehistoriker von der „Trinity School“ der Universität Chicago nähert sich dem
Thema Mystik nicht als Text- oder Literaturwissenschaftler, sondern von der historischen
Warte aus. Und er zeichnet das Phänomen in die Geistes-, die Theologie- und Philosophiegeschichte
der jeweiligen Zeit ein: Personen wie Hildegard von Bingen oder Meister Eckhart erscheinen
so als Teil des dichten Denkgewebes ihrer Zeit und nicht als versponnene Einzelgänger.
Vor allem aber vermag McGinn komplizierte Sachverhalte einfach und verständlich darzustellen
– schon das ist bemerkenswert.
Behutsam, aber deutlich bricht der Autor eine
Lanze für die Interpretation, dass Mystik ein religiöses Phänomen ist und zum Wesen
des Christentums gehört. Dennoch läßt er im jeweiligen Kontext der Zeit auch immer
das politisch Brisante an mystischen Erfahrungen erkennen. McGinn verweigert sich
zum Glück einer Unterscheidung zwischen „echter“ und „falscher“ Mystik; er deutet
die Texte der Mystiker (und Mystikerinnen!) nicht sozusagen vom Ergebnis her und kann
auch Kategorisierungen wie „rheinische Mystik“ oder „dominikanische Mystik“ nicht
viel abgewinnen. Stattdessen öffnet er Mystik von der Zeit der Kirchenväter bis an
die Schwelle der Reformationszeit auf eine Vielzahl von Kontexten hin... und er deutet
auch andersherum große Denker wie etwa Nikolaus von Kues zunächst einmal als Mystiker.
Vor allem, wenn McGinn über weibliche Mystik räsonniert, kommen sein Gespür
und sein Einfühlungsvermögen zum Tragen; den sattsam bekannten Namen der „großen“
Mystikerinnen fügt er einen ganzen Reigen weiterer Namen und Einzeldarstellungen hinzu.
Man kann nur hoffen (und der Schluß des vierten Bandes läßt es auch vermuten), dass
der Forscher noch einen fünften Band vorlegen wird – so dass seine Mystikdarstellung
nicht mit dem Mittelalter endet, sondern in die Neuzeit weitergeschrieben wird.
Das
Werk ist in vier Bänden im Herder Verlag erschienen.